Die geplante Aufführung »3-Tage-Spiel« von Hermann Nitsch sorgte wegen des Gebrauchs von Tierkadavern bereits in diversen Internetforen für große Proteste und Diskussionen. Nun wurde im Werk 2 ganz analog, aber auch emotional über Kunst, Recht und die richtige Haltung gegen Fleischfabriken debattiert.
Die Diskussion war mit Spannung erwartet worden. Nachdem auf change.org eine Petition erschienen war, die gegen das für dieses Wochenende geplante Spektakel von Hermann Nitsch im Centraltheater mobil machte, gab es auch in der Leipziger Online-Welt kein Halten mehr. Einige Tierschützer wollten Nitsch entweder gleich in die geschlossene Anstalt einweisen oder tote Familienmitglieder auf offener Bühne ausweiden. Ein Online-Kommentar von kreuzer-Redakteur Tobias Prüwer, der die Sinnhaftigkeit solcher E-Petitionen in Bezug auf Fragen der Kunst negierte, goss zusätzlich Öl ins Feuer, auch wenn sich die Kommentare auf dieser Homepage doch friedlicher ausnahmen als im Paralleluniversum von Facebook. Leipziger Akteur in der Debatte war vor allem die Tiernothilfe Leipzig.
Gute Ausgangslage für eine zweistündige Diskussion unter dem Motto »Kunst und Leid«: Tierethik gegen Freiheit der Kunst, unerträgliches Online-Gehabe und ein paar rechtliche Fragen. Das versprach einen heiteren Mittwochabend im Werk 2, zu dem Moderator Jürgen Kasek, Vorsitzender der Leipziger Grünen, geladen hatte, um die im virtuellen Raum aufgeworfenen Fragen sozusagen als Diskussion 1.0 weiterzuführen. Eine Enttäuschung muss dabei aus Sicht des krawallsüchtigen Autors gleich am Anfang vermerkt werden: Hitler-Vergleiche blieben im Vergleich zur Diskussion 2.0 aus. Gleiches gilt für die auf Facebook angekündigten Fruchtgeschosse, wofür auch eine extra engagierte Security sorgte.
Dafür ging es gleich in die Vollen. Die Kontrahenten auf dem Podium waren Uwe Bautz, Chefdramaturg des Centraltheaters, und Tierschützerin Daniela Strothmann, unter anderem engagiert bei der Tiernothilfe. Sekundiert wurden die jeweiligen Positionen von Tobias Prüwer (kreuzer und moderat pro Nitsch) und Daniel Thalheim (Journalist und moderat contra Nitsch).
Strothmann stieg gleich emotional ein. Auf die Einstiegsfrage, warum sie gegen die Performance sei, kam ein patziges »Das muss ich nicht begründen«. So kann Diskussion auch gehen. Ihr Thema war nicht die Ethik, sondern die ganz einfache rechtliche Lage. Sie wollte wissen, was genau im Stadttheater passiere und ob die Gesetze eingehalten würden. Ihre These: Das Tierschutzgesetz würde nicht eingehalten und das sollte Herr Bautz doch mal zugeben.
Für den Chefdramaturg war bereits dieser Start eine Art Sieg, denn auf den schnöden Rahmen der juristischen Diskussion konnte und wollte er sich nicht herablassen. »Wir bewegen uns auf dem Boden des Rechts und der Freiheit der Kunst.« Ansonsten erzählte er viel über die Bedeutung des Rituals, indem Menschen an ihre Grenzen und darüber hinaus gebracht wurden. Genau das solle bei Nitsch passieren und dafür wurde das Theater vor 5.000 Jahren erfunden. »Wir wollten Nitsch!« Die Proteste waren erwartbar, aber die Freiheit der Kunst hat obsiegt. »Weder Massenbefinden noch eine Behörde entscheidet hier, was Kunst ist, und damit sind wir in den letzten Jahren gut gefahren.«
Strothmann verzettelte sich weiter in juristischen Prüfungen, berichtete von Anrufen beim Veterinarämt (am 24. um 14:08 Uhr) und dass sie jetzt dort niemanden mehr erreiche, und warum Art. 1 und Art. 17 des Tierschutzgesetzes ihr am Herzen liegen. Es war die Zeit der Sekundanten gekommen. Prüwer stellte klar, dass er nichts gegen Protest habe, sondern ihn als lebensnotwendig für die Demokratie sehe, aber eine Online-Petition in Fragen der Kunst der falsche Weg sei. Thalheim referierte aus kunsthistorischer Sicht über Nitsch und schloss mit der Erkenntnis, dass dieser seit 50 Jahren das Gleiche mache, weshalb keine Entwicklung zu sehen sei, was langweilig wäre. Mit Blick in die Menge schlussfolgerte Moderator Kasek da messerscharf: »Offensichtlich langweilt es nicht.«
Ach ja, bei der Verdammenswertheit von Tierfabriken waren sich dann auch alle einig, Bautz sah sogar in Nitsch eine gute Möglichkeit, so etwas zu thematisieren. Das wiederum ging einigen im Publikum und Strothmann zu weit. »Nitsch geht es nicht um Massentierhaltung. Er möchte Anarchist sein und Egomane. Er ist nicht empathiefähig, er benutzt uns. Es ist Schein-Kunst. Ich will arme Tiere schützen.« Bautz hielt ästhetisch dagegen: »Wir müssen das Problem des Körpers zulassen. Menschen und Tiere werden dahin abgedrängt, wo wir sie nicht mehr sehen. Der tote Körper ist kein Erlebnis mehr.« Und Prüwer sekundierte gemäß poststrukturalistischer Kunsttheorie, dass die Intention des Künstlers nicht relevant sei, sondern sich jeder Zuschauer mit dem Werk auseinandersetzen und seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen müsse.
Einen Einblick in das Werk und den Umgang mit den Gesetzen gab es aber gegen Ende doch noch, da ein Assistent Nitschs im Publikum saß und erläuterte, dass die gesetzlichen Vorgaben idiotisch seien. Eigentlich wollte Nitsch das Tier auf der Bühne schlachten und am Ende der Veranstaltung auch zubereiten lassen, denn das sei ja die Idee des dionysischen Fests. Aber das sei verboten und die Auflagen insgesamt sehr streng. Ein solches Vorgehen hätte auch die rechtliche Argumentation ad absurdum geführt, denn die Tierschützer berufen sich ausgerechnet auf jenen Paragraphen, dass Tiere nur für den Verzehr geschlachtet werden dürften. Gerade der ist aber verboten. Schöne Gesetzeswelt. Die Kunst findet trotzdem statt und ja diese Diskussion war irgendwie auch Teil der Inszenierung. Nitsch hätte es gefallen.