Völlig losgelöst von der Erde treibt die Astronautin durchs All. Vor sich der klare Blick auf den blauen Planeten, hinter sich die Finsternis und die unendlichen Weiten des Weltraums – ein Bild von betörender Schönheit und gleichzeitig eine Szene voller Angst und Schrecken. In diesem kontrastreichen emotionalen und ästhetischen Spannungsfeld bewegt sich Alfonso Cuaróns poetischer Weltraumfilm »Gravity«, der das Kino in einen schwerelosen Raum verwandelt und das Publikum auf eine Reise in die Tiefen der Verlorenheit mitnimmt.
Auf ihrer ersten Mission im All ist Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) dem erfahrenen Astronauten Matt Kowalsky (George Clooney) zur Seite gestellt. Die Beiden sind gerade mit Reparaturarbeiten am Äußeren des Shuttles beschäftigt, als die Russen einen Satelliten sprengen. Die in ihrer Umlaufbahn umherfliegenden Schrotteile zerschlagen das Mutterschiff und schleudern die Astronauten in ihren Raumanzügen hinfort in die Weiten des Alls. Dreizehn Minuten ohne Schnitt dauert diese Eröffnungssequenz, in der die Kamera schwerelos um die Protagonisten herumschwebt und mit ihnen ins Desaster hineinstürzt. Der freie, stille Fall ins Nichts, der auf das Unglück folgt, ist ein ebenso berauschendes wie beklemmendes Kinobild. Nur der hektische, unregelmäßige Atem der haltlos dahin treibenden Astronautin ist zu hören, die später von ihrem Raumschiffskommandanten aufgelesen wird und sich mit ihm auf den Weg zu einer russischen Raumstation macht. Die Geschichte haben Alfonso Cuarón und sein Sohn Jonás, mit dem er das Drehbuch verfasst hat, betont schlicht gehalten. Es geht ums Überleben in seiner einfachsten und ausweglosesten Form. Denn schon bald bleibt die unerfahrene Astronautin auf sich allein gestellt und unten auf der Erde ist nur wenig, das sie an ihrem irdischen Dasein hält. Sandra Bullock ist großartig in dieser Rolle, in der sie als einzige Identifikationsfigur ganze Arbeit leisten muss und die Fragilität ebenso wie die erwachenden Überlebensgeister der Weltraumreisenden ohne pathetisches Overacting freilegt. Cuarón zeichnet in »Gravity« das überdimensionale Bild einer Urangst. Das Gefühl jeglichen Halt zu verlieren und im Nichts zu verschwinden wird hier zum cineastischen Ereignis ausgebaut. Spektakulär und von somnambuler Schönheit sind die Bilder, die Cuarón aus der Weltraumperspektive entwirft. Äußerst elegant die Kameraführung von Emmanuel Lubezki, die scheinbar nahtlos aus der subjektiven Perspektive im Inneren des Raumanzuges hinaus in die Weiten des Alls gleitet. Aber trotz aller meditativen Qualitäten hält der Film seine Spannung, verliert sich nicht in der Schönheit der eigenen Ästhetik, sondern findet eine perfekte Balance zwischen hereinbrechender Action und reflexiven Momenten, in denen die Hauptfigur im schwerelosen Raum ihre Richtung sucht. »Gravity« ist einer der wenigen Filme der letzten Jahre, in dem die 3D-Ästhetik wirklich Sinn macht, weil sie hier – ähnlich wie in Ang Lees »Schiffbruch mit Tiger« – als Mittel filmischer Poesie eingesetzt wird und das Publikum mit hineinzieht in die Schwerelosigkeit. Perfekt auch das Sounddesign, das präzise Akzente setzt und in entscheidenden Momenten auch immer wieder den Mut zur Ruhe findet. Jenseits des meisterlichen Umgangs mit den Gestaltungsmitteln des modernen Kinos trägt »Gravity« in sich eine stille Kraft, wie man sie nur noch selten im lärmenden Medienmalstrom zu spüren bekommt. Ein außergewöhnlich spannendes Kinoerlebnis, nach dem man angenehm benommen aus dem Saal wankt und sich einfach nur glücklich schätzt, festen Boden unter den Füßen und genügend Sauerstoff in der Lunge zu haben.