An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der Januar-Ausgabe des kreuzer. Chefredakteur Andreas Raabe berichtet, was es im neuen Heft zu lesen gibt.
Ein düsteres Video machte den Unterschied. Eigentlich planten wir für dieses Neujahrsheft ein ganz anderes Titelthema. Eines, das sich mit der wirtschaftlichen Situation der Stadt beschäftigt, der Kultur- und Kreativbranche, der Rezeption in nationalen wie internationalen Medien – dem, was die Stadt zu diesem Zeitpunkt ausmacht und zu Effekten wie dem Hypezig-Phänomen führt. Doch dann kam nach Schweinekopf-Anschlag und Anwohnerprotest gegen die Notunterkunft für Asylsuchende in Leipzig-Schönefeld dieses Video. Der Lokalsender Leipzig Fernsehen hatte es während einer Informationsveranstaltung zur Notunterkunft Ende November aufgenommen und ins Netz gestellt. Ein hasserfüllter Mob brüllt Sozialbürgermeister Fabian nieder: »Lügner, Lügner, Lügner«, schreien die Menschen in einer Lautstärke und Aggressivität, die mehr als beängstigend ist. Was der Sprechchor da verbreitete, war Pogromstimmung. Setzt man diese Szenen in einen Zusammenhang mit den aufgespießten Schweineköpfen, mit den Fackelläufen im sächsischen Schneeberg und zuletzt auch vor der Asylbewerberunterkunft in Leipzig-Schönefeld, mit all dem Hass, der sich auch in den sozialen Netzwerken entlädt, so ergibt sich ein Bild von dem, was Leipzig auch ist: eine Stadt, in der tausende, vielleicht zehntausende Menschen den Ausländerhass rechter Gruppierungen insgeheim teilen und auf Aggressivität und Gewalthandlungen mit einem Schulterzucken reagieren. Nicht ohne Grund werden auf Demonstrationen gegen Asylunterkünfte in letzter Zeit die »Wir sind das Volk«-Rufe immer lauter. Man spürt eben, dass Ausländerhass im Jahr 2013 offenbar immer noch auf die Duldung der breiten Masse trifft. Gerade die Bürger einer »weltoffenen« Stadt wie Leipzig sollten deutlich Stellung beziehen gegen Fremdenhass, rassistische Ressentiments und die dumpfe Duldung aggressiver Hetzer. Wo bleibt die Großdemonstration für ein wirklich weltoffenes, tolerantes, ein zivilisiertes, ein kluges Leipzig, in dem das dunkle Vorurteil und der Hass keine Chance haben? Die Zeit dafür ist mehr als reif zu Beginn des Jahres 2014. Um den Rassismus in der Mitte der Leipziger Gesellschaft dreht sich unsere Titelstrecke ab Seite 18. Wir berichten auch über die Bewohner der Notunterkunft in Schönefeld und über eine junge Frau aus dem Iran, die in einem Asylheim vor den Toren der Stadt – im Landkreis Leipzig – vor sich hin darbt (S. 22).
Politisch geht es weiter – im Anschluss an die Titelstrecke in unserem Interview mit dem sächsischen Grünen-Politiker Johannes Lichdi. Hier ist schon die kommende Landtagswahl im Herbst 2014 Thema. Lichdi, bekannt durch rege Oppositionsarbeit, stellte den Antrag, dass die sächsischen Grünen eine Regierungskoalition mit der CDU nach der Wahl explizit ausschließen – und scheiterte mit diesem Vorhaben. Seine Partei lässt die Koalitionsfrage offen, Mitglieder der Grünen-Spitze würden einen klaren Kurs in Richtung schwarz-grüner Koalition fahren, sagt Lichdi. Warum dies seiner Meinung nach – in Sachsen – ein schwerer Fehler ist, erklärt Lichdi ab Seite 24. Übrigens berichtet er auch, wie die Machtfülle des besonders konservativen CDU-Milieus in Sachsen zu einer Stimmung führt, die Vorfälle wie den Schneeberger Lichtellauf erst ermöglichen, auf dem mehr als tausend Menschen mit brennenden Fackeln gegen eine Unterkunft für Asylsuchende zogen.
Die Kritik am Museum der bildenden Künste reißt nicht ab. Nach den Protesten gegen die Ausstellung »Die Schöne und das Biest«, der Kritiker die nicht ausreichend kommentierte Darbietung sexistischer Inhalte sowie die Rehabilitierung des Dresdner Malers und NSDAP-Mitglieds Richard Müller vorwerfen, luden wir Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt zum Interview. Darin äußert er sich erstaunt über die Vorwürfe, schildert den Entstehungsprozess der Ausstellung und erklärt sich zum Dialog mit den Kritikerinnen und Kritikern bereit (S. 58). Zwist gab es über die Freigabe des Interviews: Wir boten Schmidt an, die Endfassung des Interviews gegenzulesen, um grobe Fehler und Missverständnisse auszuschließen. Nachdem wir einige formale Einwände Schmidts in den Text eingearbeitet hatten, gab er das Interview ohne Angabe konkreter Gründe kurz vor Drucklegung nicht frei. Wir veröffentlichen das Gespräch trotzdem, da wir die Regeln dieser Autorisierung klar formuliert und erfüllt haben, konkrete inhaltliche Fehler nicht aufgezeigt wurden und weil wir der Meinung sind, dass das öffentliche Interesse groß genug ist, um eine ausführliche Berichterstattung über die Sichtweise der MdbK-Spitze zu der umstrittenen Ausstellung zu rechtfertigen.
Kommen Sie gut ins neue Jahr!