Am Hauptbahnhof geht es schon los. »Nur noch 15 Sekunden«, sagt ein Mann zu mir, der vor einer bunten Installation der Schweiz in der Bahnhofshalle steht. »Was passiert denn dann?«, will ich wissen. »Das hängt alles zusammen. Es ist zum Schmunzeln.«
Und schon setzen sich Miniatur-Seilbahnen, Murmeln und Figürchen in Bewegung. »Alles hängt miteinander zusammen«, erklärt mir der Mann, der wohl schon eine ganze Weile hier vor sich hin schmunzelt, zwischen Schulkindern, die kommen und gehen. Eine kleine Eisenbahn tuckert los. Eisenbahn – ich muss weiter. Endlich mal im Citytunnel losfahren.
Eigentlich muss man überhaupt nicht bei der Buchmesse anwesend sein, um von ihr zu berichten, das hat Kathrin Passig ganz richtig zusammengefasst. Doch wenn man schon mal da ist. Diedrich Diederichsen ist auch da. Sitzt beim taz-Stand und redet schwer Verständliches »über Pop-Musik«. Dass die zum Beispiel kein Massenphänomen sei, dass nach der Popmusik das Internet kam und dass jeder für sich selbst entscheiden müsse, ob Helene Fischer denn nun Pop sei oder nicht. Die meisten der gegen Ende seiner Ausführungen Anwesenden dürften zumindest mit Helene Fischer was anfangen können. Rentner drängeln sich in die vordere Reihe zum ehemaligen Spex-Redakteur und tuscheln: Wann denn endlich Kabarettist Werner Schneyder käme.
Eine Ecke weiter sitzt Andreas Dresen beim Neuen Deutschland. Und während man bei denen immer so eine leichte Ahnung bekommt, wie es aussehen würde, wenn hier noch DDR wäre, erzählt der Filmregisseur herrlich amüsant, warum er keinen »Tatort« drehen will. Weil ihn einfach nicht interessiert, was Menschen zur Tatzeit gemacht haben oder wie Kommissare ermitteln. Und dass es nicht immer Morde sein müssten, sondern zum Beispiel mal Steuerhinterziehung. »Der Hoeneß hat dreieinhalb Jahre bekommen«, ruft ein ND-Mitarbeiter rein. »Auf Bewährung oder richtig mit Gefängnis?« – »Keine Ahnung, aber ich dachte, weil wir doch eine Tageszeitung sind, bringe ich mal aktuelle Informationen.«
Auf dem Weg durch die Hallen fragt jemand: »Haben Sie Interesse an revolutionären Ideen für Ihren Lebenserhalt?« Oder meint er Unterhalt? Ich gehe reflexartig schnurstracks an ihm vorbei, ohne den mir hingehaltenen Flyer zu greifen. Eine Frau bietet mir eine »Postkarte voller Glück« an. Die nehme ich. Was ist nur los?
In der Ecke mit den religiösen Publikationen laufe ich an einem Priester vorbei (oder zumindest einem in Priesterkluft, man weiß ja hier nie – diese Mangas überall), der redet. Nicht mit mir oder einer anderen sichtbaren Person, auch nicht mit seinem Handy oder diesen Kopfhörerkabeln, die alle so wahnsinnig erscheinen lassen. Er redet einfach vor sich hin. Gott?!
Die Manga-Fans haben ihre eigene Convention-Halle. Vorrangig werden hier Kuscheltiere allerlei Couleur feilgeboten. Comic-Hefte muss es irgendwo anders geben.
Zwischen den Kinderbüchern hat die Bundesregierung ihren Stand. Es gibt Autogrammkarten von Angela Merkel und … Steffen Seibert. Genug Bundesregierung.
Das Handynetz ist zusammengebrochen. Ich irre alleine herum. Ein Poetry-Slammer dichtet »Die Glocke« um in »Die Pocke«. Mega-Applaus.
Ich setze mich lieber zu Peter Wawerzinek. Der redet übers Saufen. Und wie er das damals als Systemkritik verstanden hat und es doch nichts brachte. Feinfühlig erzählt er, lacht über sich selbst, fängt sogar an, einen mir unbekannten Schlager zu singen. Ich werde mir das Buch kaufen. »Schluckspecht«.
Denn der Bücher wegen sind wir ja alle hier (außer all die ganzen Schulkinder, die sich mit riesigen Tüten, auf denen meistens das Gesicht von Denis Scheck abgebildet ist, durch die Hallen schieben. Die sind wahrscheinlich wegen eines Lehrplans hier und rauchen heimlich in der Sonne.)
Und wegen des Buchpreises. Der geht an Helmut Lethen (Sachbuch), Robin Detje (Übersetzung) und Saša Stanišić (Belletristik). Sie alle kommen zum Abschluss auf das blaue Sofa, das schon allein deswegen einen Zwischenstopp wert ist, weil man hier als aufstrebender Journalist oft so schön zu sehen bekommt, dass man auch ohne jede Vorbereitung Interviews im öffentlich-rechtlichen Rundfunk führen könnte. Und vom Preisträger bekommt man als aufstrebender Schriftsteller noch auf den Weg: »Gute Geschichten beginnen mit dem Tod oder dem Kuss.«
Rückfahrt in der Straßenbahn. Da ist sie wieder, die Schweiz. Diesmal tönen schwizerdütsche Sounds nach den »Nächster Halt«-Ansagen. Wahrscheinlich zum Schmunzeln.