Am Dienstagabend ist es vor der Parkbühne fast voller als drin. Dank stolzer Eintrittspreise (40 Euro) sitzen die Leute auf den Wiesen des Clara-Parks und trinken mitgebrachtes Bier (Preis drinnen: 4 Euro), während sie dem Konzert von The National zuhören. Der Sound ist gut. Doch was passierte hinter dem Sichtschutz?
Schon allein die Vorband ist sehenswert. St. Vincent. Sängerin und Gitarristin Annie Clark sieht ein bisschen aus wie Courtney Love, nur etwa siebzigmal cooler. Mit graugefärbten wild toupierten Haaren, einem Kleid mit blutähnlichen roten Flecken und in Stöckelschuhen stolziert sie eine riesige rosa Treppe rauf, auf der sie zeigt, wie viel lässiger Frauen doch die E-Gitarre spielen können, wenn sie nur wollen. Ihre Band begleitet sie dabei unter anderem mit einer durch absolute Einfachheit bestechende witzige Choreografie: Faust vor Körper, Arm zur Seite, Gitarrenhals nach links, Gitarrenhals nach rechts.
Pünktlich um 19.30 Uhr ist der kurze Gig vorbei, in dem die Amerikaner hauptsächlich Songs vom aktuellen fünften und sehr gefeierten selbstbetitelten Album spielten. Der Kollege kommt angerannt: »Haben St. Vincent schon gespielt? ... Verdammt., wegen denen bin ich doch hier.« Und ja, man ist geneigt zu glauben, dass diese Vorband von dem Rock von The National nun wahrlich nicht zu toppen ist.
Aber ach, schon steht Sänger Matt Berninger auf der Bühne. Im Dreiteiler bei 30 Grad. Elegant wie eh. Er trinkt Weißwein, erst aus Plastikbechern, später dann direkt aus der Flasche. Zwischendrin, also eigentlich immer, wenn er nicht gerade singt, läuft er auf und ab und hin und her. Schlägt seine Fäuste neurotisch gegeneinander, manchmal auch eine gegen den Kopf. Wenn er singt, malträtiert er das Mikrofon – entweder indem er es samt Ständer in die Luft hebt oder mit dem Mund. Diese Stimme. Diese Stimme. Diese Stimme. Durch ihre Präsenz geht die Band fast ein wenig unter, dabei schreibt sie die Musik, Berninger die dunklen Texte. Auf der riesigen Videoleinwand sieht man die Band in künstlerisch verwischten Aufnahmen, die Schatten von Bäumen, goldene Glitzerpunkte. Sie spielen Songs aus all ihren sechs Alben. »Trouble will find me« hieß das letzte. Und die troubles haben Berninger längst gefunden, so wie er schreit und wütet zwischen den ruhigen Liedern zum Heulen. Cry, baby, cry.
Halb zehn. Die angebliche Lieblingsband von Barack Obama verschwindet zum ersten Mal von der Bühne, ohne die Erwartungen zu enttäuschen wie der Präsident, dessen Wahlkampf die Amerikaner 2008 unterstützten. Heute gibt es keine politischen Botschaften. »Good to be here. Such a beautiful city«, ist eines der wenigen Statements, allgemeingültig. Berninger kommt wieder, nimmt einen tiefen Schluck, wirft die leere Weinflasche in hohem Bogen weg, steigt dann ins Publikum, als wäre er einer von uns, singt von unten, lässt sich in der ersten Reihe anfassen. Er hat sie drauf, die Rockstargesten. Die Stimmung bleibt dennoch gesetzt, so wie das Alter des Parkbühnenpublikums. Im Viervierteltalt wird mal mitgeklatscht, einige kreischen.
Fünf vor zehn ist alles vorbei. Im Park glühen noch die Grills.