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Kultur

Da schwant nichts Gutes

Die Performerinnen Henrike Iglesias sollen dem Schauspiel Street Credibility verschaffen

  Da schwant nichts Gutes | Die Performerinnen Henrike Iglesias sollen dem Schauspiel Street Credibility verschaffen

»Dann müssen wir nachher noch ins Dr. Seltsam feiern gehen«, meint mein Sitznachbar nachdrücklich vor Vorstellungsbeginn. Die Premierenfeier steige aber im Meins, deins, unser, gibt eine Frau zu bedenken. Man einigt sich darauf, beide Orte zu besuchen – wenn man schon mal da ist, im von FAZ, Spiegel und Zeit beglaubigten In-Quartier. Immerhin ist der Gast extra nach Hypezig gereist, um was zu reißen. Theater gibt’s als Kulturhäppchen quasi zwischendurch, bevor sich der Amüsiermensch in die Après-Art-Party wirft. »Da gibt’s Musik und alles«, lassen Henrike Iglesias nach dem Schlussapplaus wissen. In den 80 Minuten zuvor hat das Autorinnen- und Performerinnen-Quartett mit »I can be your hero baby« – nach einer Song-Zeile von Enrique Iglesias – eine Auseinandersetzung mit dem Thema Catwalk und Laufhaus gegeben.

Die  Künstlerinnen »begreifen popkulturelle und massenmediale Phänomene als Spiegel gesellschaftlicher Zu- und Missstände« lässt das Programmheft wissen. Auf einer Metaebene trifft die Aussage ins Schwarze, wie dieses Mash-Up aus »Musik und alles« vorführt. Kooperationen zwischen Stadttheater und freier Szene sind gerade angesagt, die Stichworte Gender und Queer hoch im Diskurs, was soll da schon schiefgehen, dachten sich wohl alle Beteiligten. Das Yolo- (»You ony live once«) und Hipster-Publikum wird’s schon goutieren, ein bisschen Hipness auf die alte Tante Stadttheater abfärben. Diese Haltung hat sich in der ersten Spielzeit als Kerngedanke der Residenz-Nebenspielstätte auf dem Spinnereigelände herausgeschält. Man nehme Akteure der Freien Szene, die einen Namen haben, und lasse die machen. Nur so ist es zu erklären, was man in der Residenz ertragen musste. Den einzigen positiven Ausreißer bildete Constanza Macras’ hinreißend-fantastischer Totentanz um die Utopien des 20. Jahrhunderts.

Der Rest enttäuschte. Ob Monster Truck mit zwar netter Idee, die theatrale Situation zu invertieren, in der der Zuschauer der Angeschaute ist, die aber nicht länger als ein paar Minuten trägt, oder Gob Squad, die es nicht einmal schaffen, das Timing in ihrer elf Jahre alten Produktion »Super Night Shot« einzuhalten. Von ein paar hübschen Bildern abgesehen, katapultierte »Spacekraft« von Melanie Lane den Zuschauer zurück in die frühen Neunziger. Nicht einlösen können auch Henrike Iglesias ihr Versprechen, wenn sie fragen »Was hat das Sexbusiness mit ›Germany’s Next Topmodel‹ zu tun?«

Als gleich zu Aufführungsbeginn ein übergroßer pink-weißer Schwan zum Tanz über die Bühne geschoben wird und zum Diskobeat mit »Bukkake«-Refrain Zuschauergekicher den leeren, von Gardinen abgehängten Raum ausfüllt, schwant mir schon nichts Gutes. Albernheit in den Rängen und auf der Bühne werden sich die nächsten knapp eineinhalb Stunden zur unheiligen Allianz der guten Laune bei miesem Spiel verbünden, bei dem sich Mini-Spielszenen, Monologe und Moden-Schau-Intermezzi abwechseln. »Oh, der erste Durchlauf ging fünf Stunden. Müssen wir wohl noch ein bisschen #polleschen«, mahnten die Autorinnen via Twitter noch die Selbstoptimierung an und man kann wenigstens über die finale Kürze froh sein.

Mit René Polleschs Diskurstheater hat das alles nichts zu tun, dünn bestellt ist es auch um die Ernsthaftigkeit des Themas. Bereits der Ansatz ist wenig überraschend. Sexarbeit wird mit Modell-Casting-Show zusammengeschnitten. Bei beiden wird der weibliche Körper verkauft, lautet die banale Grundthese. Voyeurismus – bei den einen mit Anfassen – als Geschäftsmodell soll also kritisiert werden; im Theater, mit voyeuristischen Mitteln vor johlendem Publikum. Dabei ist die Kampfzone auf dem Schlachtfeld Körper doch viel ausgeweiteter, wie unter anderem die freien Gruppen Fräulein Wunder AG mit »Power of Pussy« oder Formlos in »Porn this Way« auch schon bei Leipziger (Ko-)Produktionen im Lofft klüger und physisch intensiver bewiesen.

Der Kitt, der den Abend zusammenhalten soll, ist Heidi Klums Casting-Show. Man wird als Publikum in einer Kölner Arena begrüßt. Attitüde und Phrasen der Moderatorin werden karikiert, dann ausufernd vorgespielt, dass es gar nicht um die Kandidatinnen geht, sondern ums Business. Anspielungen wie »Heidis Mettbrötchen« versteht dabei wohl nur, wer die Sendung verfolgt. Das sind an diesem Abend offenkundig viele. Solcherlei Bullshit-Bingo in Wort und Pose mag für ein paar Minuten amüsant sein, trägt aber nicht über einen Abend, der sich auch noch »Auseinandersetzung« nennt. Die Wirkung der eingestreuten Erlebnisberichte aus der Bordellarbeit geht darum auch aufgrund radebrechender Aufsagerei und mimetischer Unfähigkeiten der vier unter. Natürlich fallen Bourdieu und Butler als Namen, Laurie Penny (»Fleischmarkt«) wird zitiert und das Programmheft enthält eine ganze Literaturliste. Die Lektüre theoretischer Positionen – könnten Patriarchat und Kapitalismus womöglich zusammenhängen, sind Normierung und Schönheitsindustrie nicht über Klums Show hinaus wirkmächtig? – merkt man der Inszenierung aber ebenso wenig an wie irgendeinen dramaturgischen Gedanken.

Ein (belang-)loser Szenenreigen macht noch keine Performance, welche eben zu allererst von der Performance lebt. Catwalk-Einlagen in erwartbar abgedrehten Kostümen und erzwungen komische Momente verrenkter Normalkörper zu eingängigen Melodien geraten so zur ausgewalzten Übertünchung der Konzeptlosigkeit. Fürs Schaulaufen einer freien Gruppe im Stadttheater reicht das offensichtlich allemal und die Premierenparty im Szeneschuppen wird mit Sicherheit noch der Kracher geworden sein. Und alle so: »Yeah!«


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