An dieser Stelle veröffentlichen wir das Editorial der November-Ausgabe des kreuzer. Chefredakteur Andreas Raabe berichtet, was es im neuen Heft zu lesen gibt.
»Beklemmend« sei das Leben hinter der Plane, sagt eine Mieterin des Hauses in der Bernhard-Göring-Straße 110. Seit Monaten ist das Gebäude verhüllt, Bauarbeiten gibt es nicht, stattdessen Angebote, die eigene Wohnung nach erfolgter Luxussanierung doch käuflich zu erwerben – für einen Betrag jenseits der 300.000 Euro. Aber welche Rentnerin, welcher Student, welche junge Familie kann sich das leisten? Also ziehen die Menschen aus, die Monate im Halbdunkel machen zusätzlich mürbe. Das sind Geschichten, wie man sie eher aus München oder Prenzlauer Berg kennt, die aber auch in Leipzig zu besichtigen sind.
Stadtentwicklung, Verdrängung, Gentrifizierung: diese Themen beschäftigen uns hier im kreuzer seit Jahren. In letzter Zeit verschärft sich die Anspannung auf dem Wohnungsmarkt deutlich, man hört es von Freunden und Bekannten, man liest darüber in der Zeitung und auch uns hier in der Redaktion erreichen immer wieder Berichte aus der Stadt über das, was viele als Entmietung und Verdrängung bezeichnen. Zuletzt berichteten wir über die Frege-Häuser, ein Haus in der Hohen Straße, die Elsterwerke, nun also die Bernhard-Göring-Straße. Es ist die dunkle Seite des Leipzig-Booms, die für die Menschen dort Realität geworden ist.
[caption id="attachment_35483" align="alignleft" width="281"] Rotfront! Oder was? Chefredakteur Raabe mal wieder total subjektiv[/caption]
Nun könnte man sagen, so läuft das eben in unserer Gesellschaft und ein Aufschwung hat ja auch seine guten Seiten. Doch bei der eigenen Wohnung geht es eben auch um das Zuhause, um den Ort, an dem man lebt, sich zurückziehen, Freundschaften pflegen kann, wo Kinder aufwachsen. Es ist ein schützenswerter Ort, dementsprechend wird er auch vom Gesetz behandelt, doch Recht haben und Recht bekommen sind eben zwei unterschiedliche Dinge. Wichtig war uns auch, auf die direkt Verantwortlichen hinzuweisen, in diesem Fall die Immobilienfirma DGG und hier speziell auf einen ihrer Vorstände, Frank Fleschenberg. Die drängen nämlich gern als Wohltäter im Charitybereich in die Öffentlichkeit. So auch Fleschenberg, sein »soziales Engagement gehört in die Welt hinausgeschrien«, liest man auf der DGG-Firmenseite im Internet. Natürlich ist er nicht der Einzige, auch andere Immobiliengrößen der Stadt halten nicht hinterm Berg mit ihrer »Charity«, oft im Verbund mit dem eigentlich schönen Golfsport. Es scheint, als sollten hier soziale Härten ausgebügelt werden. Nebenbei umhegt man sich mit Prominenten und Politikern, die sich für so etwas hergeben.
Doch wenn Politik und Verwaltung als Kontrollinstanzen geschwächt sind, der juristische Weg langwierig und teuer ist, dann bleibt nur noch die Öffentlichkeit. Lesen Sie den Bericht von Jennifer Stange aus dem Haus in der Bernhard-Göring-Straße auf Seite 20. Zudem haben wir die Wissenschaftler des Helmholtz-Instituts gebeten, die Ergebnisse ihrer Studie zum sogenannten »gehobenen Wohnsegment«, sprich Luxus- und Topwohnungen, für den kreuzer aufzubereiten. Die Autoren recherchierten in den letzten Jahren mehr als 7.200 Objekte, die in diesen Bereich fallen, und kommen zu dem Schluss: »Wachstum auf dem Leipziger Wohnungsmarkt findet praktisch nur im Sektor des hochpreisigen Um- und Neubaus statt.«
Bei aller Politik kommt natürlich auch die Kultur nicht zu kurz: Wir berichten pünktlich zum Start des DOK Leipzig ausführlich über den Animationsbereich des Festivals und währenddessen die ganze Zeit auf unserem Dokblog. Um das Musiktheaterstück »Der eindimensionale Mensch« gab es einen kleinen Disput in der Redaktion: Gehört das nun ins Theaterressort oder auf die Musikseiten? Irgendwie (Bestechung?) setzte sich das Musikressort durch, darum finden Sie ein Interview zu dem lobenswerten Stück auf Seite 48. Im Theater beschäftigt sich Redakteur Tobias Prüwer ausführlich mit drei Stücken, die am Schauspiel Leipzig aufgeführt werden. Kunstredakteurin Britt Schlehahn erzählt die Geschichte einer kommunistischen Künstler-Gruppe, die in den dreißiger Jahren auch in Leipzig aktiv war, und Literaturexperte Olaf Schmidt würdigt unser aller liebste Literaturzeitschrift: die Leipziger Edit.
Übrigens: Der Abo-Auflage des kreuzer liegt unser Einkaufs-Geheimtipp-Führer schicker bei.
Einen heißen Herbst wünscht
Andreas Raabe
chefredaktion@kreuzer-leipzig.de
Was sonst noch im Heft steht: Inhaltsverzeichnis, Monatstipps und Einblicke zeigt die Leseprobe unseres ePapers.