Am 21. November jährte sich der 10. Todestag des ehemaligen Leipziger Ballettchefs Uwe Scholz. Aus diesem Anlass erinnert die Oper mit der Wiederaufnahme des Balletts »Rachmaninow« an den Künstler. Ballettdirektor und Chefchoreograf Mario Schröder, einst Solist unter Scholz, stellt der Choreografie zum dritten Klavierkonzert eine eigene Inszenierung des zweiten Klavierkonzertes von Sergeij Rachmaninow gegenüber. Wir sprachen mit Mario Schröder über diese Produktion, die Bewahrung des Erbes von Uwe Scholz und über das Empfinden von Zeit.
kreuzer: Was ist das Besondere dieses Ballett-Abends?
MARIO SCHRÖDER: Die Kombination des Zweiten und Dritten findet sehr selten im Konzertsaal statt. Allein das ist das Besondere. Der Pianist Wolfgang Manz hat bereits 1997 mit Uwe Scholz das 3. Klavierkonzert gespielt und war deshalb natürlich unsere erste Wahl. Er spielt im »Rachmaninow« beide Klavierkonzerte. Das ist eine musikalische Höchstleistung.
kreuzer: Worin liegt für Sie der Reiz des 2. Klavierkonzertes in Kombination mit dem 3. von Rachmaninow?
SCHRÖDER: Meine erste Begegnung mit Rachmaninow hatte ich nicht durch Uwe Scholz, sondern schon viel früher. Ich habe den Film »Weggehen und Wiederkommen« von Claude de Lalouch Lelouch gesehen, in dem das 2. Klavierkonzert eine Rolle spielt und war stark fasziniert. Es ist keine explizite Ballettmusik, hat aber für mich eine sehr körperlich intensive und bildhafte Sprache. Da gab es sofort viele Berührungspunkte zu meinem künstlerischen Anspruch. Auch die Metaphern des Weggehens und Ankommens, das Empfinden von Zeit sind für mich gerade im 2. Klavierkonzert, was mir als das emotional eingängigere erscheint, tragende Elemente, die ich auf die Bühne übersetzen möchte.
kreuzer: Sie haben unter Uwe Scholz selbst das 3. Klavierkonzert als Solist getanzt. Wie ist denn Ihr Empfinden von Zeit, in Bezug auf Ihre enge Zusammenarbeit mit Uwe Scholz?
SCHRÖDER: Ein wesentlicher Faktor. Ich glaube, dass jeder Mensch ein eigenes Zeitkontinuum, ein Tempo mitbringt. Und wenn eine Begegnung mit einem Menschen so intensiv war wie die mit Uwe Scholz, nimmt man das Zeitkontinuum des anderen mit sich. Und beeinflusst dadurch sein eigenes Zeitempfinden. Selbst wenn der andere nicht mehr da ist. Uwe Scholz war für mich ein Mentor und ein Freund. Aber ich nehme seine Arbeiten damals und jetzt aus einer anderen, meiner Zeit und meiner Tradition heraus wahr. Ich bringe meine eigene Geschichte mit und deshalb ist auch klar, dass ich einen Zugang dazu habe.
kreuzer: Sie haben an der Paluccaschule studiert, kommen also vom klassischen und deutschen Ausdruckstanz. Wo gibt es in der Ästhetik Uwe Scholz’ und Ihrem künstlerischen Anspruch im »Rachmaninow« Schnittmengen?
SCHRÖDER: Ich glaube, die wird man sehen und dazu muss man auch kein Kenner sein. Aber mir geht es nicht darum, zu vergleichen, zu sagen, das ist Scholz, das ist Schröder.
kreuzer: Mit dem »Rachmaninow« erinnert die Oper an den zehnten Todestag von Uwe Scholz. Sie stellen darin eine Scholz-Choreografie, das 3. Klavierkonzert, einer eigenen Inszenierung, dem 2. Klavierkonzert, gegenüber. Wie bewahren Sie dabei das Erbe von Uwe Scholz?
SCHRÖDER: Mir geht es nicht um Bewahrung im Sinne von musealer Konservierung seiner Arbeiten, das ist so auch gar nicht möglich. Ich denke, es ist wichtig, dass die Werke von Uwe Scholz in Kommunikation treten mit Werken und Choreographen der heutigen Zeit. Das heißt nicht, dass Scholz‘ Werke nicht alleine stehen können, das auf jeden Fall. Es geht um eine Weiterführung und Weiterentwicklung in die heutige Zeit hinein.
kreuzer: Wie meinen Sie das?
SCHRÖDER: Wir können Tanz nicht wiederholen. Tanz ist extrem schnell. Wir sehen eine Bewegung und sie hinterlässt nur eine Spur in uns, dadurch wird sie zu Erinnerung. Mir geht es nicht um die Kopie der Erinnerung. Scholz‘ Choreografie des 3. Klavierkonzertes von 2014 wird heute eine andere Wirkung haben, als sie es 1997 in Leipzig hatte.
kreuzer: Inwiefern?
SCHRÖDER: Heute haben wir in der Company Tänzer aus über 21 Nationen, die alle ihre eigene Körpersprache und Kultur mitbringen. Diese Authentizität des einzelnen Tänzers ist essenziell für meine Arbeit, besonders im »Rachmaninow«. Hinzu kommt, dass die wenigsten Tänzer der Company vor ihrem Leipziger Engagement Arbeiten von Uwe Scholz kannten. All das gibt der Scholz-Choreografie eine neue Sicht und neue Ebenen. Das sich Scholz‘ »Rachmaninow« so weiterentwickeln lässt, zeigt für mich immer wieder das Potential dieser Arbeit.