Lars Eidinger sitzt im Café an der Thomaskirche und überlegt, ob er Filmsynchronisationen demnächst boykottiert. Weil bei der deutschen Version von »Sils Maria« viel von den Dialogen zerstört worden sei. In dem neuen Film von Olivier Assayas spielt er einen Regisseur, der die Neuauflage eines Theaterstücks plant, in dem eine Schauspielerin, die damals die verführerische Rolle spielte, nun den älteren Gegenpart übernehmen soll.
kreuzer: Der Film handelt vom Umgang mit dem Älterwerden. Sie sind jetzt etwa genauso alt wie Juliette Binoches Rolle in dem Film …
LARS EIDINGER: Echt?
kreuzer: … knapp 40.
EIDINGER: Krass. Stimmt. Bei Juliette Binoche denkt man immer, die müsste viel älter sein. Nicht, weil sie so alt aussieht, sondern weil sie schon so unendlich viel gemacht hat. Ich zähle mich da zur jüngeren Generation.
kreuzer: Für Männer spielt es auch nicht so eine große Rolle, ob sie 30 oder 40 Jahre alt sind, oder?
EIDINGER: Bei Männern ist man generell großzügiger, was den Alterungsprozess angeht und die Spuren, die er hinterlässt. Aber ich leide da auch drunter. Weil das ja bedeutet, dass es auf den Tod zugeht. Ich finde auch Falten in meinem Gesicht nicht schön und mache mir vor dem Spiegel Gedanken darüber, ob sie tiefer und schlimmer werden. Dennoch bin ich der Letzte, der darüber nachdenkt, sich operieren zu lassen. Nach Schönheits-OPs müsste man die Leute auf der Straße einfach auslachen, damit das aufhört und andere das nicht nachmachen. Die haben scheinbar die falschen Freunde und niemanden, der ihnen sagt: Es ist schade, dass dein Gesicht älter aussieht, aber es sieht noch viel schlimmer aus, wenn du daran herumbastelst.
kreuzer: Aber gerade für Schauspieler ist das Aussehen sehr entscheidend.
EIDINGER: Ja, aber genau deswegen verstehe ich nicht, warum Schauspieler ihr Gesicht durch Botox lähmen. So sehen ja keine Menschen aus. Gerade bei Schauspielern geht es darum, das Leben und die Menschen abzubilden, wie sie sind. Und normale Menschen spritzen sich nicht ihr Gesicht taub.
kreuzer: Doch ist es im zunehmenden Alter für Frauen schwieriger, spannende Rollen angeboten zu bekommen.
EIDINGER: Absolut. Das ist aber ein gesellschaftliches Problem nicht nur der Schauspieler, sondern auch der Zuschauer, die in ihren Sehgewohnheiten nicht an Falten gewöhnt sind. Wenn man Menschen mit alten Gesichtern öfter einsetzen würde, wäre der Umgang damit anders. Aber da alles verfälscht und bearbeitet wird, denkt man, die Gesichter aus der Werbung gäbe es wirklich und die will man dann auch sehen. Alles andere verstört oder irritiert einen. Da sollte man wirklich umdenken! Aber ich nehme mich da selbst nicht aus. Wenn ich die Dove-Werbung sehe, finde ich die auch nicht schön, sondern schaue mir lieber gephotoshopte Models an.
kreuzer: Die Dove-Models sahen doch nicht schlecht aus.
EIDINGER: Nein, natürlich nicht. So sehen Frauen ja auch aus. Aber trotzdem fahre ich nicht am Plakat vorbei und sage: Wow!
kreuzer: Die meisten Filme fallen beim Bechdel-Test durch, der als Kriterium an die Handlung angibt, dass sich zwei namentlich genannte Frauen über etwas anderes als Männer unterhalten. Warum kommt das im Kino so selten vor?
EIDINGER: Weil wir in einer extrem männerdominierten Welt leben. Gerade beim Film hat man ja das Gefühl, dass einem alles aus Männerperspektive erzählt wird. Selbst wenn Frauen im Mittelpunkt stehen, ist es meistens der Blick eines Mannes auf die Frau. Auch bei einer Sexszene wird anhand der Erregung der Frau nur die Potenz des Mannes erzählt. Es geht also wieder nur um den Mann. Das finde ich fatal. Das hat aber auch mit unserer Geschichte zu tun, in der Männer regierten und dominierten und dies nach wie vor tun. Die Hoffnung wäre, dass die Frau bald eine entscheidende und wichtige Rolle spielt. Ich glaube tatsächlich, dass das weibliche Prinzip eine viel bessere Gesellschaft hervorbringen würde als die, in der wir jetzt leben.
kreuzer: Warum?
EIDINGER: Auch wenn es banal klingt: Vieles, unter dem wir leiden – Kriege, Autobahnen, Umweltverschmutzung –, hat auch mit einer destruktiven, verschwenderischen, männlichen Macho-Haltung zu tun. Die Frau wäre für ihr Umfeld da viel verantwortlicher. Der Mann ist aggressiver und setzt sich durch. Durch seine körperliche Überlegenheit. Das ist ja nicht erst seit zehn oder hundert Jahren so, dass der Mann die führende Rolle hat.
kreuzer: Und nun?
EIDINGER: Ich weiß nicht, was wir da jetzt machen können. Entweder eine Revolution oder Rebellion der Frau oder aber der Mann sieht es irgendwann ein und tritt einen Schritt zurück. Das wage ich zu bezweifeln, aber das wäre ja eigentlich ein guter Move. Es hat sich natürlich auch schon was verändert. Wir haben eine Bundeskanzlerin, auch in der Fernsehlandschaft gibt es weitaus mehr Frauen als noch vor 20 Jahren.
kreuzer: In »Sils Maria« erzählt Olivier Assayas von drei Frauen. Weil alle drei sehr selbstbestimmt rüberkommen, merkt man hier den männlichen Blick nicht gleich.
EIDINGER: Es ist natürlich trotzdem ein männlicher Blick, denn Olivier Assayas hat ja auch das Buch geschrieben. Aber der Unterschied ist, dass sich seine Filme immer durch ein großes Interesse an den Figuren, aber auch an den Schauspielerpersönlichkeiten auszeichnen. Dadurch können sich die Charaktere – und in diesem Fall die Frauen – vor der Kamera sehr entfalten und scheinbar unbeeinflusst präsentieren. Also auch so, wie sie sich vielleicht gerne selbst sehen und zeigen wollen. Auch wenn das jetzt doof klingt, glaube ich, dass Olivier Assayas eine sehr weibliche Seite hat oder sie vor allem zulässt.
kreuzer: Hat er Sie deshalb dazu bewogen, bei dem Film mitzuspielen?
EIDINGER: Da gabs 1.000 Gründe. Ich war vorher schon ein Fan von ihm, aber ich fand auch das Buch super: eine sehr ungewöhnliche Art des Erzählens, weil sie sich nicht an einer klassischen Dramaturgie orientiert und auf irgendetwas Konkretes abzielt. Ich finde es immer schön beim Gucken, wenn ich als Zuschauer nicht vordergründig einem Suspense-Pfad folgen muss, sondern einfach nur den Leuten. Das hat vielmehr mit dem Leben zu tun, wie ich es kenne. Die wenigsten von uns leben in einem permanenten Thrill. Nur in Filmen gibts den immer.
kreuzer: Man sieht Juliette Binoche und Kristen Stewart oft bei ganz alltäglichen Dingen: Wie sie wandern, wie sie sich betrinken, rauchen oder ins Casino gehen.
EIDINGER: Die Beziehung, die die beiden da spielen, finde ich irrsinnig komplex und aufregend. Nicht nur schauspielerisch brillant, sondern sehr interessant unter dem Aspekt, wie Frauen miteinander umgehen und was sie beschäftigt: ihre Ängste, aber auch der Spaß, den sie miteinander haben. Das ist toll, das habe ich selten gesehen, aber es wird auch viel zu selten gezeigt.
kreuzer: Wie war die Zusammenarbeit mit den beiden?
EIDINGER: Ich konnte mir kaum vorstellen, mit ihnen zu spielen. Das finde ich immer etwas surreal, wenn Leute, die ich nur aus dem Fernsehen oder Kino kenne, plötzlich leibhaftig vor mir stehen.
kreuzer: Sind Sie dann aufgeregt wie ein Fan?
EIDINGER: Na ja, ein Fan war ich vielleicht am ehesten von Juliette Binoche. Mit Kristen Stewart hatte ich nur einen Mini-Moment, den wir ohne Probe gedreht haben. Und als sie dann in der Szene auf mich zukam, dachte ich, ich sitz im Kino. Außerdem hat sie im Take so leise und undeutlich gesprochen, dass ich nichts verstanden habe. Da musste ich direkt privat grinsen – das ist auch immer noch im fertigen Film drin. Und die Begegnung mit Juliette Binoche war für mich das Beste, was ich jemals beim Partnerspiel erlebt habe. Eine bessere Spielpartnerin als Juliette Binoche habe ich noch nie erlebt. Ich hatte teilweise wirklich Schwierigkeiten zu sagen, was bei ihr gespielt ist und was real. Wenn sie gespielt hat, sie sei angetrunken, dann bin ich tatsächlich darauf reingefallen. Und sie hat vor der Kamera so mit mir geflirtet, dass ich dachte, die ist wirklich verknallt in mich. Aber direkt nach der Aufnahme war wieder alles vorbei. Das hat mich umgehauen.
kreuzer: Sie hat mit Ihnen geflirtet?
EIDINGER: Würde ich schon sagen. Wie jede Schauspielerin mit einem Regisseur flirtet oder auch jeder Schauspieler immer flirtet. Sie hat mir jetzt keine Avancen gemacht. Schauspielerei ist ja generell flirtiv, weil es darum geht, dem Gegenüber zu gefallen, es für sich einzunehmen oder sich zu interessieren. Außerdem ist es immer ein intimer Moment, sich im Spiel zu begegnen.
kreuzer: Bislang haben Sie meistens in deutschen Filmen mitgespielt. War es schwierig, auf Englisch zu drehen?
EIDINGER: Ja. Dadurch, dass es nicht meine Muttersprache ist. Da ist es natürlich von Vorteil, dass ich einen Deutschen spiele, der Englisch redet, weil er mit amerikanischen Schauspielern zusammenarbeiten will. Aber ich merke, dass ich mich als Schauspieler daran orientiere, wie ich Sätze schon mal gesagt oder gehört habe. Da ist meine Erfahrungsschatz im Englischen nicht so groß. Und als ich mich für den Film jetzt selbst synchronisiert habe, kam ich mir seltsam fremd vor. Ich habe dann das Gefühl, ich sehe einen Hollywoodfilm, in dem die Tür aufgeht und Lars Eidinger reinkommt. So reinmontiert. Geht das dem Zuschauer auch so?
kreuzer: Nein.
EIDINGER: Gut, wäre ja auch blöd.
kreuzer: Es war eher irritierend, plötzlich Leipziger Orte wiederzuerkennen.
EIDINGER: Ja, aber das soll man natürlich nicht. Das soll ja London sein.
kreuzer: Wieso habt ihr auch hier gedreht?
EIDINGER: Auf Grund der Filmförderung. Aber es war schon seltsam, mit einem Londoner Taxi durch Leipzig zu fahren.
kreuzer: Gerade kommen Sie aus St. Petersburg.
EIDINGER: Ja, da habe ich auf Russisch gedreht! Ich kann kein Wort Russisch. Ich habe das alles phonetisch mit einer Lehrerin gelernt. Ich spiele den russischen Zaren Nikolai II., also auch nicht irgendeinen Russen an sich.
kreuzer: Da können Sie dann überhaupt nicht improvisieren, oder?
EIDINGER: Nein. Vor allem wird es dann schwierig, wenn die Kollegen sich nicht strikt an den Text halten, den ich mitgelernt habe, damit ich weiß, wie ich reagieren muss und wann ich dran bin. Der Regisseur hat dann auch mal zu mir gesagt: Warum stierst du denn so vor dich hin? Weil ich nichts verstehe. Das fühlt sich oft sehr gefaked an. Weil Schauspielerei ja nicht nur heißt zu spielen, wenn man dran ist, sondern auch zuzuhören. Andererseits ist es natürlich aufregend, in anderen Ländern zu drehen. Ich beneide Tänzer und Sänger oft darum, dass sie international unabhängig arbeiten können. Als Schauspieler ist man ja sehr an die Sprache gebunden. Ich freue mich, wenn das funktioniert und Leute sagen: Ich verstehe dich. Aber ich bin natürlich unsicherer und leichter zu verunsichern.
kreuzer: Andererseits ist es aber auch fordernd, oder? Man agiert ja in einer anderen Sprache automatisch oft ganz anders.
EIDINGER: Ja. Das Casting für die Zaren-Rolle habe ich auf Englisch gemacht und wir haben dann überlegt, ob wir es nicht auch auf Deutsch machen. Da habe ich aber gemerkt, dass mir die Figur völlig abhaut. Die russische Sprache und der angeklebte Bart helfen mir schon sehr, mich in die Rolle Nikolai II. zu versetzen.