Hollywood horcht auf: Die Nominierungen der 87. Oscarverleihung sind raus! Überraschungen sind rar – doch selbst das ist keine wirkliche. Schließlich sind vor nicht einmal einer Woche die Golden Globes verliehen worden, traditionell der Gradmesser für die Academy Awards. So finden sich auch viele der diesjährigen Gewinner unter den Nominierten, wie etwa »Boyhood«, »Grand Budapest Hotel« und »Birdman«. Aber es gibt auch ein paar ungewöhnliche Entscheidungen. Für einen deutschen Beitrag unter den fremdsprachigen Filmen hat es zwar nicht gereicht, aber mit Wim Wenders' »Das Salz der Erde« ist ein deutscher Dokumentarfilm nominiert. Unter den Nominierten für die beste Hauptdarstellerin ist eine Französin in einem belgischen Film: Marion Cotillard, die in »Zwei Tage, eine Nacht« der Dardenne-Brüder brillierte. Absolut verdient, aber es mag auch an der wieder einmal herrschenden Mangelware an starken Frauenrollen liegen. Eine davon ist immerhin in dieser Woche in unseren Kinos zu sehen: Reese Witherspoon spielt Cheryl Strayed in der Verfilmung der Chronik ihres Selbstfindungstrips »Wild«. Witherspoon kann sich damit beste Chancen für einen der begehrten Goldjungs ausrechnen. Davon könnt ihr euch ab jetzt im Kino überzeugen. Wir wünschen spannende Stunden.
Film der Woche: Das Recht auf Selbstbestimmung, zu lieben und zu verlassen, wen man will, ist ein Privileg unserer Gesellschaft. Wie wertvoll es insbesondere für Frauen ist, zeigt auf schmerzhafte Weise ein Blick in die jüdische Gesellschaft Israels. Viviane Amsalem will sich von ihrem Mann trennen. Doch ebenso wie über Eheschließungen kann nur ein jüdisch-orthodoxes Rabbinergericht über die Scheidung entscheiden – und die bedarf in jedem Falle der Zustimmung des Ehemannes. Doch der erscheint trotz Vorladung nicht vor Gericht. Über fünf Jahre schleppt sich so ein kräftezehrender Prozess hin, bei dem deutlich wird, dass das Wort der Frau in einer Gesellschaft wie dieser nichts bedeutet.
In minimalistischen Bildern und kargen Spielorten erzählen die jüdischen Regisseure Ronit Elkabetz, die auch die Hauptfigur verkörpert, und ihr Mann Shlomi von einem zermürbenden Kampf um Freiheit. Den Grund für die Trennung sparen sie dabei bewusst aus. Es geht ihnen um das Prinzip der Selbstbestimmung in einer scheinbar modernen Gesellschaft. Wie ernst es ihnen dabei ist, unterstreichen die zahlreichen Close-ups, bei denen Vivianes Mimik mehr verrät, als Dialoge es tun. Ein Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit, gegen das sinnlose Patriarchat inmitten verknöcherter Gesetze. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Get – Der Prozess der Viviane Amsalem«: 15.–19.1., Cineding, ab 20.1., Cinémathèque in der naTo
Die wahre Geschichte eines außergewöhnlichen Abenteuers: Nach Jahren des ziellosen Umhertreibens, einer Heroinsucht und dem Ende ihrer Ehe trifft Cheryl Strayed (Reese Witherspoon) eine wagemutige Entscheidung. Verfolgt von Erinnerungen an ihre Mutter Bobbi (Laura Dern) und ohne jegliche Wandererfahrung begibt sie sich völlig allein auf einen Trip der Extreme. Drei Monate lang kämpft sie sich fast zweitausend Kilometer über die Höhenzüge des Pacific Crest Trail an der US-Westküste von Südkalifornien bis in den Norden Oregons. Eindringlich, kraftvoll und visuell beeindruckend zeigt »Der große Trip – Wild« die Gefahren, Schrecken und Freuden dieses kräftezehrenden Fußmarsches, der sie Schweiß, Blut und Nerven kostet, aber gleichzeitig stärker macht. Beeindruckender Selbstfindungstrip von Jean-Marc Vallée (»Dallas Buyers Club«), frisch Oscar-nominiert in der Hauptrolle Reese Witherspoon.
»Der große Trip – Wild«: ab 15.1., Passage Kinos (auch OmU)
kreuzer verlost 2 Pakete aus Buch und Freikarten. eMail an film@kreuzer-leipzig.de (Betreff: »Selbstfindungstrip«)
Frau Müller muss weg! So viel steht fest für die Abordnung der Eltern einer Übergangsklasse in Dresden, die sich für einen außerordentlich einberufenen Elternabend auf dem Parkplatz der Schule versammeln. Die Nerven liegen blank bei der Elternschaft. Man fürchtet darum, dass die Versetzung der Kinder aufs Gymnasium gefährdet sein könnte. Der Grund dafür ist längst gefunden: Die Klassenlehrerin ist hoffnungslos überfordert, hat die Klasse und den Lehrstoff nicht im Griff. Außerdem macht das Gerücht die Runde, Frau Müller sei in therapeutischer Behandlung. Grund genug, endlich einzugreifen, jetzt, bevor es zu spät ist und die Schüler der Klasse den Preis für die vermeintlich offenkundigen Unzulänglichkeiten und Versäumnisse ihrer Lehrerin bezahlen müssen.
So stehen die fünf Eltern also da, die ausgewählt wurden, Frau Müller im Namen der Elternschaft mitzuteilen, dass man ihr das Vertrauen entzogen hat und man sich für den Rest des Jahres einen neuen Klassenlehrer wünscht. Zur Sprecherin der Gesandtschaft hat sich Jessica Höfel (Anke Engelke) ernannt, eine knallharte Karrierefrau, die es gewohnt ist, anderen zu sagen, wie der Hase läuft, und die jetzt alle darauf einschwört, sich auf keinen Fall von der Lehrerin einlullen zu lassen und das Reden am besten ihr zu überlassen.
Jessica kennt ihre Pappenheimer: Vor allem fürchtet sie den arbeitslosen Wolf Heider (Justus von Dohnányi), der mit seiner passiv-aggressiven Art dazu neigt, jede Diskussion an sich zu reißen und schließlich immer nur um sich und seine Tochter kreisen zu lassen. Allerdings verfolgen auch die anderen Eltern ihre eigene Agenda. Das aus dem Westen zugezogene Ehepaar Patrick und Marina Jeskow (Ken Duken und Mina Tander) will vor allem darüber reden, dass ihr begabter Sohn Lukas in der Klasse ausgegrenzt wird. Nur die alleinerziehende Katja Grabowski (Alwara Höfels) hält sich zurück. Sie ist einzig aus Solidarität mitgekommen, obwohl sie eigentlich keinen Grund zur Klage hat: Ihr Kind ist Klassenbester und muss keine Angst haben, nicht aufs Gymnasium versetzt zu werden.
Die aufgeregten Eltern werden vom Hausmeister in die leere Schule gelassen und ins Klassenzimmer gebracht. Längst ist klar, dass nur die Angst um ihre Kinder die Eltern eint, dass die gemeinsame Front gegen die Klassenlehrerin wackelig ist, dass es tief verankerte Ressentiments gegeneinander gibt. Und dann kommt Frau Müller (Gabriela Maria Schmeide), die einen normalen Elternabend erwartet und nicht ahnt, was die Eltern wirklich im Schilde führen. Sie fällt aus allen Wolken, als ihr reiner Wein eingeschenkt wird. Frau Müller steht sichtlich unter Schock, ringt um ihre Fassung. Doch dann reagiert sie ganz anders, als die Eltern es erwartet haben. Anstatt sich in die Defensive drängen zu lassen und dem Ansinnen nachzugeben, geht die Lehrerin zum Angriff über.
Sönke Wortmann inszenierte die realsatirische Komödie mit einem beachtlichen Ensemble und legt den Finger ganz tief hinein in die offene Wunde der Bildungspolitik. Basierend auf dem erfolgreichen Theaterstück von Lutz Hübner ist ihm eine bittersüße Abrechnung mit dem Bildungssystem in Deutschland gelungen.
»Frau Müller muss weg!«: ab 15.1., Passage Kinos, CineStar
kreuzer verlost 3 Pakete aus Wörterbuch (Langenscheidt Verlag) und Hörspiel. eMail an film@kreuzer-leipzig.de (Betreff: »Schultheater«)
Die Filmtermine der Woche
Queere Filmwoche
Zum fünften Mal gibt es Mitte Januar in der Kinobar Prager Frühling und im UT Connewitz schwul-lesbisches Kino in geballter Form zu bewundern. Ein kleiner Geburtstag, der gefeiert werden will. Mit einem umfassenden Blick ins Kino des kanadischen Wunderkinds Xavier Dolan, Kurzfilmen, Preview und Party mit Donis und Mrs. Pepstein (17.1.). Vor allem aber mit vielen spannenden Filmen, die es für jeden zu entdecken gilt.
15.–21.1., Kinobar Prager Frühling, UT Connewitz
13. Klangkino
Konzert und Film im Cineding: Peter A. Bauers Bradbury Pop wagt sich diesmal an Tim Burtons »Mars Attacks« von 1996. Das könnte eine schön skurrile Mischung werden.
17.1., 19 Uhr, Cineding
Perlen des frühen europäischen Stummfilmkinos
Stummfilmkino aus Großbritannien und Frankreich von 1895 bis 1913 live begleitet von der Kinoorgel mit Einführungen von Veit Heller und Claudia Cornelius.
17.1., 18 Uhr, Grassi-Museum Leipzig
U.F.O. Kurzfilmfestival
Zum zehnten Mal flimmern internationale Kurzfilme über die Leinwand in der Halle A des Werk 2. Zum Jubiläum erstmals prämiert von einer Fachkundigen-Jury. Anschl. Party mit Zona Sur und DJs.
17.1., 20 Uhr, Werk 2/Halle A
24 Präludien für eine Fuge
Dieses Porträt ist der erste autorisierte Dokumentarfilm über den estnischen Komponisten Arvo Pärt – mit Momentaufnahmen aus drei Jahren: Proben, Premieren, Gespräche und Erinnerungen. Regisseur Dorian Supin gelingt es, Arvo Pärts musikalisches Denken zu offenbaren und die Tür in die innere Welt eines der spirituellsten Komponisten unserer Zeit und bedeutendsten Vertreters der Neuen Musik zu öffnen. Im Rahmen des Ice Festivals.
18.1., 19 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Die durch die Hölle gehen
Brillant inszenierte, aber auch umstrittene Geschichte vom Einbruch des Vietnamkriegs in das Leben dreier junger Männer. Fünf Oscars, u. a. für Regisseur Michael Cimino und Christopher Walken. Classic Cinema.
18.1., 17.15 Uhr, Regina Palast
Io sto con la sposa – Auf der Seite der Braut
Eine Geschichte von fünf geflüchteten Menschen, wie sie die Geschichte vieler an den europäischen Außengrenzen ist – bis diese nach Mailand kommen und beschließen, ihre Geschichte selbst zu schreiben.
18.1., 20 Uhr, Neues Schauspiel Leipzig
Sachamanta
Im Jahre 2000 beschließt eine kleine Gruppe argentinischer Campesinos – Bauern, die in ärmlichen Verhältnissen leben – eine eigene, freie Radiostation zu gründen. Ihr Ziel ist es, der irreführenden und teilweise verleumdenden Berichterstattung der Massenmedien etwas entgegensetzen zu können und mediale Unabhängigkeit zu erreichen. Anschl. Gespräch mit den Filmemachern.
18.1., 17 Uhr, Die ganze Bäckerei
Das Mädchen Rosemarie
1957 wurde in Frankfurt das bekannteste Edel-Callgirl ermordet. Zu ihren Kunden sollen auch sehr prominente Industrielle gehört haben. Dieser Mord wurde nie aufgeklärt. Der Film befasst sich mit den Umständen der damaligen Zeit, der Doppelmoral in der Wiederaufbauzeit und persifliert diese Missstände.
19.1., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum
Ich will mich nicht künstlich aufregen
Die eloquent-kultivierte Berlinerin Asta Andersen ist Kuratorin für zeitgenössische Kunst und bereitet zurzeit ihr Ausstellungsprojekt vor: einen Film mit dem Titel »Das Kino! Das Kunst!«, der den Zusammenhang von Kino, Kunst und Politik thematisiert. Als Asta in einem Radio-Interview unbequeme Wahrheiten über die Bedingungen ausspricht, unter denen Kunst produziert wird, diskreditiert sie sich damit bei ihren Geldgebern. Im Anschluss Filmgespräch mit dem Regisseur Max Linz.
21.1., 19 Uhr, Cinémathèque in der naTo
Filmriss Filmquiz
Der Vorhang hebt sich, die Titelmusik beginnt, ein Geistesblitz und ihr seid um ein T-Shirt reicher. Ein Auto fährt vor, Bruce Willis steigt aus, ihr wisst bescheid und die DVD gehört euch. Ihr singt die Bond-Songs unter der Dusche und werft eurem Spiegelbild nen Schwarzenegger-Spruch entgegen, wenn keiner hinhört? Dann seid ihr hier genau richtig! Wir belohnen euer Talent mit Bergen voll Goodies, Merch und Krempel aktueller Kinoproduktionen. Wir feiern Film und schwelgen in Erinnerung an unvergessliche Szenen, Sets und Zeilen. Auf der großen Leinwand, in Technicolor und Dolby Stereoton.
22.1., 20.30 Uhr, Conne Island