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Stadtleben

»Weit und breit keine Polizei«

Journalist René Loch über die Legida-Angriffe auf Journalisten und den Polizeieinsatz

  »Weit und breit keine Polizei« | Journalist René Loch über die Legida-Angriffe auf Journalisten und den Polizeieinsatz

Der freie Journalist René Loch (schreibt unter anderem auch für den kreuzer) hat die Angriffe von Legida-Demonstranten auf Journalisten am letzten Mittwoch beobachtet. Zudem äußert er Kritik an dem Einsatz der Polizei.

kreuzer: Du hast die Angriffe auf die Journalisten miterlebt. Wie lief das ab?

RENÉ LOCH: Die Stimmung gegenüber Journalisten war von Anfang an aggressiv. Gleich zu Beginn des Marsches beschleunigten die Bannerträger an der Front plötzlich dermaßen das Tempo, dass die Fotografen und Kameraleute teils ausweichen mussten. Das war natürlich noch relativ harmlos. Es folgten die üblichen »Lügenpresse«-Rufe. Außerdem wurden Aufnahmen durch den Einsatz von Laserpointern gezielt gestört. Die ersten Übergriffe konnte ich auf der Strecke zwischen Polizeidirektion und Leuschner-Platz beobachten. Vermummte Teilnehmer wurden hier zunehmend aggressiv und stießen Drohungen gegenüber Journalisten aus, die vor beziehungsweise neben dem Aufzug liefen – von Mephisto wurde das auf Soundcloud ja gut dokumentiert. Immer mehr Leute, die man getrost dem Hooligan- oder Neonazispektrum zuordnen kann, scherten dann immer weiter aus der Kundgebung aus, bis schließen die ersten zu rennen begannen. Ich konnte das zunächst gar nicht so richtig glauben, dass hier tatsächlich gerade Jagd auf Journalisten gemacht werden sollte, aber als die meisten Kollegen wegrannten und man auch mir näherkam, bin ich dann ebenfalls abgehauen. Einen konkreten Schlag oder Tritt habe ich nicht beobachtet, allerdings sah ich, wie ein Fotograf rechts neben mir stürzte. Er rappelte sich dann auf und lief weiter, Teile seiner Kamera lagen auf dem Boden. Das Ganze dauerte vielleicht 30 Sekunden. Direkt auf dem Leuschner-Platz verließen dann wieder mehrere Personen den Demozug, ob sich ihre Aggressionen hier gegen die Journalisten oder gegen die Gegendemonstranten richteten, kann ich nicht beurteilen. Es flog auch eine Flasche aus dem Legida-Zug, die aber meines Erachtens niemanden traf. Mittlerweile wurden auch die Ordner zunehmend aggressiver und forderten die Journalisten wiederholt auf, nicht mehr zu filmen. Ein Fotograf berichtete mir später am Abend noch von einem weiteren Angriff auf Pressevertreter am Hauptbahnhof. Weitere Einschüchterungsversuche sind in dem Video dokumentiert, das Freitagabend im Internet auftauchte.

kreuzer: Wie hat die Polizei darauf reagiert?

LOCH: Bei der Situation kurz vorm Leuschner-Platz war weit und breit keine Polizei zu sehen. Die ersten Polizisten, die ich sehen konnte, waren die am Leuschner-Platz – etwa 50 Meter entfernt. Mein Eindruck war der, dass, als die Presseleute schon rannten, die Polizei noch nicht reagierte, obwohl es ja auch akustisch gut zu vernehmen gewesen sein muss, dass da gerade etwas passierte. Die Polizei erschien erst dann, als sich die eigentliche Situation schon wieder beruhigt hatte. Als ein paar Legida-Teilnehmer dann am Leuschnerplatz noch mal in Stellung gingen, hatte ich nicht den Eindruck, dass die Polizisten diese Personen ganz genau im Blick hatten.

kreuzer: Der Polizeieinsatz an diesem Tag wurde schon von mehreren Seiten kritisiert. Was war noch unangemessen?

LOCH: Leider vieles. Unangemessen war es definitiv, einen Demozug teilweise unbeobachtet laufen zu lassen, an dessen Spitze neben den Organisatoren offensichtlich vermummte Hooligans und Neonazis liefen. Journalisten wurden nicht vor Angriffen oder Drohungen geschützt. In direkter Nachbarschaft zu Polizisten konnten sich Legida-Teilnehmer vermummen oder Kameramenschen bei ihrer Arbeit bedrängen. Das alles passierte – wie gesagt – nicht irgendwo in der Mitte des Zuges, sondern an dessen Spitze. Ein Fotograf erzählte mir, dass ihm der Ratschlag gegeben wurde, nach Hause zu gehen, wenn er sich bedroht fühle. Dass Legida von der ersten bis zur letzten Minute trotz dieser Zwischenfälle einfach laufen durfte, ist für mich unbegreiflich. Ich hatte den Eindruck, die gesamte Aufmerksamkeit der Polizei galt an diesem Abend den Gegendemonstranten. Das erkannte man auch später am Bahnhof, als Polizisten immer wieder Personen wegjagten, die nichts anderes taten, als in deutlicher Entfernung zu Legida-Teilnehmern verbal ihren Unmut zu äußern.

kreuzer: Du wirfst der Polizei vor, eher auf der Legida-Seite zu stehen. Auch andere sagen, die Polizei sei auf dem rechten Auge blind. Was sind Anzeichen dafür?

LOCH: Tja, in Sachsen stinkt der Fisch leider vom Kopf her. Man leistet sich hier eine Extremismusklausel, die Antirassisten unter Generalverdacht stellt. Immerhin könnte damit gemäß Koalitionsvertrag bald Schluss sein. Die Ermittlungsbehörden nehmen Teilnehmer von Antinazidemos wie den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König oder Tim H. ins Visier und während der Verhandlungen stellt sich dann heraus, dass entlastendes Beweismaterial vorenthalten oder Videomaterial zu Ungunsten der Angeklagten zurechtgeschnitten wurde. Und jahrelang wird gegen eine Antifa-Sportgruppe ermittelt, die es wohl nie gegeben hat. Vor diesem Hintergrund ist das Handeln der Polizei, denke ich, auch zu beurteilen. Dem Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz sollte man sicherlich keine Sympathien für Legida unterstellen – ganz im Gegenteil –, aber die Ereignisse rund um die Legida-Demo lassen für mich schon den Schluss zu, dass man die knapp 20 Prozent, die in Deutschland mit Pegida sympathisieren, teilweise auch bei der Polizei findet. Passend dazu ein Post von Pegida-Mitorganisator Siegfried Däbritz gestern auf Facebook: Zu sehen ist ein Polizeiwagen am Rande der Pegida-Kundgebung – auf dem Armaturenbrett liegt eine Deutschlandfahne. Der Generalvorwurf, die Polizei würde sich auf die Seite von Legida schlagen, ist sicherlich zu hart. Aber wenn die Leipziger Polizeigewerkschaft eine Erklärung herausgibt, in der sie mit Legida-Vokabular hantiert und mal eben Leute, die zivilen Ungehorsam ausüben, mit militanten Extremisten gleichsetzt, dann kommt man schon ins Grübeln.

kreuzer: Kritik gabs auch an den Teilnehmerzahlen der Polizei. Wie können die so sehr von den Zählungen der Soziologen und Fotografen abweichen?

LOCH: Um das beurteilen zu können, bin ich zu wenig Experte. Die Tatsache, dass zahlreiche Journalisten deutlich weniger Teilnehmer geschätzt haben und nun ein Team von Soziologen mit drei voneinander unabhängigen Methoden zu dem Ergebnis kommt, dass es gerade einmal ein Drittel der angeblich 15.000 waren, lässt mich schon arg an den Zahlen der Polizei zweifeln. Schon bei der ersten Legida-Kundgebung hatten andere Wissenschaftler die Polizeizahlen ja hinterher mehr als halbiert – und auch damals waren Journalisten bereits von niedrigeren Zahlen ausgegangen. Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass die Polizei eine unabhängige, vollkommen uneigennützig agierende Instanz ist. Wenn man 44 Hundertschaften aus ganz Deutschland anfordert und dann demonstrieren statt 100.000 Menschen nur etwa 20.000, kommt man sicher in Erklärungsnot. Hinzu kommt das berechtigte Thema Personalabbau beziehungsweise -mangel: Da ist es nicht auszuschließen, dass die Polizei auch in eigener Sache Politik macht. Man könnte noch zahlreiche andere Vermutungen anführen, worauf diese Diskrepanz zurückzuführen ist – damit begibt man sich aber wohl ins Reich der Verschwörungstheorien.

kreuzer: Am Mittwoch will Legida wieder demonstrieren. Was sollte sich ändern?

LOCH: Das hängt maßgeblich davon ab, welche Art der Kundgebung Legida genehmigt bekommt. Sollte es wieder einen Marsch über Teile des Rings geben, so muss die Polizei diesmal mehr Präsenz dort zeigen, wo sie erforderlich ist, und bei massiven Verstößen gegen Versammlungsrecht oder gegen die Auflagen, also bei massenhafter Vermummung, fliegenden Gegenständen und Angriffen auf Journalisten, einschreiten. Natürlich muss die Polizei auch deeskalierend wirken und sollte nicht wegen einer einzigen Vermummung die gesamte Demo auflösen, aber wenn Pressevertreter an ihrer Arbeit gehindert werden, sollte Legida keine Narrenfreiheit erhalten. Nicht zuletzt deswegen, weil das dazu ermuntern könnte, beim nächsten Mal komplett über die Strenge zu schlagen. Selbstverständlich hat die Polizei auch dafür Sorge zu tragen, dass effektiver Protest gegen Legida möglich ist und die Leute ihre Kundgebungen erreichen können – das war am vergangenen Mittwoch wohl häufig nicht der Fall. Ganz generell: Ein bisschen mehr Mut zur Selbstkritik wäre schön.


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