»Nowhere Fast«: Mit seinem Vortrag leitet Mark Fisher am Donnerstag die Veranstaltungsreihe »Absolute Gegenwart« ein. Von April bis Juli soll darin die paradoxe Gegenwart zwischen Hypergeschwindigkeit und Stillstand betrachtet werden. Vorab erklärt Theoretiker, Essayist und Kritiker Fisher, wieso die Zukunft von heute enttäuschend ist.
kreuzer: Im gerade erschienenen Essayband »Gespenster meines Lebens« stellen Sie fest, dass wir in einer Zeit verlorener Zukunft leben. Wie ist das gemeint?
MARK FISHER: Es ist das Gefühl, dass das 21. Jahrhundert heimgesucht wird von den Phantomen vieler Zukünfte – politischen, kulturellen, technologischen –, die in ihrer Verwirklichung gescheitert sind. Stellt man sich jemanden vor, der vor 40 Jahren lebte und ins Jahr 2015 versetzt wird, wäre er enttäuscht über das, was er vorfindet. Klar, es gibt das Internet, aber die Weltraumfahrt hat sich kaum entwickelt seit den 1980ern. Politisch wird die Zeit seit den Siebzigern größtenteils bestimmt durch einen immensen Angriff auf die Errungenschaften progressiver Kräfte – ein Uhr-zurück-Drehen zu den Verhältnissen vor der Sozialdemokratie. Kulturell gesehen gibts wenige bis keine Formen, die im 21. Jahrhundert entstanden und nicht schon im 20. hätten existieren können.
kreuzer: Zum Beispiel?
FISHER: Mitte des letzten Jahrzehnts begannen einige andere Kritiker und ich, das Konzept Hauntologie für eine Gruppe von Musikern zu benutzen, die diesem Gefühl von zeitlicher Krise und Enttäuschung auf verschiedene Arten Gestalt verleihen. Das Label Ghost Box träumte irgendwie die sozialdemokratische Ära zurück. Ihre Verwendung elektronischer Sounds, ihr Bezug zum Grafik-Design der 1960er und 1970er wirkten wie ein Vorwurf an die Gegenwart. Oder Burial: Seine Musik wurde heimgesucht von den Gespenstern der – damals – jüngsten Vergangenheit, der britischen elektronischen Dance Music der 1990er (Jungle, Garage, 2-step). Seine Musik stellte die Frage: Was geschah mit dem modernistischen Impuls in der Dance Music? Durch die 90er befand sie sich in einem Zustand mutierender Dynamik, wirbelte beständig neue unerwartete Sounds und Gefühle auf. Mitte der Nullerjahre gabs nichts Vergleichbares. Was mir wichtig ist: Es geht nicht um das Verlangen, die Vergangenheit zurückzuholen, sondern um die Zukünfte, die die 70er und 90er entwarfen, die sich aber nie realisierten. Populärer Modernismus zwang uns dazu, ein 21. Jahrhundert zu imaginieren, das sich sehr unterscheidet von der Zeit, in der wir aktuell leben.
kreuzer: Was ist populärer Modernismus?
FISHER: Im populären Modernismus konnte die Kultur herausfordernd und experimentell sein und war zugleich weit verbreitet. Ich diskutiere im Buch die Beispiele Post-Punk, Dance Music und die Filme von Stanley Kubrick. Neoliberalismus zerstörte allmählich, aber unerbittlich die Bedingungen, unter denen der populäre Modernismus gedeihen konnte. Er attackierte die direkten und – vielleicht noch wichtiger – die indirekten Quellen, die dieses Experimentieren unterstützten. Viele Dinge, die damals Künstlern die Zeit zum Experiment ermöglichten – BAföG, sozialer Wohnungsbau, Erwerbslosenunterstützung –, wurden begrenzt oder abgeschafft.
kreuzer: Im Pop sehen Sie nur ein Beispiel für den Zustand einer gegenwärtig konservativ verfassten Gesellschaft. Warum ist das so, warum fragt keiner mehr nach (kulturellen) Innovationen?
FISHER: Es liegt nicht daran, dass niemand mehr fragt, sondern dass niemand mehr etwas erwartet. Über die letzten 50 Jahre wurden unsere Erwartungen heruntergeschraubt. Wir haben implizit die Idee akzeptiert, in einer Zeit nach dem Goldrausch zu leben. Die Zeit großer Kultur liegt in der Vergangenheit. Was jedoch zuverlässig geliefert wird, sind technische Upgrades der Maschinen, mit denen Kultur verbreitet und konsumiert wird. Das gleiche alte Zeug auf höher auflösenden Bildschirmen.
kreuzer: Was tun?
FISHER: Schwierig, aber ich glaube zunehmend, dass das Problem mit der Verfügbarkeit einer bestimmten Art von Zeit zu tun hat: einer Zeit ohne Druck, eine Zeit frei von den Dringlichkeiten des Geschäfts. Nur in dieser Zeit kann Neues auftauchen. Die Einführung der »Prekarität« besteht zum Großteil in der Eliminierung dieser Art von Zeit aus der Kultur. Wir müssen für eine Rückkehr dieses anderen Zeitmodus kämpfen. Das beinhaltet die Rückkehr von vielem, was der Neoliberalismus zerstört hat. Aber ultimativ sollten wir darüber hinausblicken, was die Sozialdemokratie errichtet hat – auf etwas Radikaleres als ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das kann nur durch eine Kombination aus sozialen Bewegungen und neuen parlamentarischen Kräften erreicht werden. Wenn uns der Kampf gegen den Neoliberalismus eins gelehrt hat, dann, dass keins dieser beiden allein ausreicht.