Zum zehnten Mal ging Legida gestern auf die Straße. Zum ersten Mal trafen sie sich vor dem Bundesverwaltungsgericht und liefen von dort über den Ring. An mehreren Stellen der Route protestierten etwa 1.000 Gegendemonstranten, die teilweise brutal von Polizisten zurückgehalten wurden
Die Polizei ist omnipräsent an diesem Abend. Läuft man kurz vor Beginn der zehnten Legida-Demo den Dittrichring entlang, der durch einen Gerichtsbeschluss kurzfristig noch als Strecke genehmigt wurde, könnte man denken, alle Staatschefs dieser Welt hätten sich gerade in der Stadt getroffen und müssten hier gleich eskortiert werden. Doch es sind nur etwa 500 (laut Soziologen, wir schätzen weniger) Rentner, Nazis und Hools, die sich hier versammelt haben, um lautstark irgendwas zu fordern. Was genau, bleibt auch bei der zehnten Legida-Demo unklar. Lief beim ersten Mal noch jemand mit einem Plakat gegen Chemtrails mit, hält heute jemand hoch: »Ich bin ein ungläubiger Hund.« Die Feindbilder sind die gleichen geblieben: Merkel muss weg, Jung muss weg, die Presse lügt, alle Parteien sind unwählbar und die hier Anwesenden das Volk. Juliane Nagel steht – getrennt durch den Kanal – am Rand und wird von den Legida-Leuten nicht gerade höflich begrüßt. »Ihr seid aber ganz schön geschrumpft,« stellt sie fest. Die erste Ansage des Abends auf der Legida-Bühne lautet: »Die Gulaschkanone ist jetzt da.«
Noch bevor Legida ihren Gulasch isst, haben einige Polizisten am Dittrichring aber schon mal aufgeräumt. Gegendemonstranten hatten versucht, die Straße zu blockieren. Ohne Ankündigung ritt eine Pferdestaffel in die Menge rein. Als sehr heikel beschreibt Kollegin Sarah Ulrich die Situation: »Dass es keine Verletzungen durch die Pferde gab, war Zufall.« Ein weiterer Blockadeversuch wurde durch massiven Einsatz von Pfefferspray gestoppt. »Die Leute wurden regelrecht damit übergossen«, sagt Ulrich. »So was habe ich noch nie erlebt.« Zudem wurde sie – auch als sie sich als Journalistin auswies – von den Beamten mehrfach aggressiv weggeschubst: »Eine Polizistin griff mir an den Hals und drückte mich weg.« Ein Video des MDR zeigt das brutale Vorgehen der Beamten gegen Demonstranten, die laut Demobeobachter friedlich blieben. »Ohne eine vorherige Aufforderung, die Straße zu verlassen, sprühten Polizisten aus circa 30 cm Entfernung Pfefferspray auf die am Boden Sitzenden«, heißt es in ihrem Bericht. »Als die Verletzten am Straßenrand behandelt wurden, wurden sie durch die Beamten weiter körperlich angegangen und zurückgedrängt.« »Das war ansatzlos. Da gab es keine Durchsage oder Verwarnung. Die Polizei ist einfach los, Pfeffer raus und drauf«, sagt ein Zeuge. Ein anderer fügt hinzu: »Die haben ihre eigenen Pferde gleich mitgetroffen, ich wurde von einem fast umgeworfen, weil der Reiter es wahrscheinlich nicht im Griff hatte.«
Dass die Polizei in besonderer Alarmbereitschaft ist, liegt an einem Schreiben auf indymedia, in dem jemand namens »Riot Crew« gefordert hat: »Gehen wir die Cops an! Machen wir die City platt!« Sie nähme dieses Schreiben ernst, hat die Polizei im Vorhinein verkündet. Auf Seiten von Nolegida gibt es Vermutungen, dass der anonyme Aufruf von Rechtsextremen geschrieben sein könnte.
Auf jeden Fall ist die ganze Straße also frei für die paar hundert Legida-Anhänger, die vor dem Gericht mit einer Art Schlager, bei dem man zu mitsingtauglicher Melodie »Wir sind das Volk« trällert, eingestimmt werden, bevor Silvio Rösler redet. Nichts Neues. Nach ihm tritt überraschend Manfred Rouhs auf, der schon bei den Jungen Nationalen, der NPD, den Republikaner und Pro Deutschland mitwirkte. Als »Neonazi« kann man ihn wohl treffend beschreiben – zu Besuch aus Westdeutschland. Als sie losmarschieren, gibt es Lärm an verschiedenen Stellen des Rings. Pfeifen, Trommeln, Rufe. »Nationalismus raus aus den Köpfen« und »Haut ab«. Eine kleine Kapelle spielt den ganzen Abend an verschiedenen Orten, aus dem Schauspielhaus klingt die »Ode an die Freude«. Die Gegendemonstranten versuchen, an der Seite mit Legida mitzugehen, immer in Sicht- und Hörweite zu bleiben. Doch ständig stehen Polizisten da, haben die Straßen dicht gemacht.
Das Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz hatte versucht, Protest in Hör- und Sichtweite durch Kundgebungsanmeldungen zu ermöglichen, die aber vom Ordnungsamt oder Polizei nicht genhemigt wurden. Dadurch wurden »unkontrollierbare Situationen heraufbeschworen«, heißt es beim Netzwerk. Auch Nolegida prangert an. »Die Konsequenz ist, dass Einsatzbeamte bei einer nicht angemeldeten Versammlung wie gestern am Ring einen, sagen wir, weiten Ermessensspielraum haben.« Der gestern massiv ausgenutzt wurde. Die Polizei berichtet von »Bewurf durch Steine, Farbbeutel und Feuerwerkskörper aus den Reihen der Gegendemonstranten« und verteidigt die große Zahl der Polizisten: »Größere Gewalttätigkeiten konnten jedoch verhindert werden, wobei dies allein dem großen Polizeiaufgebot zu verdanken war.«
Dabei bekommen sie sogar noch Unterstützung. Nachdem beim Abschluss von Legida Gedichte vorgetragen wurden (»Welche Freude, Euch zu sehn / und für Euch am Pult zu stehn« oder »Denk ich an Deutschland in der Nacht, Legida hat was vollbracht«) erklärt Rösler, dass »die Fußballfreunde des 1. FC Lokomotive Leipzig« (UPDATE: Lok wehrt sich dagegen) ab Wilhelm-Leuschner-Platz den Begleitschutz von Legida übernehmen, damit alle sicher zum Bahnhof kommen. Denn etwas 200, also mehr als ein Drittel, der Legida-Anhänger sind extra angereist.
Soll das jetzt immer so weitergehen? Wann ist Legida genug geschrumpft, damit ein Streifenpolizist zur Begleitung reicht? Rösler lässt sich nicht beirren und redet schon vor der Wahl 2017. Nur gut, dass sich diesmal wohl nicht der Polizeichef als Bürgermeisterkandidat aufstellen lässt.