Mit dem Brunnenviertel soll der Leipziger Westen noch schöner werden. Die Stadtbau AG hilft da kräftig mit und schreibt ganz nebenbei schnell noch die Geschichte neu, um das eigene Bild vom Gestern zu erhalten. Dafür fällt mal wieder ein wichtiges Stück DDR-Historie weg.
Am Montag besuchte Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau den Leipziger Westen und schaute nach ersten Erfolgen auf der Georg-Schwarz-Straße in punkto Straßenbahntrasse. Auf dem obligatorischen Gruppenfoto für die Tagespresse durfte der Chef der Stadtbau AG, Patrik Fahrenkamp, nicht fehlen.
Die Stadtbau AG saniert das Wohngebiet von 61 denkmalgeschützten Häusern rund um die Gleise am Diakonissenhaus. Es besteht aus vier Blöcken in Lindenau und Leutzsch, zwischen William-Zipperer-Straße und Georg-Schwarz-Straße sowie zwischen Güntherstraße und An der Lehde. Die Stadtbau erwarb das Areal im Jahr 2010, der Vorbesitzer LWB musste 2007 einen Leerstand von 98 Prozent verbuchen. Als der Stadtrat 2009 beschloss, die vier Blöcke, damals hießen sie noch »Leutzscher Höfe«, nur im Paket zu veräußern, schlug die Stunde des Immobilienunternehmens, die zugleich ein neues Geschichtsbuch öffnete.
Und darin weht ein mittelschwerer Hauch von Amnesie, wenn es um die Vermarktung von Wohnraum geht. Denn zuallererst wurde das Produkt mit einem neuen Label versehen, was nun nicht ungewöhnlich ist. Doch bei der historischen Präsentation hapert es erheblich.
Das Gebiet heißt nun Brunnenviertel und soll sich laut Homepage zum »lebendigen und lebenswerten Quartier« mausern. Brunnen deshalb, weil »aus dem Vorhandenen geschöpft, an das ursprüngliche Leben angeknüpft« werden soll. Das stellt eine interessante Herleitung dar. Da die auf der Homepage zu findende Viertels-Chronik erst 2009 beginnt, vermittelt das Kapitel »Historie« Einblicke in die Vergangenheit. Es vermeldet die Ortsgeschichte von der Gründerzeit hin zu »Broadway und Diktatur«. Hier fällt die Zeit zwischen 1933 und 1945 einfach mal unter den Tisch, so dass lediglich die »kommunistische Diktatur« genannt wird, mit einem Satz zur Komplexsanierung in den siebziger Jahren, um dann ganz schnell ins Jahr 1989 zu gelangen. Was aber stellt nun das Vorhandene dar, an welches angeknüpft werden soll?
Zu DDR-Zeiten wurde das Areal weder als Leutzscher Höfe noch als Brunnenviertel bezeichnet, sondern ab den siebziger Jahren streng rational als Modernisierungskomplex. Und das hatte gute Gründe.
Als der VIII. Parteitag der SED 1971 beschloss, dass die Wohnungsfrage in der DDR bis 1990 gelöst sei, sollten nicht nur Plattensiedlungen dafür geradestehen, sondern auch Altbaugebiete. In Leipzig wurden 1972 die Blöcke zwischen Georg-Schwarz-Straße und William-Zipperer-Straße auserkoren. Weitere Gebiete folgten im Osten oder im Zentrum-West. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wichtige Auswahlkriterien waren dabei erhaltenswerte Wohnbausubstanz, geringe Hofbebauung und sozialpolitische Gesichtspunkte. Das Vorhaben verband das Büro des Chefarchitekten der Stadt Leipzig, den Rat des Stadtbezirkes West, den VEB Gebäudewirtschaft, den Wohngebietsausschuss und das Kombinat für Baureparaturen miteinander. So wurden zwischen 1974 bis 1979 nicht nur die Dächer gesichert und mit Gemeinschaftsantennen versehen, Innenklos und Bäder eingebaut, die Fassaden grundlegend saniert, sondern auch die Innenhöfe neu geordnet. Zäune, Garagen, Schuppen mussten sich einem Freiflächenprojekt fügen, welches zuvor öffentlich auslag. Spielplätze, Grünanlagen mit Bänken entstanden, Plastiken von Günter Schumann und Hartmut Klopsch wurden aufgestellt.
Für Ältere richtete das Kombinat zwei Gebäude in den Innenhöfen her, in ein Eckhaus zog ein Klub der Volkssolidarität ein. Der Wohngebietstreff rundete neben Läden das Ensemble ab. Aber das war noch nicht alles. In Anerkennung hervorragender Leistungen bei der Planung und Projektierung des Modernisierungskomplexes erhielt das Architektenkollektiv Johannes Schulze, Ernst Teichert, Gerda Berger, Hans-Dieter Kachelrieß und Waltraud Schumann anlässlich des Tag des Bauarbeiters 1982 den Architekturpreis der DDR – erstmals für Leipzig – verliehen.
Heute nun ist bereits ein Block saniert und versehen mit Frei- und Spielflächen sowie Gärten und Begegnungsstätten. Da fällt es leicht zu erkennen, an welches Vorhandenes hier angeknüpft wird, um das Leben wieder sprudeln zu lassen. Mit einigen Ergänzungen allemal. Der Block ist nun geschlossen für die Öffentlichkeit. Dafür sorgen schmucke Eisentore an der William-Zipperer-Straße und Pflastersteinwände an der Georg-Schwarz-Straße, die einen Hauch Straßenkampf vermitteln.