Ob man nun das neue iPhone besitzt oder nicht – Danny Boyles Verfilmung der Steve Jobs-Biografie ist auf jeden Fall der Höhepunkt der Filmstarts in dieser Woche. Dabei ist die Konkurrenz groß, auch wenn der neue Woody Allen enttäuscht.
Film der Woche: Die Geburtsstunde des Macintosh beziehungsweise die Minuten vor seiner Geburt bilden die Eröffnung einer faszinierenden Umsetzung des Wälzers »Steve Jobs«, der Biografie des Apple-Gründers von Walter Isaacson. Es ist der 24. Januar 1984. Kurz bevor Steve Jobs (Michael Fassbender) auf der legendären Konferenz den Mac vorstellen wird. Vom Perfektionismus getrieben, tyrannisiert der Showman seine Umwelt. Alles muss passen: vom Licht über die Notausgänge bis hin zum elektronischen »Hello« des Mac.
Der Egomane wirft mit Beleidigungen und Morddrohungen um sich. Währenddessen sitzt seine Ex Chrisann Brennan (Katherine Waterston) in der Lobby, gemeinsam mit der kleinen Lisa, Jobs’ Tochter. Oder zumindest behauptet sie, es sei seine Tochter, was Jobs vehement abstreitet. Immerhin lässt eine 94-prozentige Wahrscheinlichkeit immer noch Raum für Spekulation und Diffamierung. Steve Wozniak (Seth Rogen) versucht seinem »Bruder« Jobs eine einfache Würdigung des Apple-II-Teams abzuringen, das den millionenschweren Konzern groß gemacht hat – und beißt auf Granit. Unbarmherzig bahnt sich der Maestro den Weg zur Bühne. Nur sein Boss und Mentor, CEO John Sculley (Jeff Daniels), bringt ihn zur Ruhe. Licht aus, Spots an und Fade-out.
Das Drehbuch von Aaron Sorkin (»The Social Network«) wirft Schlaglichter auf zwei weitere signifikante Wendepunkte im Leben von Steve Jobs, darunter natürlich die Rückkehr zu Apple und die Vorstellung des iMac 1998. Auch hier zählt der Blick hinter die Kulissen. Die allseits bekannten Reden kann man sich anderswo anschauen. Es wirkt zunächst, als wäre Danny Boyles Rekonstruktion nur ein Teaser für die wahrhaft großen Karriereschritte des kontroversen Kopfes.
Aber man merkt schnell, dass sich in den Minuten vor der Präsentation die eigentlich spannenden Momente abspielen, wenn die Nervosität greifbar ist und die rohen Gefühle walten. Filmisch wirkt »Steve Jobs« daher ähnlich atemlos wie »Birdman«. Geradezu, als wären wir Backstage bei einer großen Theaterinszenierung. Sorkin liefert messerscharfe Dialoge, Boyle schneidet sie oftmals parallel zueinander. Wenn sich Erinnerungen wie die erste Begegnung und der Abschied zwischen Jobs und Sculley ineinander verschränken, kann einem schwindelig werden.
Obwohl Sorkin sich also auf bestimmte Momente in Jobs’ Leben konzentriert und Fassbender anfangs so gar nicht wie der jungenhafte Turnschuhträger wirkt, ist »Steve Jobs« ein eindringliches, facettenreiches Psychogramm des selbst ernannten Messias geworden. Der Film vermittelt einen tieferen Einblick in seine Seele, als es der vor einigen Jahren erschienene »Jobs« mit Ashton Kutcher vermochte, der die Geschichte seines Aufstiegs Stück für Stück durchdeklinierte.
»Steve Jobs«: ab 12.11., Passage Kinos, CineStar
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Fúsi, 43 und ein stiller Berg von einem Mann, lebt immer noch bei seiner Mutter. Seine Tage sind geprägt von einer sorgsam gepflegten Routine: der tägliche Besuch des chinesischen Restaurants, das ewig gleiche Gericht, der Anruf beim örtlichen Radiosender vom Auto aus. Tagsüber arbeitet er am Flughafen als Gepäckwagenfahrer. Sein eigenes Leben bewegt sich aber schon lange keinen Zentimeter weiter. Seine große Leidenschaft ist der Modellbau. Mit einem Nachbarn stellt er die großen Schlachten der Weltgeschichte nach. Mehr Action verträgt sein Leben nicht. Als Fúsi einen Westerntanzkurs geschenkt bekommt, tanzt jedoch Alma in sein Leben und bringt es gründlich durcheinander.
Wunderbar leise und behutsam erzählt Dagur Kári (»Dark Horse«) seine charmante Geschichte, die auf den ersten Blick einfach wirkt, aber viel Wahres über Einsamkeit erzählt und Charaktere verbirgt, die reich an Konturen sind. Ein Glücksfall ist dabei Gunnar Jónsson in der Hauptrolle, der im November außerdem in »Sture Böcke« (Start: 19.11.) zu sehen ist. Er verleiht dem ewigen Junggesellen nicht nur die körperliche Präsenz eines simplen, aber sympathischen Typen, ohne ihn der Lächerlichkeit preiszugeben. Kári, der den Film auch geschrieben und geschnitten hat, schafft hier ein wundervolles tragikomisches Kleinod. Ein Film, wie ihn wohl nur das isländische Kino hervorzubringen vermag.
»Virgin Mountain«: ab 12.11., Kinobar Prager Frühling
kreuzer verlost Freikarten. eMail an film@kreuzer-leipzig.de (Betreff: Fusi)
Hayao Miyazaki hat sich auf der Suche nach Geschichten in seinem Werk immer wieder nach Westen gewandt, »Chihiros Reise« etwa ist stark von Lewis Carrolls »Alice« inspiriert und »Das wandelnde Schloss« basiert auf einem Kinderbuch der englischen Schriftstellerin Diana Wynne Jones. Seit der Großmeister des Animes abdankte, währt die Suche nach einem würdigen Nachfolger. Innerhalb der Studiomauern wird diese Rolle am ehesten Hiromasa Yonebayashi zugetraut, der mit seinem Erstling »Arietty« die Geschichte der Borger von Mary Norton adaptierte. Auch »Erinnerungen an Marnie« basiert auf einem westlichen Stoff, dem Jugendbuch von Joan G. Robinson. Aber vom ersten Moment an ist klar, dass es sich hier um keinen leichten Stoff handelt, der Kinderherzen erfreut. Denn Annas Herz ist erfüllt von Traurigkeit. Gleichgültig steht sie der Welt gegenüber, sehr zur Sorge ihrer Tante. Anna sieht die Welt als Kreis, von dem sie sich ausgeschlossen fühlt. Als sie von einem schweren Asthmaanfall erwacht, beschließt ihre Tante, sie zur Schwester ans Meer zu schicken. Die Oiwas nehmen sie liebevoll auf und langsam löst sich Annas Anspannung, doch ihre Unsicherheit und Angst bleiben. Als sie die Gegend erkundet, entdeckt sie ein abgelegenes Haus, das ihr seltsam vertraut vorkommt. In einem Fenster des verlassenen Anwesens sieht sie Marnie, ein blondes Mädchen in ihrem Alter. Die beiden werden Freunde, doch Marnie scheint seltsam gebunden an den geheimnisvollen Ort. Gänzlich entzaubert wirkt Annas Welt zunächst und der ruhige Erzählton erfordert Geduld. Doch die Figur des melancholischen Mädchens ist tiefer als alle bisherigen der langen Geschichte des Studio Ghibli. Erst in den letzten Szenen offenbart sich die schmerzhafte Wahrheit hinter Annas Traurigkeit und die wundervoll animierten Erlebnisse der fragilen Figur nehmen eine andere Dimension an, die viel größer ist, als es der anfängliche Eindruck vermuten lässt.
»Erinnerungen an Marnie«: ab 12.11., Kinobar Prager Frühling
Daten sind für Unternehmen Gold wert, denn durch automatische Auswertung lässt sich die Zukunft vorhersagen. Werden etwa durch Kaufentscheidungen Kundenvorlieben transparent, kann präzise prognostiziert werden, wie sich die Nachfrage entwickelt. Wer mehr weiß, kann die Konkurrenz übervorteilen und Konsumenten steuern. Da Letztere kaum verstehen und regeln können, was mit den über sie verfügbaren Informationen geschieht, sind sie darauf angewiesen, dass Gesetze sie vor Missbrauch schützen. Wollen aber Politiker solche Schutzmechanismen durchsetzen, müssen sie mit dem Widerstand der Geschäftswelt rechnen. Wie heftig der Druck der Lobby sein kann, welche Tricks und Schachzüge organisierte Interessenvertreter nutzen, um ihre Ziele zu erreichen, und wie schwierig es ist, das Wohl der Allgemeinheit im Prozess der europäischen Gesetzgebung vor Augen zu behalten, führt die Dokumentation »Democracy – Im Rausch der Daten« exemplarisch vor. Über zwei Jahre hat Filmemacher David Bernet den jungen Europaparlamentarier Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen) bei dem Projekt begleitet, eine neue Datenschutzrichtlinie zu entwerfen. Herausgekommen ist ein packender Film über die Funktionsweise des Brüsseler Systems, über die personelle Macht von Lobbyisten und die Rolle von Zufällen, die ein bereits im Scheitern begriffenes Projekt schließlich doch noch retten können. Die inhaltlichen Details, um die bei der Formulierung gerungen wird, lassen sich teilweise nur erahnen. Zu komplex ist der Prozess, an dem Hunderte Akteure beteiligt sind. Insofern scheitert die Doku dabei, in 100 Minuten ein Thema abzuhandeln, das in Bibliotheken unendliche Regalmeter füllt. Größte Stärke wiederum sind die schwarz-weißen Bilder, die eine atmosphärisch dichte optische Struktur schaffen, statt sprechende Köpfe aneinanderzureihen. So erzählt der Film emotional, was inhaltlich den Rahmen sprengt. CLEMENS HAUG
David Bernet im Interview hier.
»Democracy – Im Rausch der Daten«: ab 12.11., Luru-Kino
kreuzer verlost Freikarten. eMail an film@kreuzer-leipzig.de (Betreff: Raumschiff Brüssel)
Woody Allens Filme leben, atmen und bewegen sich überhaupt nur durch die Dialoge. In ihnen legen die Figuren ihr Innerstes auf den Tisch. Zwischentöne sind selten, Fragen bleiben in der Regel keine offen. Das Prinzip Allen funktioniert also vor allem dann, wenn die Dialoge scharfsinnig, klug und witzig sind. Wenn das Fundament der Handlung darunter allerdings nicht trägt, dann kommt so etwas wie »Scoop« oder »Magic in the Moonlight« dabei heraus, die bestenfalls das Attribut »nett« erhielten.
So ist jeder neue Film von Woody Allen ein Risiko, das seine vor allem hierzulande zahlreichen Fans gerne eingehen. Ob sie jedoch mit »Irrational Man« warm werden, bleibt abzuwarten. Allen befasst sich darin nach dem viel gelobten »Match Point« erneut mit moralischen Grenzen der menschlichen Natur. Allerdings auf zunächst ganz rationale Weise. Protagonist (und Alter Ego des Filmemachers) ist der Philosophieprofessor Abe Lucas. Als neue Lehrkraft kommt der gefeierte Geist ans College in Newport. Dort wird der Junggeselle von den Kolleginnen hofiert und auch die junge Studentin Jill Polard fühlt sich zu dem genialen Kopf hingezogen. Doch Abe ist in einer tiefen existenziellen Krise und der Whiskey sein einziger Freund. Bis er sich auf eine Liaison mit Jill einlässt und auf irrationale Ideen kommt.
Im Prinzip macht Allen bei seinem neuen Werk, das im Wettbewerb von Cannes seine Premiere feierte, wenig anders als bei seinen bisherigen. Die Dialoge zwischen dem Professor und seiner Muse sind pointiert, die Darsteller handverlesen. Allerdings will der Funke bei »Irrational Man« nicht so recht überspringen. Wo »Match Point« mit einer perfiden Spannung punktet, wirkt die Story hier komplett behauptet. Löcher in der Logik kaschiert Allen mit seinen stets quatschenden Charakteren. Wenn diese allerdings schweigen und sich der Vorhang senkt, bleibt wenig zurück.
»Irrational Man«: ab 12.11., Passage Kinos (auch OmU)
»Jeden Tag eine gute Tat!« ist das Motto des jungen Augie, der sich nichts Schöneres vorstellen kann, als mit seinen zwei besten Freunden ein Pfadfinderabzeichen nach dem anderen auf die Kluft zu pappen. Doch Carter und Ben haben genug von Lagerfeuer, Latrinen graben und Dosenbohnen. Als Teenager sollte man sich schließlich seinen tobenden Hormonen hingeben und nicht als verkleideter Loser im Unterholz herum stolpern. Als sich die Beiden heimlich davonschleichen, um zur angesagtesten Party der Stadt zu gehen, begegnen sie in einem verlassenen Stripclub echter Fleischeslust: Alle Bewohner der Stadt wurden in Zombies verwandelt! Zusammen mit der Handfeuerwaffen-geübten Bardame Denise begeben sich die drei Pfadfinder auf eine blutige Hetzjagd durch die Kleinstadt und beweisen, dass sie auch im Angesicht Britney Spears-liebender Zombies und mutierten Killer-Katzen keine Pussys sind. Klischeehafte Klamotte mit nicht abzustreitendem Unterhaltungsfaktor bei der Zielgruppe.
»Scouts vs. Zombies – Handbuch zur Zombie-Apokalypse«: ab 12.11., Cineplex, Regina Palast, CineStar
kreuzer verlost Freikarten. eMail an film@kreuzer-leipzig.de (Betreff: Hirnlos)
Weitere Filmtermine
6. Lateinamerikanische Tage
Mehr zum Programm hier.
10.–25.11., Schaubühne Lindenfels, Cineding
Kurdische Filmtage
12.–14.11., Cineding
Shoah
Umfassender Dokumentarfilm über die systematische Verfolgung der osteuropäischen Juden durch die Nazis. Der Film zeigt kein historisches Material, sondern die Reaktionen von Überlebenden, die bis an die Grenze des Erträglichen dazu befragt werden, was sich auf den Transporten und in den Todesfabriken des »Dritten Reiches« abgespielt hat. Einer der besten Filme, die je zu diesem Thema gedreht wurden.
R: Claude Lanzmann, F 1985, 566 min, OmU
Hochschule für Grafik und Buchkunst, Donnerstag, 12.11., 16 Uhr, Freitag, 13.11., 16 Uhr
Stummfilm live vertont:
Lori Goldston & Andrea Belfi & Aidan Baker vertonen La Passion de Jean d’Arc (F 1928, 82 min, Regie: Carl Th. Dreyer)
Anhand historischer Dokumente verdichtet LA PASSION DE JEANNE D’ARC die Ereignisse rund um den Prozess der Pariser Universität gegen die Jungfrau von Orleans auf einen Tag. Die der Ketzerei beschuldigte Heilige wird nach quälenden Verhören, Folter und einem widerrufenen Geständnis schließlich auf dem Scheiterhaufen in Brand gesetzt.
In stark zurückgenommenen Dekors konzentriert sich Dreyer auf die Seelenlandschaften der ungeschminkten Gesichter, die durch die expressionistischen Kamerawinkel eine enorme Ausdruckskraft gewinnen. Mit der Präzision eines Seismografen registriert die Kamera die emotionalen Erschütterungen, die als Zuckungen, Schweißausbrüche und Tränen auf der Körperoberfläche sichtbar werden.
Lori Goldston trat zunächst als Cellistin im Kontext von (experimenteller) Rockmusik auf, tourte mit Nirvana und ist seit vielen Jahren fester Bestandteil des Line-ups von Earth. Zusammen mit Aidan Baker (u. a. Nadja, B/B/S) und Andrea Belfi (u. a. Carla Bozulich, B/B/S) bilden die drei eine Minimal-Drone-Supergroup und versetzen sich in einen fokussierten Spielrausch: immer auf dem Sprung, sachte anschiebend – ein Eindruck, der dem fantastischen Spiel von Drummer Andrea Belfi geschuldet ist, der Dronewolken und schabende Schichtungen mit rhythmischen Strukturen unterlegt, die bei aller treibenden Kraft immer Teil des Spiels des Cellos und der Gitarre sind. Maximale Dynamik durch minimalen Einsatz.
Samstag, 14.11., 21 Uhr, UT Connewitz
Im Bazar der Geschlechter
Der Film zeigt einen erfrischenden Blick in die iranische Gesellschaft, die sich auf dem Weg der sexuellen Revolution unter dem Schleier befindet.
R: Sudabeh Mortezai, D/AU 2010, 87 min, Dok
Dienstag, 17.11., 19 Uhr, Grassi-Museum für Völkerkunde
Die Tribute von Panem – Das komplette Epos
inkl. Preview des finalen Teils
Mittwoch, 18.11., 12 Uhr, Regina Palast
OderKurz-Filmspektakel
Die sieben Gewinnerfilme des OderKurz-Filmspektakels in ca. 88 min.
Mittwoch, 18.11., 21 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Die Liebe zum Schrott und andere Leidenschaften
12 Jahre nach der Wende. Hat das goldene Zeitalter im Osten angefangen? – Anschließend Filmgespräch mit Bernhard Wutka
R: Bernhard Wutka, Thomas Doberitzsch, D 2003, 80 min, Dok
Donnerstag, 19.11., 11 Uhr, Pöge-Haus
Shorts Attack! The Sound of Music
Musikalische Kurzfilmnacht
Donnerstag, 19.11., 21 Uhr , UT Connewitz