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Filmkritik

Aus dem Leben eines Schleppers

Der Film »Felix: Geschichten eines Schleppers« zeigt das doppelte Spiel

  Aus dem Leben eines Schleppers | Der Film »Felix: Geschichten eines Schleppers« zeigt das doppelte Spiel

An der Not der Migranten mitverdienen und dabei Schauspieler werden: Der mexikanische Dokumentarfilm »Felix: Geschichten eines Schleppers« aus dem Jahr 2012 wird im Rahmen der Lateinamerikanischen Tage in Leipzig zweimal gezeigt.

Ein möglicher Schlepper-Gehilfe mit schwarzem Schnurrbart bewegt sich unruhig vor dem offenen Autofenster. »Eey! $700, easy money in 30 minutes!« Soll er sich auf den Schlepper-Job einlassen und sich beim Anwerben auch noch filmen lassen? Schlepper wollen sich nicht aus ihrer Anonymität reißen lassen. Ihr Geschäft ist illegal und Bekanntheit in der breiten Öffentlichkeit kann ihnen nur Schaden zufügen. Der mexikanischen Regisseurin Adriana Trujillo ist es dennoch gelungen, die Arbeit eines Schleppers in der mexikanisch-amerikanischen Grenzstadt Tijuana in einer Dokumentation einzufangen.

Auch um nach Europa zu kommen, greift ein Großteil der Flüchtlinge auf Schlepper zurück. Aber die massive Grenzanlage zwischen den USA und Mexiko, die in den vergangenen Jahrzehnten herangewachsen ist und optisch an die frühere innerdeutsche erinnert, ist in den meisten Fällen nur noch mithilfe von Schleppern zu überwinden.

Der mexikanische Schlepper Felix hat den Ausbau von »la linea«, wie die Grenze dort genannt wird, mitverfolgt und kennt alle Tricks, um sie zu umgehen. Sein Ruf ist erstklassig. Bei ihm ist nichts schiefgegangen. »Dieses Katz-und-Maus-Spiel wird nie aufhören«, sagt Felix an einer Stelle. »Die Amerikaner verändern mal den Weg, aber den Verkehr werden sie nicht aufhalten.«

Felix ist bauernschlau und gewieft. Er hat ein engmaschiges Netz von Hilfskräften geknüpft, die ihm zuarbeiten: Jugendliche, die am Grenzübergang die Autoscheiben putzen, halten für Felix die Augen auf. Ihnen entgeht kein Wachwechsel. Andere präparieren die Fahrzeuge, heuern neue Helfer an oder beobachten die Vorgänge bei den Amerikanern. »Die Grenze ist ein Wirtschaftsfaktor auf beiden Seiten«, sagt Adriana Trujillo, im Interview mit kreuzer online: »Die eine Seite beschäftigt Sicherheitsfirmen und auf der anderen operieren die Schlepper.« Auch die »Internationale Schlepper- und Schleusertagung», die der Bayerische Flüchtlingsrat im Oktober 2015 in München veranstaltete, kam zu dem Schluss: Wer Zäune baut, besorgt das Geschäft der Schlepper.

Die Gewinnspannen der Schlepper sind neben denen aus dem Drogen- und Waffengeschäft am höchsten. Dabei ist die Preissetzung abhängig vom Risiko des Grenzübertritts aber auch von der gewünschten Bequemlichkeit. Felix nimmt unterschiedliche Beträge in US-Dollar für die Grenzüberquerung im Auto oder für den Weg durch die Berge. Für seine Kunden ist er ein Held. Sie vertrauen ihm ihr Leben an und Felix freut sich über seinen Beitrag, den Migranten zu ihrem American Dream zu verhelfen.

Der italienische Journalist Giampaolo Musumeci, der für sein Buch »Bekenntnisse eines Menschenhändlers« zweieinhalb Jahre im Umfeld der Schlepper in Europa recherchiert hat, stellte im Interview mit Zeit online heraus, dass selbst die schlimmsten Verbrecher unter den Schleusern sich auf das höhere Gesetz der Mitmenschlichkeit beriefen. Es sei ein doppeltes Spiel, findet auch Regisseurin Trujillo. Einerseits seien die Schlepper in der Lage, den Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen, andererseits ließen sie sich das natürlich auch bezahlen.

Der Dokumentarfilm »Felix: Geschichten eines Schleppers« ist nicht nur thematisch eine Besonderheit, sondern auch konzeptionell. Adriana Trujillo wollte diesen öffentlichkeitsscheuen Menschen ein Gesicht geben. »Wenn wir nur eine gepixelte Person hätten zeigen können, hätte ich diesen Film nicht gemacht», fügte sie im Interview an.

Felix hat aber noch ein anderes berufliches Standbein. Er ist auch Darsteller in Low-Budget-Filmen. In diesen selbstfinanzierten Filmen über Schlepper und Migranten an der »linea« stellt er Schlepper dar. Fragmente dieser Spielfilme tauchen im Dokumentarfilm auf und verleihen ihm an diesen Stellen einen fiktionalen Charakter. Trujillo erkannte in diesem zusätzlichen Filmmaterial die Chance, dass Szenen – wie der Tod eines Migranten in der unwirtlichen Wüste Mexikos – auf diese Weise ihren Film ergänzen konnten.

Dass sich Felix ohne Schauspielerausbildung, aber durch seine Gewinne als Schlepper, seinen Kindheitstraum als Darsteller in Spielfilmen und letztlich auch in einem Dokumentarfilm erfüllen konnte, gehört sicherlich zu den ungewöhnlichsten Filmkarrieren überhaupt.


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