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Kultur

Alle in einem Boot

Rückblick auf die Berlinale

  Alle in einem Boot | Rückblick auf die Berlinale

Die Bären sind vergeben und erwartungsgemäß nimmt Gianfranco Rosi den Hauptpreis mit nach Italien für seinen Dokumentarfilm »Fuocoammare« (im Verleih von Weltkino, die damit den dritten Berlinalegewinner in Folge in die deutschen Kinos bringen werden). Darin beschreibt er das Leben mit der Flüchtlingskrise auf Lampedusa, setzt dem Alltag der Einheimischen das Elend der Bootsinsassen entgegen. Zwar ist sein Film besonders in den Alltagsbeschreibungen zu lang geraten und die Flüchtlinge bleiben anonym, statt Individuen, aber wenn der Vorhang fällt, bleiben viele berührende Bilder im Kopf zurück. Es ging der internationalen Jury auch darum, ein Zeichen zu setzen auf einer ohnehin sehr politischen Berlinale, die vom Zustand Europas geprägt war. Damit ist nicht die unsägliche Cinema for Peace Gala gemeint, von der sich Festivalchef Kosslik eindeutig distanzierte und den Anblick der geladenen Gäste in Abendgarderobe unter goldfarbenen Rettungsfolien, die Ai Wei Wei unter ihre Sitze legen ließ, als beschämendsten in seiner Laufbahn beschrieb. Die Berlinale machte es besser und regte bei allem Eskapismus auch zum Nachdenken an.

Ein bisschen ungläubig konnte man schon werden, bei der 66. Auflage des Festivals. Sie ging stark los und ließ einfach nicht nach – zumindest in der Wahrnehmung des persönlichen Festivalprogramms. Zum Auftakt machten sich die Coen-Brüder in ihrer herrlichen Komödie »Hail, Caesar!« (ab dieser Woche im Kino) über Hollywood als Produktionsstätte der Träume lustig, verfluchten es, ließen es untergehen und auferstehen – und konnten dabei gar nicht anders, als das Kino trotzdem bedingungslos zu lieben.

Mit so einem Film kann man fröhlich pfeifend in ein Festival starten und sich all den menschlichen Dramen widmen, die da auf der Leinwand verhandelt werden. Abgesehen von Alex Gibneys Stuxnet-Geheimniskrämerei »Zero Days«, einem in vielerlei Hinsicht erkenntnisreichen Dokumentarfilm, sollten sich die anderen um die politischen Filme kümmern – so viel Ehrlichkeit muss sein. Ohne Frage sind sie wichtig, aber ein bisschen Eskapismus schadet hin und wieder nichts.

Über Vincent Perez' »Jeder stirbt für sich allein«-Adaption »Alone in Berlin« hörte man derweil allenthalben kaum ein gutes Wort. Zurecht, ist die internationale Produktion mit Emma Thompson und Brendan Gleeson in den Hauptrollen doch jene gut gemeinte Sorte Film, die das dunkle Kapitel der Geschichte alle Jahre ausspuckt. Umso mehr überzeugte das deutsche Drama »24 Wochen«. Im einzigen deutschen Wettbewerbsbeitrag müssen sich die fantastische Julia Jentsch und Bjarne Mädel mit der Frage auseinandersetzen, ob sie ihr ungeborenes Kind spät abtreiben sollen, weil es mit dem Down-Sydrom zur Welt kommen wird. Hut ab vor der Filmemacherin Anne Zohra Berrached, die sich des heiklen und unbequemen Themas mit packender Authentizität annahm und einen in seiner Nüchternheit überwältigenden Film inszenierte – als Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg.

Interessant in diesem Kontext war die Horror-Fingerübung »The Ones Below«, in der sich zwei Paare in strahlendem Sonnenschein eine düstere Schlacht um ein Baby liefern. Mag der »Hand an der Wiege«-Plot durchschaubar sein, die Stimmung ist faszinierend bedrohlich, auch weil Regisseur David Farr all die Zweifel zulässt, die man jungen Eltern gemeinhin nicht zugesteht: Wer Kinder bekommt, soll sich gefälligst freuen. Was freilich nicht immer so einfach ist. Überhaupt Horror: Der Genrefilm war erfreulich stark in Berlin. Auch der dänische Horrorfilm »Shelley« stellte ein allerdings noch ungeborenes Kind in den Mittelpunkt seines gruseligen Plots. Ein dänisches Paar und die junge ungarische Leihmutter erleben in einem entlegenen Haus am Wald seltsame Dinge während der Schwangerschaft. Die Spannung wird subtil aufgebaut und gerade als man sich fragt, wie Regisseur Ali Abbasi den packenden Plot zu einem schlüssigen Ende führen will, ist der Film vorbei und übrig bleibt ein etwas schaler Nachgeschmack.

Dass in jedem menschlichen Drama auch eine Komödie steckt, ließ sich am besten beim intelligenten Crowd-Pleaser »Des Nouvelles De La Planete Mars« von Dominik Moll (»Harry meint es gut mit Dir«, »Lemming«) sehen, der außer Konkurrenz lief. Vielleicht war er den Berlinale-Planern dann doch zu witzig. Lachen sollen bitte die anderen, wenn es um die Verhandlung existenzieller Fragen des modernen Menschen geht. Und ja, es ist amüsant, wenn Moll dem freundlichen Programmierer Philippe Mars genüsslich den Boden unter den Füßen wegzieht. Wenn man ihn dabei beobachtet, wie seine Gutmütigkeit dazu führt, dass er ein Ohr verliert, ihn seine Kinder als Loser beschimpfen, sich ein cholerischer Kollege bei ihm einnistet und ein verdammter Köter vor seinen Hauseingang kackt.

Auch sonst wurde in den Nebensektionen viel und klug gelacht. Etwa in Rebecca Millers »Maggie's Plan« in dem Greta Gerwig (mal wieder) eine Mittdreißigerin in der Lebenskrise spielt. Sie weiß, dass sie ein Kind will, aber ihr fehlt der richtige Mann. Als sie sich gerade für einen Samenspender entschieden hat, verliebt sie sich in den Autor John (Ethan Hawke). Eine wunderbar fließende Komödie mit cleveren, witzigen Dialogen im Geiste Woody Allens. In den Nebenrollen glänzend besetzt mit Bill Hader, Julianne Moore und Maya Rudolph.

Deutlich derber ging es bei John Michael McDonaghs »War on Everyone« zu, einer blutigen, irrwitzigen Hommage an die Buddy-Cop-Movies der 70er mit Alexander Skarsgård und Michael Peña. Politisch dermaßen unkorrekt und abgedreht sorgte der Panorama-Beitrag auch eine halbe Stunde danach noch für spontane Lachausbrüche des Publikums.

Unaufgeregt und mit dem Humor des Lebens zeigt Thomas Vinterbergs (»Das Fest«) »Die Kommune« (ab 21.4. im Kino) - in der er seine Jugend in den späten 70er-Jahren verbrachte – eine großartige Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten alternativer Lebensentwürfe. In der Hauptrolle des starken Ensembles glänzt Trine Dyrholm, die ihren Mann auch dann noch liebt, als er seine neue, blutjunge Freundin in die Kommune mitbringt, bis sie von ihrer Liebe in den Wahnsinn getrieben wird. Dafür gab es in Berlin, dem ihrer Aussage nach »besten Festival der Welt«, den Silbernen Bären aus den Händen ihres Idols Meryl Streep.

Der Wahnsinn ist auch Teil des absolut sehenswerten Neo-Westerns »Les premiers, les derniers«, der im Norden Frankreichs ein apokalyptisches Bild einer Zeit ohne Menschlichkeit malt. Diese Zeit ist freilich jetzt: Die Geschichte, die sich in einer gottverlassenen Gegend zwischen einer Handvoll Dorfschläger, einem aus der Psychiatrie flüchtenden Pärchen, zwei Handlangern eines Gangsterbosses und eines Mannes namens Jesus entwickelt, erinnert mit ihren stilvollen Bildern, dem zynischen Humor und den skurrilen Figuren ein wenig an »Fargo«. Es gibt zwar ein paar Tote weniger, aber ansonsten ist alles ziemlich trostlos dort. Vor allem, wenn die Menschen auftauchen. Schön, dass sich Filmemacher Bouli Lanners am Ende trotzdem ein wenig Hoffnung für die Menschlichkeit gönnt.

Mit viel Menschlichkeit und sehr, sehr viel abseitigem Humor erzählen Benoît Delépine und Gustave Kervern (»Louise Hires a Contract Killer«, »Mammuth«) die sonderbare Vater-Sohn-Geschichte »Saint Amour« (ab Herbst im Kino), in der viele Kühe, noch mehr Wein, ein Taxifahrer und eine Frau mit ihrem letzten Eisprung eine Rolle spielen. Vater und Sohn sind übrigens nicht mehr die jüngsten: Gérard Depardieu und Benoît Poelvoorde (»Das brandneue Testament«) streiten, betrinken und vertragen sich hier.

Depardieu hatte übrigens noch einen zweiten, nicht minder bemerkenswerten Auftritt auf der Berlinale: Er verirrte sich in »The End« im Wald vor seiner Haustür – und verschmolz in einem surrealen Märchentrip so sehr mit dem Unterholz, dass man Angst vor dem nächsten Waldspaziergang bekommt. Weil da überall die Geister der Vergangenheit lauern und über die Familie reden wollen. Nach »Valley of Love« das zweite Projekt in Folge, das der Franzose Guillaume Nicloux mit Depardieu inszenierte.

Tomasz Wasilewski ist eines der jungen, ziemlich gehypten Regietalente Polens. Der Cast seines Wettbewerbsbeitrags »Zjednoczone stany miłości« (United States of Love) bietet einige der interessantesten Protagonisten der aktuellen polnischen Schauspielszene: Julia Kijowska, Marta Nieradkiewicz, Łukasz Simlat. Und hier fängt es schon an, kompliziert zu werden. Es mag zwar irgendwie durchgedrungen sein, dass das polnische Kino mehr als ein Geheimtipp für Kenner ist, seit sich in dieser Ecke die großen Filmpreise häufen  Auslandsoscar 2015 und Europäischer Filmpreis an Paweł Pawlikowski (»Ida«), Silberner Bär 2015 an Małgorzata Szumowska (»Body«–, die meisten polnischen Regisseurinnen und Regisseure bleiben in Deutschland bislang aber sehr unbekannt. Kann nicht nur an den Namen liegen. Was soll man da sagen? Vielleicht eine Faustregel geben: Häufen sich verdächtig viele Konsonanten bei Regie, Cast, Original-Titel, ist das vielleicht ein Grund, sich diesen Film mal anzusehen. Tomasz Wasilewski nahm den Silbernen Bären für das beste Drehbuch entgegen. Ein Grund mehr.

Weil seit letztem Jahr auch Serien zur Berlinale gehören, zeigte das Festival in diesem Jahr die ersten beiden Folgen der britischen Spionageserie »The Night Manager« (ab März bei Amazon Video, ab April auf DVD und Blu-ray Disc): Darin wird ein Hotelmanager (Tom Hiddleston) zum Hilfsagenten und soll einen Waffenhändler (Hugh Laurie) ausspionieren. John Le Carré, der Autor der Romanvorlage, war vor Ort. Den König der Spionageschichten beim Vormittagstee im Hotel zu beobachten – ein bisschen ungläubig konnte man schon werden bei dieser Berlinale.


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