Der Dresdner Politikprofessor Werner Patzelt wird von sächsischen Medien gerne um Rat gefragt, wenn es um Pegida oder andere politische Krisen im Freistaat geht. Seine Antworten sind behaglich und so wenig kritisch, dass sich keiner aufregen muss. Am Dienstag patzelte er in der Leipziger Stadtbibliothek.
Gerhard Poppe ist ein bisschen stolz auf sich. Die Stuhlreihen im großen Saal sind gut gefüllt mit überwiegend weißhaarigem Publikum und der Referent der katholischen Akademie argwöhnt: »Wir haben da offenbar das richtige Thema erwischt.« Frage des Abends: Zwischen Rechts- und Linksradikalismus, was hält uns eigentlich zusammen? Der Referent: Werner J. Patzelt, Politikprofessor an der TU Dresden, Pegida-Erklärer mit fragwürdigen Forschungsdesigns und seltsamen Untersuchungsauswertungen.
Das könnte heiter werden, doch für die anwesenden 20 offensichtlich linken Kritiker hält der gebürtige Bayer Patzelt zunächst erst einmal eine Überraschung bereit. Von einer simplen Extremismustheorie hält er nichts. Das Muster von der guten politische Mitte hier und der gefährlichen Extreme dort an den Rändern oder auch der Satz »Rechts, Links – ist doch alles das gleiche« seien Unsinn. Keine Hufeisentheorie heute mit Werner Patzelt. Stattdessen sei Extremist, wer die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehne. Das könne auch jemand sein, der sich in der Mitte der Gesellschaft verorte, weil er verheiratet sein, einen Job habe und am Eigenheim baue. Ist Patzelt plötzlich doch progressiv geworden?
Der Professor holt aus zum großen historischen Bogen. Aufklärung, französische Revolution: Deren Anhänger nahmen links vom Versammlungspräsidium Platz, während die Königstreuen auf der rechten Seite saßen, daher die Begriffe. Dann das deutsche Kaiserreich und die Industrialisierung, dessen Arbeiterelend die Sozialisten groß werden ließ, die fortan mit den Konservativen kämpften. Schließlich die Gegenwart, wo noch die Umwelfreunde dazu gekommen sind: Links seien die Fortschrittlichen, die alles ändern wollen, rechts die Konservativen, die am liebsten das Bestehende bewahren. So einfach ist das bei Patzelt, so wohl fühlt sich das Publikum seiner leicht verständlich gehaltenen Herleitung grundsätzlicher politischer Gegensätze. Leider gipfeln seine Ausführungen schließlich in der ziemlich unsinnigen Behauptung: Verändern wolle man nur, während man jung sei, wenn man alt werde, wolle man Bewahren, ergo links sind die verträumten Studenten, rechts die realistischen Alten. Dann das dämliche Churchill-Zitat von Herz und Hirn.
Je länger die Veranstaltung dauert, desto deutlicher wird, was eigentlich das Problem am Professor und seinen begeisterten Fans ist: All zu oft werden die althergebrachten Bilder bemüht, die uralten Bonmots herausgeholt – selbst wenn Patzelt ausnahmsweise mal einen Missstand sächsischer Politik anspricht. Er sagt, die hiesige Bildungspolitik habe zu wenig Wert auf Gemeinschaftskunde gelegt, deswegen könnten einige inzwischen erwachsene Sachsen den Wert der Demokratie nicht erkennen. Weil: »Was Hänschen nicht lernt...«
Nach dem Referat kommt es bei der Diskussion zum vorhersehbaren Kurzeklat. Ein paar junge Leute versuchen den Professor für seinen Extremismusbegriff zu kritisieren, doch kriegen den alten Patzelt nicht recht zu fassen. Schließlich beschimpfen sie ihn als Rassisten und dampfen schnaubend aus dem Saal. Eine Zuhörerin schimpft: Die sind doch genauso schlimm wie die Rechten.
Wirklich unsäglich wird es erst danach. Links habe halt mehr Sexappeal, weil Weltverbessern schön sei, deswegen dürften sich die Zuhörer nicht wundern, wenn viel mehr Journalisten links eingestellt seien als Bürger. Ein ordentlich gekleideter junger Mann aus dem Publikum will wissen, was Patzelt denn augenblicklich als das größte Problem im Freistaat wahrnehme. Da lässt der Professor alle Masken fallen: Das größte Problem der Rechten sei ihre Verstocktheit, dass der Linken die Gewalt. Rassismus sei gleich gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Und weil Linke feindlich gegenüber Rechten seien, seien auch Linke Rassisten. Vielen Dank für so viel Quatsch.
Wenn sich der liebste Erklärbär des Freistaats keine Mühe macht, die verschiedenen Anlässe voneinander zu unterscheiden, warum nun Gruppen von Menschen aufeinander losgehen, dann ist das prototypisch für die ganze sächsische Gegenwartstragik: Das zugrunde liegende Problem interessiert einfach nicht in der öffentlichen Debatte.