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Konzertkritik

Mit Blaulicht zu Scooter

Festivaltagebuch: All der Krach und Schmutz und Staub beim Highfield Festival

  Mit Blaulicht zu Scooter | Festivaltagebuch: All der Krach und Schmutz und Staub beim Highfield Festival

Das Highfield Festival am Störmthaler See war dieses Jahr größer als je zuvor. Um sich hier zu amüsieren, brauchte man eine Atemmaske, keine Sensibilität gegenüber Dreck oder jede Menge Alkohol.

Die Party beginnt schon im Shuttlebus. Bevor der Bus vom Leipziger Hauptbahnhof Richtung Störmthaler See und Highfield Festival losfährt, fragt der Assistent des Busfahrers: »Habt ihr Angst?« Irritation und Schweigen. »Also, ich hätte welche. Haha.« Ach so, Humor. Nachdem sich der Bus in Bewegung gesetzt hat, die nächste Frage: »Will jemand ein Bierchen?« Wieder Irritationen, dann hochgereckte Arme und Ja-Rufe. »Kostet eensfuffzsch.« Danach holt er die Schnäpse raus. In einem Körbchen, das an Kaffeefahrten erinnert und voller kurzer Süße-Früchte-Fläschchen ist. Die Stimmung steigt. Als wir die Stadtgrenze überschreiten, schaltet er das Radio ein. Es gibt einen extra Highfield-Radiosender, den ein Bierhersteller gesponsort hat. Dann Stau. Freitagnachmittag ist die Straße dicht mit Festivalbesuchern, die auf den Parkplatz wollen. Doch unser Busfahrerassistent hat eine Idee: »Soll ich mal die Polizei fragen, ob sie uns mit Blaulicht an dem Stau vorbeileitet?« Ja, klar. Er steigt aus, rennt zum Polizeiauto drei Wagen vor uns, quatscht auf sie ein (wir können leider nicht hören, was genau), kommt zurück, sagt: »Ja, machen sie.« Und tatsächlich, die Polizei macht Blaulicht an, fährt auf der Gegenspur an allen vorbei und wir hinterher. Jemand stimmt »Ein Hoch auf unsern Busfahrer, Busfahrer, Busfahrer« an. Der fragt nur: »Ehrlich jetzt?«

Wir sind also da. Ewiger Marsch über den Zeltplatz. Es sieht aus wie im Krieg. Auf alles hat sich eine sandfarbene Staubschicht gelegt, unter der sich die verschiedenen Zeltfarben nur erahnen lassen. Schon bevor das Festival wirklich angefangen hat, Spuren der Verwüstung allerorten. Dazwischen liegen Alkoholleichen. Andere sind noch richtig gut drauf, grölen Sauflieder und/oder pissen irgendwohin. Es gibt einen Hauptweg, auf dem sich ca. 35.000 Menschen jeden Tag mehrmals hin- und herbewegen und genau an diesem Weg zelten die Freunde. »Direkt in Mordor?«, fragt ein Kollege fasziniert oder angewidert. Vielleicht sind wir aber auch nur zu alt. Die Horde, die gerade »Helgaaaa« brüllend vorbeizieht, hat schließlich Spaß. Vom See, der das Gelände auf beiden Seiten umgibt, sieht man hier auf jeden Fall nichts. Der ist hinter einem weit entfernten Zaun.

Auf dem Festivalgelände auch überall Staub, man bräuchte eine Maske. Die Bierstände sind so riesig, dass sich keine Schlangen bilden können, weil alle drumherumstehen, man aber trotzdem nicht rankommt. Skunk Anansie spielen. Sie sind neben Skinny Lister die einzige Band, bei der eine Frau singt. Ansonsten dominieren das Line-up Männerbands, die es vor 20 Jahren schon gab. Die Headliner heißen Scooter, Limp Bizkit, Rammstein, Deichkind (für die Besserwisser: Deichkind gibt’s erst seit 19 Jahren).

Während Skunk Anansie-Sängerin Skin ordentlich die Rampensau herauslässt und durchs Publikum stagedivet, wofür man hier eigentlich ein 24-Stunden-Hausverbot bekommt, wie die Anzeigetafeln einen regelmäßig belehren, fängt auf der zweiten Bühne Olli Schulz an zu spielen. Doch kann man ihn kaum hören, weil man auch direkt vor seiner Bühne noch »Just because you« hört.

Das Highfield hat sich dieses Jahr vergrößert, es ist mit 35.000 Menschen ausverkauft, in den letzten Jahren waren es nur 25.000. Das Gelände ist zwar größer, aber für die Massen immer noch recht klein. An vielen Stellen wird man wahnsinnig, weil man zwei Bands gleichzeitig hört. Aber es gibt ein Riesenrad, was sich sehr gut auf allen Fotos macht und für Jahrmarktstimmung sorgt. Direkt daneben springen Menschen Bungee. An Ständen kann man sich über Greenpeace informieren, sich mit »Kein Bock auf Nazis« solidarisieren oder St. Pauli-Fanartikel kaufen. Die längsten Schlangen sind beim Burger-Stand.

Bei den Konzerten herrscht gute Stimmung. Der Wanda-Sänger singt den Refrain meistens vorher schon mal vor, damit auch alle mitsingen können. »Eins, zwei, drei, vier, es ist so schön bei dir«. Bei Scooter kommt es zu Polonaisen im hinteren Teil des Publikum (also in dem, wo man auch auf der Videoleinwand nur kaum was erkennen kann) und alle singen fröhlich »yeaaaah, I feel hardcore«, was bei Scooter fast schon wieder lustig ist. Wie eigentlich alles bei Scooter, die eine Show machen, als wären wir in einer überdimensionalen Open-Air-Dorfdisse.

Bei Rammstein regnets, ich bin nicht da. Sie brennen alles ab.

Am Sonntag dann Sonntagswetter. Der Staub ist fast verschwunden, dafür sieht der Zeltplatz, von dem die ersten inzwischen abreisen, aus wie eine riesige eng bewohnte Müllhalde. Auf den Bühne rockt Bonaparte gegen den Selfie-Wahn und sieht sehr gut aus dabei, während 5 Sterne deluxe auf der anderen Bühne eine Bar aufgebaut haben, an der sich bärtige Typen Drinks genehmigen, während Tobi und Das Bo die alten Hits für »die Leude« spielen. Von »Morgen geht die Bombe hoch« bis »Deine Mudda«. Eine gute Einstimmung für den allerletzten Act: Deichkind zeigen ihre perfekt durchchoreografierte Show, mit der leider die Videoleinwand zwischenzeitlich überfordert scheint. Blinkende Dreieckshelme, Schlauchboot, ein Fass als Bühne über Menschenköpfen, Konfetti, Synchrontanz und Kostümwechsel wie bei Rihanna.

Auf dem Weg über den Zeltplatz singen Menschen das Lied von der Gummibärenbande. Die Taxifahrt nach Hause ist nicht annähernd so lustig wie eine Shuttlebusfahrt.


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