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Politik

Statt Leistungsdruck und Konkurrenz

Die Kritischen Einführungswochen fragen, was schief läuft in der Gesellschaft

  Statt Leistungsdruck und Konkurrenz | Die Kritischen Einführungswochen fragen, was schief läuft in der Gesellschaft

Die Kritischen Einführungswochen haben den Anspruch, unter Studium mehr als Vorlesungen und Leistungspunkte zu begreifen. Daher finden drei Wochen lang Workshops, Stadtrundgänge und Diskussionen zu Themen wie Rassismus, Feminismus, Stadtentwicklung und mehr in der Uni Leipzig statt. Jami S. vom Organisationsteam erklärt, worum es geht.

kreuzer: Von der Universität wird selbst ein Einführungsprogramm für Erstsemester angeboten. Warum braucht es dazu noch alternative Einführungswochen?

JAMI S.: Das offizielle Programm dient vor allem der Orientierung. Wie belege ich meine Module, was sind Credits, wie funktioniert das WLAN etc. Unterm Strich: Wie füge ich mich schnell in meine Rolle im Uni-System ein, damit das Studium nach Plan verläuft? Den Vorgaben entsprechen, schnellstmöglich fertig werden für den Arbeitsmarkt, unterwegs noch ein bisschen Karriereoptimierung. Das finden wir inakzeptabel. Wir sagen: Studium heißt mehr als Vorlesungen und Leistungspunkte. Es bedeutet auch: hinterfragen, mitreden, mitgestalten. Zu fragen: Was läuft eigentlich schief in der Gesellschaft? Welchen Platz nehmen wir darin ein, und wie können wir etwas an der bestehenden Ungleichheit verändern? Darauf möchten wir mit den KEW aufmerksam machen und Freiräume schaffen, um Platz für eine kritische Auseinandersetzung mit Universität und Gesellschaft zu bekommen – und unserer Rolle darin.

kreuzer: Woraus setzt sich das Programm zusammen? Welche Schwerpunkte legt ihr und warum?

S.: Es gibt Veranstaltungen, Workshops und Diskussionen zu Themen, die an der Uni sonst zu kurz kommen: alle möglichen aktuellen Diskurse – von Diskriminierung über soziale Kämpfe hin zu alternativen Lebensweisen. Kritische wissenschaftliche Inhalte und Einblicke in die Arbeit politischer Gruppen. Außerdem mehrere Stadtrundgänge, um einen alternativen Blick auf Leipzig zu bekommen. Am Couchcafé im Campusinnenhof gibt es Kaffee, Kuchen und gute Musik. Hier ist Raum für Erfahrungsaustausch und zum Kennenlernen. Als Rahmenprogramm gibt es gemeinsame Essen, die KEW-Kneipe und natürlich die Abschlussparty. In der dritten Woche stellen sich verschiedene Leipziger Gruppen und Initiativen vor, die allesamt versuchen, die Stadt politisch schöner zu machen.

kreuzer: Die Kritischen Einführungswochen sind vor drei Jahren aus der Unzufriedenheit mit den universitären Zuständen erwachsen. Was hat sich seitdem verändert?

S.: Zuerst einmal: Durch die KEW ist eine große Lücke gefüllt worden. Wir haben ein vielseitiges Programm zu verschiedenen gesellschaftskritischen Themen. Durch die Präsenz am Campus gibt es darüber hinaus jede Menge Gelegenheiten, sich mit anderen Studis auszutauschen und zu vernetzen. Das steht als Alternative zu Leistungsdruck und Konkurrenz im Uni-System. Mehr als um die Durchsetzung konkreter Ziele in der Uni-Politik geht es uns darum, Räume für Begegnung aufzumachen, Leute für emanzipatorische Positionen zu gewinnen, kritische Sichtweisen auf Lehrinhalte zu fördern. Gleichzeitig gewinnen wir Interessierte für die verschiedenen Gruppen und Initiativen, die in Leipzig aktiv sind. Der hochschulpolitisch größte Erfolg ist vielleicht die Gründung, Stärkung und Vernetzung verschiedener fachspezifischer Gruppen. Zum Beispiel die Kritischen Lehrer, Psychologen, Juristen, Naturwissenschaftler, die innerhalb ihrer Studiengänge arbeiten und für kritische Inhalte und Debatten sorgen. Die KEW erleben wir als bestärkend, dennoch verläuft im Uni-Alltag viel davon im Sande, spätestens, wenn die Prüfungen nahen. Inwiefern wir die Universität nachhaltiger verändern können, ist ein Dauerthema in der Orga, eine abschließende Meinung gibt es nicht. Ein wichtiges Anliegen bleibt: Es gibt an der Uni Leipzig keinen selbstverwalteten studentischen Raum – im Gegensatz zu vielen anderen Universitäten. Die KEW beleben den Campus zeitweilig mit solidarischer Gegenkultur, sind aber aufwendig und schnell wieder vorbei.

kreuzer: Viele derjenigen, die jetzt neu an die Uni kommen, haben gerade erst ihren Schulabschluss gemacht. Welche Herausforderungen stellen sich diesen jungen Menschen nun an der Uni und wie versucht ihr, sie darauf vorzubereiten?

S.: Im Studium läuft sehr viel eigenverantwortlich, was anfangs überfordernd sein kann. Dabei geht schnell unter, dass es einigen Gestaltungsspielraum für den Studienverlauf gibt. Wir möchten darauf aufmerksam machen, was an der Uni Leipzig alles zu kurz kommt, wollen Perspektiven aufzeigen, was das Studium über den universitären Rahmen hinaus noch so alles beinhalten kann. Und wir möchten eine Plattform für den Austausch von Kritik, Ideen und Erfahrung bieten, möchten Leute vernetzen, denen ein unkritisches Studium ebenfalls nicht reicht. Damit sich mehr Leute einmischen und die Uni mitgestalten.

kreuzer: Wer steckt hinter der Organisation?

S.: Eine Vielzahl verschiedener linkspolitischer Gruppen und Einzelpersonen aus Leipzig.

kreuzer: Wie war die bisherige Resonanz auf die KEW sowohl von den Teilnehmenden als auch von Seiten der Universität?

S.: Die KEW kommen gut an, wir erreichen jedes Jahr eine Vielzahl von Menschen und die Themen sorgen für jede Menge Diskussion. Mit teilweise über hundert Leuten sind die Veranstaltungen gut besucht, die Themen sehr nachgefragt. Auch das Couchcafé am Hauptcampus ist ein Erfolg. Es zeigt sich: Ein bunter Campus mit entspannten Sitzgelegenheiten und lebendiger Begegnung kommt besser an als eine schnöde Steinwüste. Das Studium kann viel mehr bieten, als die Uni es gerade tut – wenn die Möglichkeit gegeben sind. Von offizieller Seite erfahren wir wenig Unterstützung. Gleichzeitig gibt es immer wieder bürokratische Hürden bei der Organisation. Das betrifft einfache Dinge, wie z. B. unsere Veranstaltung über die Facebook-Seite der Uni zu bewerben oder einen zentralen Raum für unsere Veranstaltungen zu bekommen. Ein weiteres Beispiel: In den Vorjahren durfte das Couchcafé trotz ordnungsgemäßer Anmeldung bei Regenwetter nicht ins Foyer ausweichen. Die Begründung: Die Sofas erfüllten nicht die Brandschutzvorschriften. Ein riesiger Büchertisch oder kommerzielle Aktionen wie der regelmäßig stattfindende Posterverkauf scheinen aber kein Problem darzustellen. Wir wünschen uns diesbezüglich mehr Unterstützung seitens der Universität.


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1 Kommentar(e)

Patricia Oliati 05.10.2016 | um 09:37 Uhr

"Wer steckt hinter der Organisation? SCHORLING: Eine Vielzahl verschiedener linkspolitischer Gruppen und Einzelpersonen aus Leipzig." just to balance the view: http://www.nzz.ch/feuilleton/linksextreme-gewalt-in-deutschland-immer-brutaler-ld.119692 "Die Sofas erfüllten nicht die Brandschutzvorschriften." Alternative Sitzgelegenheiten können strenge Brandschutzvorschriften erfüllen. Hier ist vom Veranstalter mehr Flexibiltät zu erwarten, insbesondere im Hinblick auf Sicherheit, denn es handelt sich um Normen innerhalb der Bauordnung. Nicht jede Auseinandersetzung muss bequem sein. @Kreuzer - bitte über den Tellerrand berichten. Zusammengefasst ist diese Einführungswoche für die fast orientierungslosen Erstsemester ein links gegen rechts?