Die Kinobar Prager Frühling präsentiert in dieser Woche wieder »Schöne Filme von weit oben«, skandinavisches Kino in der Rück- und Vorschau. Unter anderem wird es eine Retrospektive des größten Charakterdarstellers des kontemporären dänischen Kinos, Ulrich Thomsen (»Adams Äpfel«) geben. Außerdem feiert die wundervolle finnische Sauna-Doku »Was Männer sonst nicht zeigen« ihre Premiere, die bereits zahlreiche Preise gewann und in ihrer Heimat zum Hit avancierte. Das Schöne ist, dass man bei der Filmauswahl eigentlich nichts falsch machen kann, denn sehenswert ist das Kino aus dem hohen Norden fast immer.
»Nordische Filmtage«
ab 20.–24.10., Kinobar Prager Frühling
Film der Woche: »Das kalte Herz« erzählt die Geschichte des braven Köhler-Sohns Peter Munk, der aufgrund seines schmutzigen Berufs im Dorf von den meisten gemieden oder lächerlich gemacht wird. Als er sich in die reiche Glasmachertochter Lisbeth verliebt, muss Peter mit dem gut aussehenden Holzhändlersohn Bastian konkurrieren und dem Glasmacher Löbl beweisen, dass er seiner Tochter ein sicheres Zuhause bieten kann. Zu diesem Zweck lässt er sich auf einen zweifelhaften Pakt mit dem Holländer-Michel (hier gespielt von Moritz Bleibtreu) ein, der zurückgezogen in den Wäldern haust und jedem, der ihm sein Herz überlässt, grenzenlosen Reichtum verspricht. Johannes Nabers Fantasyfilm lebt in erster Linie von der detailreich und naturalistisch entworfenen Atmosphäre des 19. Jahrhunderts, die mit viel Aufwand und Hingabe zum Leben erweckt wurde. Nabers Inszenierungsstil ist mitunter ein wenig zu unaufgeregt und getragen. Seine Fassung bringt es auf stolze zwei Stunden Laufzeit und offenbart einige Längen. Das kann der Film aber weitgehend durch die glückliche Wahl seiner Darsteller wieder ausgleichen, die mit vollem Einsatz bei der Sache sind und ihren Ausflug in die archaische Welt vor der Industrialisierung sichtlich mit Spaß absolvieren. Auch als Zeitgemälde kann der Film trotz seiner fantastischen Thematik überzeugen, denn die Schilderung der entbehrungsreichen Zeit mit ihrer in erster Linie körperlichen Arbeit ist Naber ebenfalls überaus realistisch und beeindruckend gelungen. Ausführliche Kritik von Frank Brenner im aktuellen kreuzer.
»Das kalte Herz«: ab 20.10., Passage Kinos
Schneider, der ein scheinbar aalglattes Leben im Mittelstand führt, mit einer hübschen Frau und zwei hinreißenden Kindern, oder der Schriftsteller und heimliche Auftragsmörder Bax, der sich, von seiner Frau getrennt und seiner Tochter entfremdet, von Morgens bis Abends zudröhnt. Bax verbringt die Tage abgeschieden in einem kleinen Haus inmitten eines Moors. Gerade hat er eine wesentlich jüngere Frau harsch aus dem Bett vor die Türe gescheucht, da trifft auch schon seine erwachsene Tochter Francisca ein, die Bax mit ihren Neurosen auf den Wecker geht. Ein ungeplantes Hindernis auch für Schneider, denn eigentlich sollte seine Zielperson alleine sein. Da hilft nur Improvisieren, was zur Auftragserfüllung einige Menschenleben kostet. Ein blutiger Spaß, im Stile von »Headhunters« und »Fargo«, den sich auch van Wamerdam nicht nehmen ließ und die Rolle des Bax gleich selbst übernahm. Die Hintergründe der Figuren bleiben dabei bewusst im Dunkeln. Van Wamerdam ist ein visueller Erzähler und so bieten das wogenden Schilf und der Weiten des Moores ein kontrastreiches Landschaftstableau, das Tom Erisman in ästhetischen Aufnahmen einfängt. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.
»Schneider vs. Bax«: ab 20.10., Luru Kino in der Spinnerei
»An sich ist nichts weder gut noch böse. Das Denken macht es erst dazu«, mit einem Shakespeare-Zitat beginnt Asli Özge ihren Film »Auf einmal« und wirft den erfolgreichen Mittdreißiger Karsten (Sebastian Hülk) gleich mal aus den geordneten Bahnen seiner gut abgehangenen bürgerlichen Kleinstadtexistenz. Nach einer Party mit Freunden liegt eine leblose Frau in Karstens Wohnung – und plötzlich ist alles anders.
Karsten versucht noch Hilfe zu holen, verrennt sich aber in blindem Aktionismus. Die Klinik, die er aufsucht, ist in der Nacht geschlossen. Hätte Karsten das wissen müssen? Hätte er früher die 112 wählen sollen? Wäre Anna (Natalia Belitski) dann vielleicht noch am Leben? Auch wenn die Ermittlungen ergeben, dass Anna eines natürlichen Todes starb: Asli Özge seziert mit größter Sorgfalt, welch' toxische Wirkung das Misstrauen entfaltet, dem Karsten auf einmal ausgesetzt ist.
In ihrem ersten deutschsprachigen Kinofilm lässt die aus Istanbul stammende Regisseurin dabei vieles im Ungewissen. Karsten scheint immer mehr zu wissen, als die Zuschauer: Dadurch ist man zwangsläufig an ihn gefesselt und ertappt sich sogar dabei, so etwas wie Mitgefühl zu empfinden für einen Mann, der im Normalfall alles andere als ein sympathischer Zeitgenosse ist.
Doch in der düsteren Provinzmoritat, die Asli Özge entwirft, ist Karsten noch das geringste Übel. Seine Clique, eine Art Mini-Leistungsgesellschaft in der Kleinstadt lässt ihn fallen, ohne mit der Wimper zu zucken. Aus Halbwahrheiten und Ungewissheiten zimmern sie sich die Rechtfertigung, auf Distanz zu gehen. Im Kern aber geht es ihnen nur darum, eine Störung im Betriebsablauf zu eliminieren: Wer persönliche Probleme hat, kann nicht mehr reibungslos funktionieren. Das gilt auch für Karstens Liebesbeziehung mit Laura (Julia Jentsch), die in der vergifteten Atmosphäre einen qualvollen Tod stirbt.
Man sagt, dass sich das Wesen des Menschen in der Krise offenbart. Im in der idyllischen Hügellandschaft des Sauerlandes eingepferchten Städtchen Altena besteht dieses Wesen aus Scheinheiligkeit und Vorverurteilungen. Es ist ein ziemlich düsteres Bild, das Asli Özge und ihr hervorragender Kameramann Emre Erkmen zeichnen: von einem leblosen Leben in einer Leistungsgesellschaft, die sich dem Zwang funktionieren zu müssen, ausgeliefert hat.
Mit kreativer Eigenwillig verhandelt die Filmemacherin ziemlich viele und ziemlich große Themen: »Auf einmal« ist ein ziemlich komplexer Mix aus Krimi, Psychothriller, Gerichtsdrama und Soziogramm. Das mag nicht immer ausgewogen sein, ist aber im besten wie im schlimmsten Fall konsequent. Bis hin zur letzten unerwarteten Wendung, die den Film in ein bemerkenswertes Finale führt, das genauso angenehm ist, wie eine Faust im Gesicht. ANDREAS FISCHER
»Auf einmal«: ab 20.10., Schaubühne Lindenfels
Flimmerzeit September 2016
Weitere Filmtermine der Woche
Die lange queere Filmnacht
Queere Filmnacht mit dem britischen Historiendrama »Suffragette - Taten statt Worte« und dem US-Drama »Freeheld - Jede Liebe ist gleich«.
21.10., 21 Uhr, Frauenkultur
Oh Boy
Das Debüt von Regisseur Jan Ole Gerster bewegt sich mit traumwandlerischer Sicherheit zwischen absurd-witzigen Situationen und tiefer Großstadtmelancholie. Psychoanalyse trifft Film – mit anschließender psychoanalytischer Betrachtung
21.10., 19.30 Uhr, Passage Kinos
Alltag – animierte Filme von Jugendlichen zu ihrem Leben
Eine Kooperationsveranstaltung der Leipziger Syrienhilfe, BBK Leipzig, L.E. Animation und der Kinobar Prager Frühling.
22.10., 11 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Fünf Tage in New York – Gay Pride am Hudson
Eine schrille und bunte Reportage, die – angereichert mit Stimmen homosexueller Vorkämpfer – an den Ursprungsort des Gedenkens zurückgeht: die Transsexuellen-Kneipe »Stonewall Inn«.
23.10., 13.30 Uhr, Frauenkultur
Medea
Eine eigenwillige, stilisierte Adaption der antiken Euripides-Tragödie mit Maria Callas in ihrer einzigen Filmrolle, wobei sie nicht singt in dem Film.
23.10., 18 Uhr, Schaubühne Lindenfels (OmU)
Neukölln unlimited
Der Berliner Bezirk Neukölln ist berühmt für seine multikulturelle Gemeinschaft – und ebenso berüchtigt. Das Neukölln der Medien, das bedeutet sozialer Brennpunkt, Unsicherheit, Jugendgangs, Drogenhandel. Doch ist das wirklich so? Die Dokumentation von 2010 beschäftigt sich mit dieser Frage und dabei exemplarisch mit der Familie Akkouch, einer »typischen« Neuköllner Familie: jung, kreativ - und von Abschiebung bedroht.
25.10., 19.30 Uhr, Cinémathèque in der naTo
Life is a Moment
Liebesgeschichte zwischen zwei Männern aus Pakistan und Indien, die in Oslo aufeinandertreffen. Queerblick.
26.10., 19.30 Uhr, Passage Kinos
Shorts Attack – Arbeit und Ekstase
11 Filme in 90 Minuten
26.10., 21 Uhr, UT Connewitz
Unknown Pleasures
Der vielfach preisgekrönte Regisseur Jia Zhangke (»A Touch of Sin«) wirft einen Blick auf die chinesische Jugend, die sich nur schwer den Verführungen des Westens entziehen kann.
26.10., 19 Uhr, Konfuzius-Institut Leipzig (OmeU)
Bahn unterm Hammer – Unternehmen Zukunft oder Crashfahrt auf den Prellbock
»Warum muss diese Bahn an die Börse gehen?« – fragt zu Beginn des Films der Finanzkolumnist der Financial Times Lucas Zeise. Und der Film gibt kuriose Antworten: Damit der Steuerzahler mehr Subventionen an die Bahn bezahlen muss, damit Bahnfahren teurer wird, damit die Bahn auf wenige ICE-Korridore reduziert wird und »Investoren« Bahngrundstücke verscherbeln können. Die Filmemacher zeigen, wie die Bahn bereits seit Jahren auf Privatisierungskurs gesteuert wird und welch fatale Folgen dies für die Kunden hat. – anschließend Diskussion mit u. a. mit Carl Waßmuth – globaLE
27.10., 20 Uhr, Schaubühne Lindenfels
Feinkost
Die Deutsch-Tschechische Kurzfilmplatte geht in die neue Runde.
27.10., 19 Uhr, Kinobar Prager Frühling
Was bleibt
Präzise Sezierung der 68er- und Post-68er-Generationen, mit der Hans-Christian Schmid einmal mehr beweist, warum er zu den besten Regisseuren gehört, die das deutsche Kino derzeit zu bieten hat. - anschl. Filmgespräch und Diskussion mit Psychiatrie-Erfahrenen, Angehörigen und Fachleuten aus der (sozial)psychiatrischen Arbeit
27.10., 19.30 Uhr, Cinémathèque in der naTo