Johannes-Christoph-Sprachpurist hätte den Deutschen fast das Sächsische aufgebrummt. Die einen atmen auf. »Hat er doch!«, pochen die anderen aufs sächsische Recht am Hochdeutschen. Wie auch immer, wenn der Mythos tobt – allemal besser als der Mob –, ist die Sache komplizierter.
Gottsched wer? Johann Christoph Gottsched (* 1700 in Juditten, † 12. Dezember 1766 in Leipzig) ist den meisten Leipzigern am ehesten in Verbindung mit Diskokrieg und Ü21-Partys bekannt. Der Namenspatron der Gottschedstraße war einst ein ziemlich einflussreicher Geist. An der Uni lehrte er als Poetik-, später Logik- und Metaphysikprofessor. Er gab moralische Wochenschriften mit den bezeichnenden Titeln Die vernünftigen Tadlerinnen und Der Biedermann heraus. Mit der Deutsch-übenden poetischen Gesellschaft setzte sich Gottsched für die teutonische Zunge als Wissenschaftssprache ein und friemelte am Standarddeutsch herum. Also doch!
Nachdem schon Luther unterstellt wurde, das Sächsische zum Vorläufer des Hochdeutschen gemacht zu haben, soll Mimose Gottsched das vollendet haben. Nun war er viel mehr linguistischer Saubermann, der sich an ausländischen Vokabeln stieß. Er empfahl, sich der »Reinigkeit und Richtygkeit der Sprache« zu befleißigen. Nimm Sagrotan. Ums Sächsische ging es ihm nie, er trat nach unten, um sich nach oben zu bücken. Denn mit der Sprache der Gemeinen, also wirklich sächsischer Mundart, hatte er nichts gemein. Er kultivierte ein von Volksmaul und Franzoseneinfluss bereinigtes Obrigkeitssächsisch. Und klar, wenn so einer eine Standardsprache schaffen will, nimmt er einfach die eigene. So funktioniert provinzielles Denken.
Ein Teil von Gottscheds Grammatikvorschlägen hat sich nach seinem Tod durchgesetzt, allerdings durch Preußens Gloria, nachdem der Sachsenglanz verblasst war und das Sächsische längst verlacht wurde. Mit dem Schwert wurde die Bewegung der Feder diktiert.
Was hat das alles mit Theater zu tun? Gottsched mischte auch hier mit und begründete das unspielbare deutsche Literaturtheater. Nur wollte das keiner sehen. So verbannte die beleidigte Leberwurst die Mundart von der Bühne, woraus der Mythos entstand, er hätte zusammen mit der Neuberin den Hanswurst besiegt. Gottscheds Sprachregeln flossen auch in sein Musterdrama »Sterbender Cato« ein. Dichterkollege Johann Ludwig Gleim zeigte sich wenig begeistert, vielleicht konnte er kein »Hochdeutsch« erkennen: »Wie dieser Sachse Cato spricht, / So sprach der Römer Cato nicht. / Hört’ er die Reden des Poeten, / Er würde sich noch einmal töten.«
TOBIAS PRÜWER
Festveranstaltung »Der Aufklärer in Leipzig«: 12.12., 18 Uhr, Bibliotheca Albertina
PS: Kostprobe von Gottscheds Fress-dich-Reimkunst:
Gehab dich wohl, mein Sohn! Du aber, Portia,
Die ich vorlängst verlor, itzt wenig Stunden sah
Und wiederum verlier, gedenke meiner Liebe
Und folg in allem Tun dem tugendhaften Triebe,
Der dich bereits erfüllt. Beweine nicht mein Grab;
Rom, Rom, dein Vaterland dringt dir die Tränen ab!
Verdamme Cäsars Glut, die dich zur Sklavin machet,
Und weil was Römisches in deiner Brust erwachet,
So wehle künftig mir den Held zum Tochtermann,
Der den Tyrannen straft und Rom befreien kann.
Umarme mich, mein Kind! Ihr Freunde, seht mich sterben!
Ihr seufzet? Tut es nicht! Beweinet Roms Verderben!
Lebt wohl und Rom getreu. Ihr Götter! hab ich hier
Vielleicht zu viel getan: Ach! So vergebt es mir!
Ihr kennt ja unser Herz und prüfet die Gedanken!
Der Beste kann ja leicht vom Tugendpfade wanken.