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Zettels Alptraum

Kiffen, die Cops an Tisch 4 und die Medien – mein schönstes Viralerlebnis

  Zettels Alptraum | Kiffen, die Cops an Tisch 4 und die Medien – mein schönstes Viralerlebnis

Unser Kollege twitterte einen Zettel, auf dem ein Barmensch vorm Kiffen warnte, weil am Nebentisch Polizisten saßen. Danach drehte nicht nur das Internet durch, sondern auch die Medien. Ein Erfahrungsbericht.

»Nicht eine Silbe. Nur soviel will ich euch sagen: ... Keine Worte weiter!« (Shakespeare: »Ein Sommernachtstraum«) Wenn ein Zettel doch sprechen könnte, werden einige Journalisten geklagt haben, als sie Witterung nach einer Story aufnahmen. Den kleinsten Furz muss man doch noch zum Klickvieh aufpumpen können – konnten sie, wie diese kleine Geschichte zeigt.

Wie alle guten Geschichten, fing es harmlos an (und blieb so bis jetzt). Ich twitterte einen Scan eines Zettels. Darauf hatte ein freundlicher Tresenmensch als kleine Warnung geschrieben: »Nicht Kiffen. Tisch 4 ist voll mit Bullen«. Drei Tage später wird daraus nicht nur eine Räuberpistole gesponnen. Dass ich überhaupt darüber schreibe, liegt nicht an der Fallhöhe der Botschaft, sondern am Clickbait-Quatsch und Null-Journalismus, der sich hier wunderbar und nah dran in freier Wildbahn beobachten lässt.

Dass ausgerechnet dieser Zettel viral gehen sollte, war überraschend. Aber das ist ja der Dreh am Viral-Gehen, auch wenn man nur eine eher kleine Reichweite von 214 Followern hat. Dass Aggregatoren wie Dressed like Machines und später Schlecky Silberstein & Co. den schmalen Gag aufgreifen, geschenkt. Dazu sind sie da, das ist ihr Spiel, mit Netzfunden zu unterhalten. Immerhin erklärte das auch die permanent neuen eintreffenden Mitteilungen.

Dann schrieben mich Medien an: Die Bild googelte meine E-Mail-Adresse und bat mich duzend – den Sprung von Twitter- auf Mail-Ettikette nicht meisternd – um Bildfreigabe. Ich lehnte siezend ab. War doch nur ein Zettel und außerdem die Bild (sie brachten das zwei Tag später dann doch noch). Focus fragte an via Twitter und ignorierte mein Ignorieren und strickte einen Text über das angebliche Geschehen. Dass »Tresenmenschen« auch weiblich sein können, entging ihnen ebenso wie der Umstand, dass man Barpersonal nicht Kellner nennt. Sie anonymisierten mich im Text und bildeten dazu meinen Tweet mit Klarnamen ab. Beim Einschießen auf die besorgten Bürger als neue Leserschicht ist offensichtlich das letzte Fünkchen Verstand bei Foucs.de abhanden gekommen. Moralischer Nachsatz für die Wertkonservativen: »Ob er das Kiffen in Zukunft nun unterlässt, steht in den Sternen.«

Eine eigene Geschichte ganz ohne Rechercheversuche – gut, sie googelten, dass ich Journalist bin – lieferte Tag24. Zwischendurch nervte noch der Business Insider mit einer Anfrage, ob ich »mehr Infos dazu« hätte. Yo, habe ich. Aber wayne? Und gab dann zugegeben unfreundlich retour: »Es ist doch nur ein Zettel. Enthüllen Sie doch lieber z.B. die z.T. katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Gastronomie.«

Mal schauen, was noch passiert. Aber schon jetzt komme ich aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Ich weiß, es ist schlecht um den Journalismus bestellt, aber so schlecht? Echt mal, es war nur eine Notiz! Es gibt wichtige Zettel wie den Schabowskis damals 89. Aber der kleine Witz soll die Öffentlichkeit interessieren? Wegen kiffen und so? Überhaupt, ich hätte das Ding ja auch fälschen können, das hat niemanden interessiert.

Langsam lassen die Retweets nach, ganz langsam. Rund 100 Follower mehr hat mir das Viralgehen eingebracht. Gar nicht schlecht, könnte man meinen. Aber erst mal schauen, wie lange die Neuankömmlinge Lust auf Theatertweets, Gezwitscher über Leipziger Stadtleben, linke Politik und Nazis, Heavy Metal und Alkoholika, historisches Fechten und Entschwörungstheorien habe. Eine Userin zeigte sich bereits genervt: »den Tweet hab ich nun schon 3 mal gesehen!!!« Dito.


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