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Literatur

Klug, liberal, gerecht, effizient

Ökonom Thomas Straubhaar über das bedingungslose Grundeinkommen

  Klug, liberal, gerecht, effizient | Ökonom Thomas Straubhaar über das bedingungslose Grundeinkommen

Der Ökonom Thomas Straubhaar hat in seinem Buch »Radikal gerecht« durchgerechnet, wie das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) den Sozialstaat revolutioniert, und kommt zu dem Schluss, dass Deutschland nicht um ein BGE herumkommt. Im kreuzer-Interview erklärt er, wieso das klappen könnte.

kreuzer: Die Menschen arbeiten aufgrund von zunehmender Digitalisierung weniger und leben länger. Unser Sozialsystem trägt nicht mehr, behaupten Sie. Und fordern das bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Warum?

THOMAS STRAUBHAAR: Es wären sicherlich auch graduelle Änderungen möglich. Aber mit dem BGE wird jetzt ein Modell vorgelegt, an dem sich alle anderen sozialpolitischen Vorschläge messen lassen müssen. Für das Zeitalter der Digitalisierung, die drohende Altersarmut und die längere Lebenszeit, die dazu führt, dass Menschen länger Rente beziehen werden als heute, ist das BGE die klügste, liberalste, gerechteste und effizienteste Antwort.

kreuzer: Die Schweizer haben im vergangenen Sommer über das BGE abgestimmt. Mit dem Ergebnis: 78 Prozent haben es abgelehnt. Wenn es so eine einfache Idee und umsetzbar ist, warum dann die Ablehnung?

STRAUBHAAR: Es sind immerhin fast ein Viertel für das BGE gewesen. Die Schweiz war nur das falsche Land, um dieses Modell umzusetzen. Die Schweiz kennt kein System wie die deutschen Sozialversicherungen. Seit Jahren gibt es in der Schweiz Vollbeschäftigung. Man hat von einem BGE gesprochen, dessen Höhe jenseits von all dem war, was wir in Deutschland diskutieren. Da waren 2.500 Franken pro Monat im Gespräch. Wie es finanziert werden sollte, wurde offen gelassen.

kreuzer: Das BGE soll nichts anderes sein als eine fundamentale Steuerreform. Erklären Sie uns das bitte.

STRAUBHAAR: Eine Steuerreform ist es in dem Sinn, dass es alle heute geleisteten Zahlungen an den Staat und Unterstützungsleistungen vom Staat an die Menschen in einem einzigen Instrument, dem BGE zusammenfasst. Alle Einkommen werden gleichermaßen besteuert, egal ob Arbeits- oder Kapitaleinkommen. Das sind die laufenden Einzahlungen an den Staat. Auf der anderen Seite ist es so, dass alle Menschen den gleichen Betrag vom Staat erhalten. Als würde man einen Vorschuss vom Staat erhalten, der dann am Ende des Jahres mit den Einkommensteuerleistungen zu verrechnen ist.

kreuzer: Alle Einnahmen des Staates zusammengenommen und im BGE zusammengefasst, würde dies ein Grundeinkommen von etwa 1.000 Euro pro Monat für jeden ermöglichen, rechnen Sie vor. Jeder, der irgendwie Einkommen erhält, soll Steuern bezahlen, alle erhalten die 1.000 Euro. Würden eigentlich auch Roboter besteuert werden – die arbeiten ja auch?

STRAUBHAAR: Es sollen keine Roboter besteuert werden. Darunter würden die Automatisierung und die Kapitalintensität leiden und das wäre schlecht für die Arbeitsproduktivität und die Löhne in Deutschland. Aber die Eigentümer der Roboter sind zu besteuern. Wenn Firmen ihre Gewinne ausschütten, Dividenden oder Tantiemen zahlen, dann sind diese genau mit demselben Steuersatz wie Arbeit zu besteuern. Damit würde die Ungleichheit von heute beseitigt, dass ein Arbeiter Abgaben und Steuern zahlen muss und sein Kollege Roboter befreit ist.

kreuzer: Wer würde dann noch investieren?

STRAUBHAAR: Kapital ist gar kein so scheues Reh, wie viele behaupten. Das ist ein Mythos. Finanzkapital mag andernorts hingehen, aber Realkapital, also Firmenanlagen, Fließbänder, Fabrikgebäude können nicht so schnell verlagert werden. Andere Faktoren, wie politische Stabilität, Rechtssicherheit und eine gute Qualität der Infrastruktur, sind viel wichtiger als Steuersätze.

kreuzer: Was würde mit unserem Gesundheitssystem passieren, der Krankenkasse?

STRAUBHAAR: Es gibt verschiedene Modelle, die absolut kompatibel mit dem BGE sind. Das Gesundheitssystem könnte so wie in Skandinavien verstaatlicht werden, so dass alle gleichermaßen zu einer Grundversorgung kostenlos Zugang hätten. Oder man könnte dem Schweizer Modell folgen und ein Grundpaket an Leistungen versichern. Jede Versicherung muss diese zu einem festgelegten Höchstpreis für alle anbieten. Das müsste dann in der Tat von den 1.000 Euro finanzierbar sein. Darüber hinaus müsste man sich individuell versichern.

kreuzer: Menschen reagieren auf Anreize, so formuliert es Ihre eigene Disziplin die Volkswirtschaftslehre. Wird noch jemand arbeiten, wenn der Anreiz wegbricht zu arbeiten?

STRAUBHAAR: Es gibt empirisch ein Paradoxon. Fragen Sie Menschen, ob sie selber bei einem Grundeinkommen noch weiter bereit wären zu arbeiten und etwas dazu zu verdienen, sagt die überwiegende Mehrheit, dass sie mehr als das Existenzminimum haben möchte. Fragen Sie dieselben Menschen noch mal, wie sich deren Nachbarn verhalten würden, antworten sie, dass diese sicherlich aufhören würden zu arbeiten.

kreuzer: Also wissen wir nicht allzu viel.

STRAUBHAAR: Es gibt keine empirische Evidenz, wie ein Systemwechsel die Motivation der Menschen zu arbeiten verändert. Aber man weiß ohnehin nicht, wie die Arbeitswelt von morgen aussehen wird, gerade in Bezug auf die Digitalisierung. Wenn man an den Anreizgedanken glaubt, dann müssen Menschen einfach entsprechend höhere Anreize geboten werden, damit es sich stärker als heute lohnt, arbeiten zu gehen.

kreuzer: Das bedeutet einen höheren Reallohn für alle.

STRAUBHAAR: Genau. Die Marktmacht der Beschäftigen gegenüber den Kapitalisten würde steigen. Und je mehr sie zunimmt, umso mehr müssen die Arbeitgeber aktiv werden, um Beschäftigte zu finden. Das würde zu steigenden Reallöhnen führen, was finanzierbar ist. Die Digitalisierung führt zu steigender Arbeitsproduktivität und höheren Reallöhnen.

kreuzer: Wäre das BGE nicht ein Anreiz für andere Menschen, hierher nach Deutschland zu kommen?

STRAUBHAAR: Das ist absoluter Unsinn. Durch eine entsprechende Regulierung können Sie genau das verhindern. Diese Regulierung folgt einer Änderung, die eh schon im europäischen Recht zur Anwendung gelangen wird. Nämlich, dass Menschen, die von außen nach Deutschland kommen, nicht sogleich in das deutsche Sozialsystem aufgenommen werden, sondern im Sozialsystem im Herkunftsland verbleiben. Denkbar wäre, dass die Menschen, die nach Deutschland kommen, für jedes Jahr, welches sie hier beschäftigt sind und Steuern zahlen, sie dann zehn Prozent des Grundeinkommens erlangen. Dann würden sie nach zehn Jahren gleichbehandelt.


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