Die Linke hat keine Stimme mehr und sie wird nicht mehr gehört. Helfen kann nur linker Populismus; das hört man derzeit vermehrt in Debattenbeiträgen. Drei Lektüren verschreiben diese Medikation, um den Rechtsdrift in der sogenannten westlichen Welt zu stoppen. Nur linker Populismus könne das Ruder herum reißen. Einig sind sie sich auch darin, dass die Linke über angebliche Nebenwidersprüche wie das Kämpfen für Minderheitenrechte – als »Identitätspolitik« gegeißelt –, den Hauptwiderspruch vergaß: die soziale Frage.
Einfache Antworten fordert Dramaturg Bernd Stegemann (»Das Gespenst des Populismus«) besonders in der Auseinandersetzung mit Populismus von rechts. Mit klaren Bildern und Forderungen, gern auch mal robust, müsse AfD & Co. begegnet werden und die eigene Kritik an den neoliberalen Verhältnissen durchschlagender werden. Er sieht in vermeintlicher Political Correctness den Hauptfeind in den eigenen Reihen. Wie ein Zerrspiegel rechter Maulkorb-Herbeifantasierer wähnt er eine Sprachpolizei am Werk, die den Menschen Worte verbietet. Darum wählten die dann eben nicht links. Wieder einmal ist die Postmoderne schuld – auch damit ist Stegemann gefährlich nah am Rechtspopulismus, der so zu einer wirklichen Opposition stilisiert wird.
Mit ähnlicher Argumentation und auch auf den Klassenstandpunkt insistierend – dass der Klassenbegriff überlebt ist, interessiert beide Autoren nicht – versucht Christian Baron zu zeigen, »Warum die Linken die Arbeiter verachten«. Erwerbslose wäre der bessere Name gewesen. Denn in der Tat haben viele Linke sich nicht gerade intensiv an Anti-Hartz-IV-Protesten beteiligt, mag gerade unter sich als links verstehenden Akademikern bürgerlicher Standesdünkel herrschen. Doch neben schlagenden Anekdoten als Arbeiterkind, das in seiner Familie universitäres Neuland betrat, liefert Baron wenig mehr als selbst ein Klischeebild der – insbesondere studentischen – Linken. Alle würden von den Mittelschichtseltern durchgefüttert, in Foucault-und-Adorno-Lesekreisen schwadronieren und sich über alle lustig machen, die sich die Ordnung der Dinge nicht so verquast denken könnten wie sie. Den »einfachen Arbeiter« holten sie damit nicht ab und unterstelltem dem dann auch noch Rassismus, nur weil der Sachen unbekümmert beim Namen nennt. Barons Text entpuppt sich neben Konstruktionsfehlern – was haben Bild-Kampagnen gegen »Florida Rolf« und Westerwelles »spätrömische Dekadenz« sowie sein Plädoyer für ein Grundeinkommen mit der Kritik am linken Klassizismus zu tun? – in zwei Punkten als trügerisch. Er hält seinerseits an der Vorstellung vom Wenig- und Garnicht-Verdiener als naiven Bildungsfernen fest. Und in allen Einkommensschichten grassierende rassistische Einstellungen wischt er bei Seite. Und wenn jemand halt mal »Negerkopf« sagt, dann sei das Ausdruck glücklicher Kindheitserinnerungen, das dürfe man ihm nicht wegnehmen. Baron inszeniert sich und die »Arbeiter« als Opfer eines konstruierten Gegners. Ja, so geht Populismus. Ob das links ist?
Deutlich klüger sezieren Nick Srnicek und Alex Williams (»Die Zukunft erfinden«) die Probleme der hinkenden Gegenwartslinken. In zu viele kleine Kämpfe – immerhin finden die Autoren diese nicht unwichtig – hätten die sich verstrickt, die Kraft hegemonialer Diskursbestimmung verloren. Das Buch ist die praktische Ausformulierung des Akzelerationismus, den das Autorenduo als Ausweg aus Kapitalismus bereits in einem Theoriemanifest (»#Akzeleration«) einforderten. Durch Hyperbeschleunigung wollen sie das Wirtschaftssystem mit eigenen Mitteln schlagen. Hierfür sei die umfassende Automatisierung und die Aneignung technologischer Strukturen – klar, hier werden einmal mehr Internet und digitale Vernetzung an sich zur Lösung – notwendig. Das Wegfallen unzähliger Arbeitsplätze würde zuerst eine Verkürzung der Arbeitszeit, später das bedingungslose Grundeinkommen für breite Gesellschaftsgruppen als plausible Forderung attraktiv werden lassen. Diesen ideellen Minimalkonsens könnte ein linker Populismus auf breiter Bündnissuche erreichen. Wie genau das passieren soll, bleibt vage. Immerhin ist die Kritik am Ist-Zustand klar dargelegt, sehen sich Srnicek und Williams nicht als Opfer, sondern Akteure mit klarem Fokus: den Arbeitsethos abschaffen. Daran kann man kritisch oder konstruktiv ansetzen, wenn man über die Gestaltung von Welt nachdenkt. Stegemanns und Barons Ruf nach linkem Populismus hingegen ist nichts weiter als restaurativ: Sie hätten gern so etwas wie die alte Tante SPD wieder, wo um Frauen und Gedöns nicht so viele Worte gemacht wurden.