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Kultur

»Das Lied war Propagandainstrument«

Intendant Alexander Steinhilber über Konzerte, Interpreten und Neuerungen beim Bachfest

  »Das Lied war Propagandainstrument« | Intendant Alexander Steinhilber über Konzerte, Interpreten und Neuerungen beim Bachfest

Das Bachfest aus der Perspektive des Reformationsjubiläums zu kuratieren, mag wie ein recht akademischer Ansatz wirken, führt die Musik betreffend aber geradewegs zu den größten Schätzen. Noch dazu, wenn hochrangige Interpreten wie John Eliot Gardiner oder Jordi Savall, András Schiff und andere dafür gewonnen werden können. Im Mittelpunkt des Bachfestes stehen in diesem Jahr Bachs Choralkantaten der Jahre 1724/25 – und andere mit der Reformation verbundene Kompositionen von Bachs Zeitgenossen bis hin zu Mendelssohn. Zu Gast sind außerdem namhafte Jazzer, Bacharrangeure und Liedermacher. Der kreuzer war im Gespräch mit dem geschäftsführenden Intendanten des Bachfestes, Alexander Steinhilber.

kreuzer: Die Reformation und Luther sind in die­ sem Jahr auch beim Bachfest Thema, welchen musikalischen Zusammenhang gibt es da?

ALEXANDER STEINHILBER: Bach gilt als Gipfel-punkt der musikalischen Auseinandersetzung mit dem protestantischen Liedrepertoire. Luther hat ja etwa 30 Lieder, Choräle selbst geschrieben, 13 davon kennen wir in Bachs Kantaten verarbeitet.

kreuzer: War es denn außergewöhnlich, dass Luther als Geistlicher Lieder komponiert hat?

STEINHILBER: Luther war musikalisch gebildet, hat Laute gespielt und Liedmelodien mit erfunden, viele Melodien sind Kontrafakturen, stammen aus dem weltlichen Kontext. Mein Lieblingsbeispiel ist immer »Eine feste Burg ist unser Gott«, ursprünglich ein Tanzlied, »Mit Lust tret’ ich an diesen Tanz«, das auch eine völlig andere Rhythmisierung hatte. Er hat Sachen übernommen, die die Leute kannten. Das reformatorische Lied war ein Propagandainstrument für reformatorische Ideen. Wir haben das als Anlass genommen für eine Gesprächsrunde beim Bachfest mit Konstantin Wecker, Judith Holofernes und Hans-Eckardt Wenzel. Wir haben uns gefragt: Wie ist es heutzutage, mit welchen Ansätzen sind Leute unterwegs, die Lieder machen, und wie verändern Lieder heute die Welt?

kreuzer: Einer der Höhepunkte beim Bachfest wird die Aufführung von Bachs h-­Moll-­Messe mit dem Dresdner Kammerchor und dem Gewand­hausorchester unter Herbert Blomstedt sein. Wie kam es, dass Bach als Protestant eine katholische Messe geschrieben hat? Barg das kein Konflikt­potenzial?

STEINHILBER: Im protestantischen Gottesdienst gibt es bestimmte Messteile musikalisch nicht, daher unterscheiden wir zwischen den kurzen evangelischen und den langen katholischen Messen. Bachs h-Moll-Messe ist eine katholische Messe, die er geschrieben hat, um sich in Dresden als Hofkomponist zu bewerben, denn der Dresdner Hof war katholisch. Bach wollte den Titel des königlichen Hofkomponisten haben. Er hat zwar in Leipzig gut verdient, aber nach oben war schon noch Luft. Um es kurz zu sagen: »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.« Natürlich war Bach ein tiefgläubiger Lutheraner. Aber es ist ja nicht ehrenrührig, als Lutheraner katholische Kompositionen abzufassen, würde ich behaupten wollen.

kreuzer: Es gibt zahlreiche Konzerte mit Kompo­nistenschwerpunkt, darunter auch Mendelssohn.  

STEINHILBER: Mendelssohn ist, wie viele gar nicht wissen, zwar jüdischer Herkunft, aber protestantisch aufgewachsen, hat eine zum Thema passende Sinfonie geschrieben, die Reformationssinfonie, die wir mit Gardiner aufführen. Auch der »Paulus« nimmt Bezug auf protestantische Choräle. Wir haben Mendelssohn also nicht zufällig im Bachfest.

kreuzer: Es gibt in diesem Jahr mit Monteverdi, Rosenmüller und Telemann noch einige Jubilare, denen Aufmerksamkeit gewidmet wird. 

STEINHILBER: Wir versuchen immer, Themen mit reinzunehmen, die sich einfach aufdrängen. Eines ist 450 Jahre Claudio Monteverdi. Eine Art Reformation der Operngeschichte gab es 1607 ja auch mit der Aufführung des »Orfeo«, den wir mit Jordi Savall im Gewandhaus haben werden.

Rosenmüller haben wir als Thomaskantor mit dabei. Bach steht in einer Tradition der Thomaskantoren. Wenn es da ein Jubiläum gibt, wäre es nicht richtig, zu sagen, Bach ist der einzige Thomaskantor, den wir beim Bachfest sehen.  Auch Telemann hat ein Jubiläum, ich gestehe, dass wir uns da etwas zurückgehalten haben, weil es deutschlandweit und sogar international hier bereits eine große Jubiläumsaktivität gibt.  Wir haben zu diesem Thema eine Zusammenarbeit mit Musica Nova und Steffen Schleier-macher, von ihm gibt es auch eine Uraufführung.

kreuzer: Wer genau kuratiert eigentlich das Bachfest?

STEINHILBER: Wir haben eine Dreiteilung in der Organisation. Der künstlerische Leiter ist John Eliot Gardiner, wir haben einen Dramaturgen, Michael Maul, und ich bin der geschäftsführende Intendant. Wir machen das in einer guten triumviralen Zusammenarbeit.

kreuzer: Es kommen Bachverehrer aus aller Welt nach Leipzig zum Bachfest gepilgert, wie versu­chen Sie, das Leipziger Publikum zu erreichen?

STEINHILBER: Wir bieten auf dem Markt ein tolles Programm, flankiert von einem guten kulinarischen Angebot. Das Ganze wird außerdem moderiert werden, dafür haben wir Tim Thoelke (der RB-Stadionsprecher, d. Red.) gewonnen. Das ist die »Umsonst und Draußen«-Veranstaltung, zu der alle kommen können, auch unabhängig von den Verdienstmöglichkeiten.  Aber das Bachfest muss auch in die Stadtteile gehen, im UT Connewitz gibt es ein Konzert mit Richie Beirach, in der Schaubühne Lindenfels eine Klassik Lounge, wo wir »ÜberBach« von Arash Safaian spielen, dazu gibt es an dem Abend einen DJ. Mit diesen Formaten möchten wir auch einen anderen Einstieg fürs Publikum bieten.

kreuzer: Gibt es Interpreten, die Sie in dieser Sai­son als Geheimtipp besonders empfehlen? 

STEINHILBER: Das Dunedin Consort unter der Leitung von John Butt ist ein herausragendes Ensemble, das vielleicht hier in Deutschland nicht ganz so bekannt ist wie ein Savall oder Gardiner. Ich glaube, das wird ein ganz tolles Konzert werden.


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