Nach gefühlten zwei Jahrzehnten wurde am Mittwoch die Uni-Mehrzweckhalle, genannt Paulinum, mit einer Bauabschlussfeier eröffnet. Landesvater Tillich war stolz, Finanzminister Unland überstrahlte die LED-Säulen und Bundeswissenschaftsministerin Wanka betonte die Freiheit in Geschmacksfragen, auf dass nicht Allen das Gemäuer gefallen müsse. Zu letzteren gehörte ganz offensichtlich eine kleine Gruppe jüngerer Protestierender aus den Reihen der Juso-Hochschulgruppe und von Die Partei, die leise und mit Seifenblasen vor der Warteschlange der geladenen Gäste ihren Unmut verkündeten
Diese dezente Dagegen-Haltung resultiert aus den jahrelangen und zum Teil sehr heftigen Streitigkeiten zum Bau. Quälgeister wie der Paulinerverein – ein Leipziger Zusammenschluss älterer Herrschaften, der leidenschaftlich für das Gestern kämpft – verleideten Debatten und bearbeiten bis heute kritische Stimmen, die zwar gern ihre Meinung vertreten wollen, aber überhaupt keine Lust auf die Auseinandersetzung mit rückwärtsgewandtem Denken verspüren.
Tillich jedenfalls freute sich, dass es der DDR nicht gelungen sei, Wissen und Glaube zu trennen und bemühte in seiner Feierrede die Übertreibung, dass der Bau »einmalig für Sachsen« sei (was die LVZ dankend auf Seite 1 in ihrer Donnerstagsausgabe beförderte). Doch leider steht das Bauwerk ganz allgemein für sächsische Verhältnisse: geboren aus dem unstillbarem Hunger von Kommunistenfressern und Revolutionswächtern auf Revanche, auf verquer romantische bis weinerliche Weise rückwärtsgewandt, voller Manipulationen demokratischer Prozesse sowie Taubheit gegenüber Kritikern – und mit dem unbändigen Willen, alles zur Erfolgsgeschichte umzumünzen. Am Ende kommt einfach nur teurer Quatsch heraus. All dies vereinen der Bau und die Bauendfeier auf wunderbare Art und Weise, weshalb der Blick auf ein paar ausgewählte Episoden nicht schadet.
Mehrere Zwecke – viele Lehrstücke
Allein die heutige Bezeichnung »Paulinum: Aula und Universitätskirche St. Pauli« resultiert aus einem Streit, der geführt werden musste, weil der Paulinerverein seine dogmatische Haltung zur einseitigen Kirchennutzung nicht aufgeben wollte. Der sogenannte Harms-Kompromiss (weil die damalige Generalbundesanwältin Monika Harms vermittelte) bietet sich als Studienobjekt um gewollte und ungewollte Geschichtsrekonstruktionen an.
Das eigentliche Paulinum entstand auf dem Grundstück der 1240 geweihten Klosterkirche St. Pauli der Dominikaner und gelangte nach der Säkularisierung 1543 in den Besitz der Universität. Der Leipziger Architekt Arwed Rossbach gestaltete von 1891–97 das Gelände grundlegend um. So erhielt die Uni eine Aula, die der lokale Malfürst Max Klinger mit einem großen Wandgemälde anreicherte. Bei den Feierlichkeiten zum 500. Uni-Jubiläum 1909 durften die Gäste erstmals »Die Blüte Griechenlands« betrachten. Kirche und Wissenschaften führten also damals bereits unterschiedliche Leben in unterschiedlichen Räumen. 1943 wurde die Uni bis auf die Kirche größtenteils zerstört.
Sozialistische Moderne
Als Frank Schöbel und Chris Doerck im 1967 gedrehten DEFA-Klassiker »Heißer Sommer« ihre Tänzchen auf dem damaligen Karl-Marx-Platz und heutigen Augustusplatz aufführten, da diente als Bühnenbild die DDR-Architektur der fünfziger und sechziger Jahre. Kein Kameraschwenk glitt über die neogotische Fassade von St. Pauli. Ein Jahr später gelangte der Film in die Kinos und am 30. Mai 1968 wurde die Kirche gesprengt, um dem Unineubau Platz zu machen. An ihrer Stelle entstand das Rektoratsgebäude mit dem Marx-Relief »Aufbruch« an der Fassade und dem Wandbild »Arbeiterklasse und Intelligenz« von Werner Tübke in Inneren.
Nach 1989
Die Wende musste auch Spuren in der Architektur hinterlassen. Bis die modernen Bauformen (ausgenommen der Uniriese) als Sinnbilder sozialistischer Diktatur weggeschliffen und abgerissen wurden, tobten schon die Streitigkeiten. Ein besonderer Punkt war dabei – wer darf hier eigentlich über welche Formen entscheiden: der Nutzer (Uni) oder der Bauherr (Freistaat)? Die Leipziger Blätter schrieben damals »von parteipolitischem Gezänk bis zu Erpressung und Entmündigung der Universität durch die Landesregierung«. Vor allem der Siegerentwurf aus dem Architekturwettbewerb um das innerstädtische Campusgelände von Behet + Bondzio brachte mal wieder die Quälgeister des Paulinervereins 2002 auf die Barrikaden.
Stanislaw Tillich erinnerte sich in seiner Rede zur Bauabschlussfeier am Mittwoch sehr gern an diese Zeit. Da er seit 1999 Mitglied der Staatsregierung ist, konnte er gut beschreiben, wie sein Parteikollege und damaliger Kultusminister Matthias Rössler die Wende im Wettbewerbsverfahren mit den Worten einleitete: »Da muss was gemacht werden«. Gesagt – Gemacht: Es wurde den Quälgeistern gefolgt und ein Qualifizierungswettbewerb veranstaltet. Qualifizierung meint in diesem Fall eine schattenlose Geschichtskittung Stein um Stein und vor allem mit einigen blinden Augen, was die Bau- und Institutionsgeschichte der Universität betraf. Meinhard Michael beschrieb diese Posse recht ausführlich im Herbst 2004 in den Leipziger Blättern.
Die kitschige Katastrophe
Architekt Erick van Egeraat bekannte in der LVZ zu seinem Werk: »Alle können zufrieden sein« und wenn das ein Architekt behauptet, schleichen sich einige Verdachtsmomente an.
»Eine Katastrophe. Das ist noch schlimmer als gedacht«, mit dieser eindeutigen Wortwahl betrat ein ausgewiesener Leipziger Architekturkenner am Mittwoch das Paulinum. »Kitschig und ohne Eigenschaften«, so lauteten die etwas milderen Worte eines anderen Leipziger Bauexperten. Der 117 Millionen teure Neubau am Augustusplatz mit seinen sechs abgeschnittenen Säulen samt LED-Lichtatmosphäre erinnert positiv denkende Architekturhistoriker mit wirklich sehr viel Phantasie und Wohlwollen ansatzweise an die Innenraumgestaltung von Hans Poelzig, die er 1918/19 für das Große Berliner Schauspielhaus entwarf. In diese Richtung mag auch Finanzminister Unland gedacht haben, als er dem Architekten eine »expressionistische Bausprache« bescheinigte.
Wieder eine sächsische Erfolgsgeschichte
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka besitzt einen ganz persönlichen Zugang zur Leipziger Uni: Sie studierte von 1970 bis 1974 Mathematik an der damaligen Karl-Marx-Universität, was sie in ihrer Rede zu dem Bekenntnis führte: »Das ist meine Universität«. Und Frau Wanka wurde nicht müde, über die sächsischen und Leipziger Erfolge zu referieren. Interessanterweise tauchten weder Fakten zum Stellenabbau noch von der Schrumpfung wissenschaftlicher Einrichtungen in ihrer Rede auf. Auch der Umstand, dass Leipzig innerhalb der seit mehr als zehn Jahren existierenden Exzellenzinitiative bisher nicht als Universität auftaucht, kam nicht zur Sprache. Dafür hat Leipzig den teuersten Unineubau in der ganzen BRD seit der Wende. Kritiker könnten raunen, dass da die Punkte auf der Prioritätenliste wohl zugunsten von schönen Fotomotiven vertauscht worden waren.
Aber auf eine Zahl war die Ministerin besonders stolz – vor allem mit ihrem Einschub: »Wir wissen ja wie über Sachsen gesprochen wird, Herr Tillich«: Die Leipziger Universität besitzt den zweithöchsten Ausländeranteil. Daraus zu schlussfolgern, dass ein religiös neutraler Raum einer visualisierten und verräumlichten Begrüßungskultur dienlicher wäre, fiel ihr allerdings nicht auf.
Die Juso-Hochschulgruppe warf in ihrem Protestfaltblatt zur Eröffnung der CDU vor, dass sie so tut »als ob der Freistaat mit seinen Bürger*innen und Liegenschaften ihren persönlichen Hofstaat darstellt«. Aber so möchte die CDU nicht wahrgenommen werden, weshalb losgelöst vom Programmzettel Rektorin Schücking die 300 geladenen Gäste zur Baufeier begrüßen durfte. Im Gegensatz zu den anderen Rednern mit CDU-Parteibuch sprach sie allerdings nicht vom Rednerpult, denn feine Unterschiede müssen dann doch schon gemacht werden.
Im Flugblatt heißt es weiter: »Während die Hochschule aus allen Nähten platzt, wird heute ein Raum gefeiert, welcher den Studierenden im Alltag wenig nützt.« Mit Blick auf derart profane Uniprobleme sollten Tillichs Worte zum Neubau im Ohr behalten werden: »Es geht nicht um die Kosten«. Darum müssen sich die älteren Herrschaften des Paulinervereins nun wahrlich auch nicht kümmern, da gibt es für sie noch ganz andere Baustellen.
Die Angst vorm Übersehen
Damit der Stadt-Flaneur nicht ahnungslos vor dem Unigebäude steht und sich so seine eigenen Gedanken über die Fassade macht und sich vielleicht gar die Frage stellt, was Glaube und Wissenschaft im 21. Jahrhundert verbinden mag, errichtete sich der Paulinerverein 2015 schon mal sein eigenes Denkmal. Es steht zwischen Parkhauseingang und dem Univorplatz. Neben dem Modell der ehemaligen Unikirche sind das Weihe- sowie das Sprengdatum und selbstverständlich der Kümmerer – der Paulinervein – zu lesen. Und der hat noch einiges auf seiner To-Do-Liste zu stehen, was in Zukunft erledigt werden muss, damit auch alles nach seinem Willen umgesetzt wird. Der nächste Zwist wartet bereits: die barocke Kanzel aus der ehemaligen Unikirche oder keine Kanzel in der Halle. Mal wieder muss eine Kommission eine Entscheidung treffen.
Ob bis zur Einweihung seitens der Uni Anfang Dezember eine Lösung gefunden wird, mag man im Hinblick auf die letzte Jahrzehnte müde abwinkend schon mal verneinen dürfen.