Als Publizist stand er mit der DDR-Staatsführung auf Kriegsfuß. Als Leiter des Leipziger Dokumentar- und Animationsfilmfestivals nach der Wende war er hochgeschätzt. In jüngeren Jahren wurde seine Tätigkeit für die Stasi bekannt, die er stets abgestritten hat. In diesem Jahr feierte Fred Gehler seinen 80. Geburtstag. Wir treffen uns in einem lauschigen Café auf der Karli, um zurückzublicken auf die schwierigen Jahre des Festivals im Sozialismus, seine Amtszeit von 1994 bis 2003 und seinen Blick auf das Festival heute.
kreuzer: Das Dok Leipzig feiert seinen 60. Jahrestag, was verbinden Sie mit dem Festival?
FRED GEHLER: Ich habe in meiner Rede zum 40. Jahrgang gesagt, dass für mich das Leipziger Festival auch immer etwas von einem Januskopf gehabt hat. Es war ein wesentlich auch von den Kulturinstitutionen des Staates dirigiertes Festival, mit Vorschriften, die die Auswahl betrafen, mit Kleingeistigkeiten in den Entscheidungen, da gab es immer wieder Perioden, in denen ganze internationale Cinematografien in Verruf standen, subversive Züge zu haben. Das sind diese negativen Begleiterscheinungen des Festivals über viele Jahre hinweg gewesen. Aber für mich gibt es auch die positive Tradition, die ja mit dem Motto »Filme der Welt – Für den Frieden der Welt« und dem Logo, der Picasso-Friedenstaube, zum Ausdruck kam. Auch die Rolle, die das Festival gespielt hat in den Jahren, als der Vietnamkrieg tobte, als der Putsch in Chile war und so weiter.
kreuzer: Wie kam es, dass Sie Leiter des Festivals wurden?
GEHLER: Anfang des Jahres 1990, da gab es eine Versammlung vom Verband der Filmschaffenden in Berlin, und da spielte eben eine Rolle, wie entwickelt sich das Leipziger Festival, jetzt,
wo es keinen Club der Filmschaffenden der DDR mehr gibt und auch die staatlichen Institutionen in Frage gestellt sind. Und da schlug seltsamerweise jemand mich als möglichen Festivalchef für Leipzig vor. Ich stand auf und lehnte entrüstet ab, ich sagte: Das ist ein völlig falscher Vorschlag, es ist gut gemeint, ich fühle mich geehrt, aber ich habe vor, für das Fernsehen neue Filmessays zu machen. Das führte dann erst wieder 93 dazu, dass man mich fragte, ob ich in die Auswahlkommission gehen würde. Das war aber auch das Jahr, in dem die damalige Leiterin Christiane Mückenberger Krebs bekam, was dann dazu führte, dass sie aus gesundheitlichen Gründen ihren Rücktritt avisieren musste, und dann kam ich wieder in die Diskussion – und da hab ich zugesagt.
kreuzer: Die Filmgeschichte hatte in Ihrer Arbeit immer einen hohen Stellenwert.
GEHLER: Die Retrospektiven waren für mich eine der wichtigsten Seiten des Festivals. Ich war ja seit 1968 künstlerischer Mitarbeiter des Casinos und für das Archivprogramm zuständig, das vom Staatlichen Filmarchiv ausging, und die damaligen Retrospektiven des Festivals liefen
im Casino. Man muss ja daran denken, dass auch der Anfang des Festivals eine Idee von damals großen Namen des internationalen Dokumentarfilms war: Joris Ivens zum Beispiel. Und die ersten Retrospektiven in den frühen sechziger Jahren waren Flaherty, Cavalcanti, Joris Ivens, und das war Filmgeschichte pur. Hätt ich mir nie besser wünschen können, das war wirklich
eine kleine Universität mit sehr nachhaltigen Eindrücken. Diese Jahre haben eigentlich mein ganzes Verhältnis zum Festival geprägt. Als Leiter des Festivals habe ich mich von Anfang an eingebunden, auch in die Diskussion und Auswahl der Retrospektiven. Später hatte ich dann das Gefühl, dass diese Programmhierarchie oder diese Möglichkeit, sich ganz umfassend um das Programm zu kümmern, nicht mehr so gesehen und aufgegeben wurde.
kreuzer: Heute hat das Festival ganz andere Dimensionen erreicht als noch zu Beginn der Neunziger, mit über 300 Filmen und fast 50.000 Besuchern …
GEHLER: Je umfangreicher und scheinbar opulenter ein Festival erscheinen will, desto mehr geht natürlich auch oft die Liebe zum Detail und zu den kleinen Kostbarkeiten verloren. Ich denke, man kann manche Filme im Festival nicht so pflegen, wenn man wirklich nur auf Massenwirkung aus ist. Ich glaube, das ist auch oft für die Filmemacher selbst ein Problem, wenn sie fühlen, Teil so einer Massenveranstaltung zu sein. Ich habe das Programm mit den angenommenen Filmen im Wesentlichen immer selbst gebaut. Ich weiß, wie schweißtreibend das ist und manche Filmemacher sind da auch sehr verletzbar, wenn sie merken, sie rutschen an den Rand des Festivals. So ein Programmbau ist ein kompliziertes Geschäft. Es muss überschaubar bleiben. Man darf am Ende nicht das Gefühl haben, dass ein Festival sich zu sehr aufbläht.