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Mach End, o Herr, mach Ende!

Der 21. »Leipziger Literarische Herbst« ist hoffnungslos altbacken und provinziell

  Mach End, o Herr, mach Ende! | Der 21. »Leipziger Literarische Herbst« ist hoffnungslos altbacken und provinziell

Der »Leipziger Literarische Herbst« versucht in diesem Jahr auf den Zug der Reformationsfeiernden aufspringen. »Martin Luther – Superstar« lautet das Motto. Mit dem dazugehörigen Programm springen sie aber leider am Zug vorbei.

Luther-Dekade, Reformationsjubiläum, Kirchentage – man muss kein fanatischer Pastafari sein, um langsam die Faxen dicke zu haben. Doch es ist noch nicht vorbei: Martin Luther hat seine 95 Thesen am 31. Oktober 1517 an die Wittenberger Schlosskirchentür genagelt. Bis sich das denkwürdige Gehämmer zum fünfhundertsten Male jährt, wird gnadenlos weitergefeiert. Und wenn die Protestanten derartig die Sau rauslassen, dürfen die Trittbrettfahrer – Verzeihung: die Feierbiester vom Leipziger Literarischen Herbst nicht außen vor bleiben. Darum lautet ihr diesjähriges Motto: »Martin Luther – Superstar«.

Natürlich wissen wir nicht, was Luther dazu sagen würde. Wahrscheinlich aber etwas in der Art wie: »Dass sie Blitz und Donner erschlüge, höllisch Feuer verbrennte, Pestilenz, Karbunkel und alle Plage hätten!«

Und man könnte ihm nur beipflichten.

Warum die Erregung? Darf sich ein Literaturfestival etwa nicht auf Martin Luther berufen, den genialen Übersetzer, Sprachschöpfer und Lieddichter? Allemal! Nur interessieren sich die Veranstalter des Literarischen Herbstes gar nicht für Luther. Schön, Feridun Zaimoglu liest aus einem Luther-Roman »Evangelio«, das war wohl alternativlos. Die Eröffnung bestreitet hingegen Peter Sloterdijk mit »Nach Gott – Glaubens- und Unglaubensversuche«, einem peinlichen Sammelsurium von bis zu zwanzig Jahre alten Philosophastereien, das selbst hartgesottenen Sloterdijk-Aficionados die Schamesröte ins Antlitz treibt. F. C. Delius darf dann noch aus »Die linke Hand des Papstes« von 2013 vorlesen. Der Roman ist eher mittelprächtig, immerhin bekehrt sich darin der Pontifex zum Luthertum. Und sonst? Der Göttinger Dichter-Theologe Albrecht Gralle sinnt über die Frage »Was würde Luther heute tun?« nach, und Schüler der Freien Waldorfschule fragen sich: »Woran glauben wir eigentlich?«.  

Dass – bis auf den unvermeidlichen Friedrich Schorlemmer – Theologen und Kirchenleute auf dem Festival so gut wie keine Rolle spielen, ließe sich noch verschmerzen. Aber auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die zu den Themen Religion, Reformation, Säkularisierung wirklich etwas zu sagen hätten, sucht man im Programm des Literarischen Herbstes vergeblich. Wo bleiben Arnold Stadler, Ilija Trojanow, Patrick Roth, Peter Henisch, Benjamin Stein, Christian Lehnert, Michael Köhlmeier, Sibylle Lewitscharoff? Stattdessen lesen zum Beispiel Radjo Monk, Jutta Pillat, Günter Gentsch. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das sind alles ehrenwerte Leute, die gewiss ihr Handwerk beherrschen und deren Engagement für die Literatur Respekt verdient. Aber sie verleihen dem Literarischen Herbst nun einmal das altbackene und provinzielle Gepräge, das ihm von jeher anhaftet.  

Und wo sind die Jungen? Wer beim Leipziger Literarischen Herbst lesen möchte, tut gut daran, selbst in den Herbst des Lebens eingetreten zu sein; der Altersdurchschnitt der Protagonisten liegt höher als der des DDR-Politbüros von 1989. Unter den namhaften Schriftstellern – Werner Heiduczek, Guntram Vesper, Frank Witzel, F. C. Delius – ist Clemens Meyer mit vierzig Jahren der jüngste. Außerdem empfiehlt es sich, über einen Penis zu verfügen. Bis auf Esther Kinsky und Nellja Veremej nehmen keine bekannten Schriftstellerinnen am Literarischen Herbst teil. Und, zu unguter Letzt: keine Ausländer. Abgesehen von Zaimoglu und Veremej ist die ganze Veranstaltung blitzeblank biodeutsch. Das mag ja alles ganz gut zu dem alten Macho und Rassisten Luther passen, aber vielleicht sollten die Veranstalter ihr Diversitätsmanagement noch einmal überdenken. Mit anderen Worten: Der Leipziger Literarische Herbst ist ein Festival der weißen alten Männer, staatstragend wie die Evangelische Kirche in Deutschland, genauso brav und langweilig. Bloß nicht ganz so geschlechtergerecht.

Solche konzeptionellen und inhaltlichen Defizite halten die Stadt Leipzig, die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und andere bedeutende Institutionen nicht davon ab, das Festival zu fördern. Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke möchte, wie sie auf der Pressekonferenz erklärte, den Leipziger Literarischen Herbst gar als »kleine Schwester« der Buchmesse etablieren. – »Kleine Schwester«? In Wahrheit ist der Literarische Herbst der unbeweibte Großonkel, der allen mit seinem senilen Gefasel auf die Nerven fällt und den man trotzdem alle Jahre wieder zu Heiligabend einlädt. Aus Mitleid, und weil es schon immer so war. Niemand spricht 
es aus, doch im Stillen seufzt ein jeder: »Mach End, o Herr, mach Ende!«


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