Freitag, 29. September, Konsum Goyastraße: Käseeinkauf an der Frischetheke. Die Verkäuferin schneidet die Scheiben zurecht und legt den Käse auf die Waage. Sie hat das Papier zum Einpacken schon in der Hand. Ob sie den Käse auch in eine mitgebrachte Dose packen kann – das würde ja Verpackungsmüll sparen? »Nein, ich darf die Dose nicht über die Theke nehmen.« Wäre es denn möglich, den Käse gereicht zu bekommen und selbst in die Dose zu legen? »Das geht, da müssen Sie nur schauen wegen dem Zettel.« Die Brotdose direkt befüllen darf sie also nicht – andernorts ist das aber möglich. Warum nicht bei uns?
Bereits seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Arbeitsgemeinschaft Abfall des Ökolöwe Umweltbund Leipzig mit dem Thema Abfallvermeidung. In diesem Jahr holen sie bereits zum vierten Mal in Folge die »Europäische Woche zur Abfallvermeidung« nach Leipzig. »Die Aktion soll die Menschen auf das Problem aufmerksam machen«, sagt Sabine Hübert, die Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft. »Es ist eine Verpackungsorgie«, beschreibt sie die Problematik im Supermarkt. Der Ökolöwe setzt deswegen auf die Aufklärung der Bevölkerung. »Als Konsumenten haben wir schließlich die Macht, den Markt zu steuern – wenn niemand mehr unnötig verpackte Lebensmittel kauft, wird die Industrie die Produktion irgendwann einstellen«, meint Hübert. Dafür sammelt der Umweltbund beispielsweise Plastiktüten ein und ersetzt diese durch Stoffbeutel. »Es kamen viele Leute zu uns und fanden das gut, was wir machen«, erzählt sie stolz. Im letzten Jahr bekam der Ökolöwe für die Aktion »Kein Plastik in die Biotonne« sogar den zweiten Preis der EU-Awards der Europäischen Woche zur Abfallvermeidung.
Abfallvermeidung scheint ein Thema zu sein, das in Leipzig angekommen ist. Warum zeigt das Lebensmittelaufsichtsamt dann kein Interesse daran, das Thema in Supermärkten anzupacken? In Leipzig ist die Alba für die Verwertung der gelben Tonne verantwortlich. In der Anlage des Recyclingunternehmens werden 15 Stoffe maschinell aus dem Müll heraussortiert. Der Betrieb befürwortet zwar die Müllvermeidung, sieht im Recycling aber auch großes Potenzial. »Wir haben in Deutschland kaum Rohstoffe«, erklärt Beschaffungsleiter Torsten Wolf, »durch Recycling haben wir die Möglichkeit, Rohstoffe zu produzieren.« Sogenannte Verbundverpackungen, die aus mehreren Stoffen bestehen, erschweren das Recycling aber. Dazu gehören auch die mit Folie beschichteten Papiere, die als Verpackung an den Frischetheken ausgegeben werden: »Wenn es bei uns in die Anlage kommt, würde die Verwertung davon abhängen, wie rum das Papier liegt, weil die Maschine nur den oben liegenden Stoff erkennt«, erklärt René Ottlinger, stellvertretender Leiter Produktion und Technik, »da müsste man sich als Hersteller irgendwann entscheiden: Mache ich jetzt nur Folie oder nur Papier – das ist nämlich immer der beste Weg.« Aber nicht nur die Hersteller können etwas tun. »Wir predigen immer, dass man den Deckel vom Joghurtbecher trennen und dann erst in die gelbe Tonne schmeißen soll«, sagt Susanne Zohl, Pressesprecherin der Stadtreinigung. Ihrer Meinung nach müsse man den Kindern von klein auf beibringen, wie man Müll richtig trennt. »Wenn wir dann ein Bewusstsein dafür haben, können wir auch die Müllvermeidung ansprechen«, ergänzt René Ottlinger von der Alba.
Eingriff in den Hormonhaushalt
»Beim Einkaufen ohne Verpackungen spielt nicht nur der anfallende Müll eine Rolle«, sagt Birgit Brendel von der Verbraucherzentrale Sachsen, »besonders die Stoffübergänge sind kritisch zu betrachten.« Lebensmittel wie Fleischsalat, die in Plastik eingepackt werden, sind häufig kontaminiert mit Stoffen wie Bisphenol A oder Phthalaten. Sie gehen aus den Plastikverpackungen in die darin befindlichen Lebensmittel über. »Diese Stoffe können hormonell wirken und die Fortpflanzungsfähigkeit einschränken«, erklärt Brendel. Aus diesem Grund gibt es ein extrem umfangreiches Regelwerk, um die Stoffübergänge zu reglementieren. Die Grenzwerte würden von den Herstellern auch eingehalten, erzählt sie, allerdings könnten die Stoffe trotzdem im Körper die Grenzwerte überschreiten, weil sie sich anreichern. Die Belastungen der einzelnen Lebensmittel liegen zwar unter dem Grenzwert, werden aber im Körper addiert und können so den Grenzwert überschreiten. Aus diesem Grund rät Brendel davon ab, mit einer Brotdose aus Plastik an die Fleisch- und Käsetheken zu gehen, »die Stoffe lösen sich nämlich besonders gut in fetthaltigen Lebensmitteln.« Deshalb sind phthalathaltige Verpackungen für solche Lebensmittel und Säuglingsnahrung nicht mehr zugelassen. Besser seien Glas- oder Edelstahlbehältnisse. Der Weichmacher Bisphenol A sei aber noch in den Papieren an der Frischetheke zu finden, erklärt Sabine Hübert vom Ökolöwen.
Wer also Verpackungsmüll und Stoffübergänge vermeiden möchte, der muss in Leipzig an den Frischetheken noch auf die Kulanz der Mitarbeiter setzen. Im November findet wieder die Europäische Woche der Abfallvermeidung in Leipzig statt – diesmal unter dem Motto »Gib Dingen ein zweites Leben«. Vielleicht erreichen die Aktionen diesmal auch das Lebensmittelaufsichtsamt und vielleicht steht dann auch im Konsum Goyastraße bald ein Edelstahl-Tablett auf der Käsetheke.
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