So, wie manch einer regelmäßig mit Freunden ins Fitnessstudio geht, gibt es mit dem »Musikzimmer Leipzig« in der Stadt ab sofort einen Raum, in dem Erwachsenen das Musizieren in Gemeinschaft ermöglicht wird. Egal ob mit oder ohne musikalische Vorkenntnisse, ist hier jeder willkommen, geübt werden muss nicht.
»Manchmal reicht es schon aus, zwei verschiedene Rhythmen auf einer Trommel zu spielen. Man hat sie in 20 Sekunden gelernt, aber es macht gleich Spaß und hat Wirkung«, wissen die Projektleiter Anne Venske und Frederic Zahn aus Erfahrung. »Wir wollen schauen, was die einzelnen Teilnehmer mitbringen, und sie dort abholen, wo sie sind. Unsere Aufgabe ist es, sie dabei nicht zu unterfordern – ohne ihnen das Gefühl zu geben, sie müssten etwas leisten.« Musikmachen kann man auch spielerisch betrachten. So selbstverständlich das klingt, ist dieser Ansatz von der pädagogischen Praxis einer gewöhnlichen Musikschule sehr weit entfernt, denn dort stehen Progression und Leistung im Vordergrund.
»Die Erwartungen an sich selbst sind bei vielen Erwachsenen unglaublich hoch, viele halten sich für unmusikalisch, dadurch gibt es viele unberechtigte Barrieren.« In jedem Menschen aber steckt Musikalität, glauben Anne Venske und Frederic Zahn. Seit einem Jahr leben beide Musiker in Leipzig, im alten Plagwitzer Bahnhof haben sie den geeigneten Ort für ihr Projekt gefunden, das es in dieser Form in Deutschland wohl noch nicht gibt. Hier wird derzeit noch der Raum ausgebaut, der bald, mit Sofa, Küchenzeile und Instrumenten bestückt, seiner Bestimmung zugeführt wird. »Wir haben dann komplettes Bandequipment vor Ort, ansonsten vorrangig Weltmusikinstrumente, die man ohne große Vorkenntnisse gleich spielen kann, außerdem Teile aus dem Orffinstrumentarium, an denen auch Erwachsene Spaß haben können. Gerade haben wir sieben große Kontrabassbausteine aus Holz gekauft, die klingen unglaublich schön«, schwärmt Venske. »Wenn jemand ein Instrument hat, auf dem er ein bisschen spielen kann, soll er das natürlich mitbringen.«
Der soziale Aspekt des Projekts spielt für beide eine große Rolle. Das »Musikzimmer Leipzig« versteht sich gleichzeitig als Begegnungsstätte, gerade bei älteren Menschen bestehe hier Bedarf. Andere Adressaten sind überarbeitete Erwachsene mitten im Berufsleben, die einen Ausgleich suchen. »Viele haben gar nicht die Zeit und Energie, jeden Tag eine halbe Stunde ein Instrument zu üben, wir erwarten das nicht«, erklärt Venske.
In jedem Menschen steckt Musikalität
»Man kann hier gemeinsam Sachen aufbauen, lernt die Leute kennen. Es soll sich eine Gruppe bilden, die zusammenwächst.« Es war ein langer Prozess, der Venske von der Ausbildung zur Orchestermusikerin bis zur Idee des Musikzimmers geführt hat. »Ursprünglich war mein Traum, als Oboistin ins Orchester zu gehen. Während des Studiums merkte ich aber, dass ich mich in dem dauernden Konkurrenzkampf nicht wohlfühle, dass es nicht mehr meinem Verständnis von Musik entsprach, ständig mit anderen um die Wette um eine Orchesterstelle oder in Wettbewerben zu spielen. Irgendwann hatte ich das Gefühl, den Spaß an der Musik verloren zu haben, Musik war für mich nur noch Arbeit.« Während ihres anschließenden Studiums der Elementaren Musikpädagogik sammelte sie neue Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern und alten Menschen und leitete zu dieser Zeit bereits eine gemischte Erwachsenengruppe im Alter von 40 bis 75 Jahren. Von der Anwältin über einen Sozialarbeiter bis zur Rentnerin begannen die Menschen hier miteinander Musik zu machen. »Nachher sind die Leute zusammen Kaffee trinken gegangen, haben sich kennengelernt.«
Vor dieser Erfahrung entstand gemeinsam mit dem auf Percussion spezialisierten Multiinstrumentalisten und studierten Musikpädagogen Frederic Zahn die Idee eines »Musikzimmers« für Erwachsene. »Wir werden alle Kurse zusammen anleiten und unterstützen, zu zweit kann man auf eine heterogene Gruppe viel besser eingehen.« Beide haben in vielen Feldern Grundkenntnisse, spielen verschiedene Instrumente, haben auch Banderfahrung. »Bei unseren Ensemble-Angeboten werden wir Musik so arrangieren, dass alle mitmachen können, je nach Bedarf mit oder ohne Noten«, sagt Zahn. Stilistisch und genremäßig wird das Duo auf die Leute eingehen, auch die Improvisation soll ihren Platz haben.
Konkret soll es dienstags bis donnerstags zwei bis drei Kurse pro Tag mit kleineren Gruppen geben. Darunter das Trommel- und Bandangebot, die Singgruppe und ein freies Ensemble. Der Monatsbeitrag für feste Mitglieder beläuft sich auf mindestens 50 Euro, kann aber nach eigenem Ermessen aufgestockt werden, um damit wiederum anderen bedürftigen Kursteilnehmern einen ermäßigten Beitrag zu ermöglichen. Dafür kann dann wöchentlich ein Kurs besucht werden, Mitglieder können außerdem den Raum auch unabhängig davon zum Musikmachen nutzen. Alle ein bis zwei Monate soll es für die Mitglieder und andere Interessenten Abendangebote geben. Bei diesen Zusammentreffen wird man zusammen Musik hören, Musikfilme anschauen, kleine Konzerte veranstalten und sich austauschen.