Drei kleinformatige Schautafeln zu Kupfer-, Aluminium- und Eisen-Gewinnung, eine Postkarte vom Haus der Deutschen Handlungsgehilfen in der heutigen Karl-Liebknecht-Straße 14 und ein Heft mit einem vorläufigen Überblick zum Deutschen Kriegswirtschaftsmuseum sind in einer Vitrine der Ausstellung »Bildfabriken. Infografik 1920–1945. Fritz Kahn, Otto Neurath et al.« im Buch- und Schriftmuseum zu sehen. Das Museum bildet nicht nur die ersten Schritte Otto Neuraths und dessen Vorstellungen zur modernen Infografik ab, sondern in ihm kam eine neuartige Museumspraxis
zur Anwendung, die bis in die Gegenwart wirkt.
Was kann man sich unter Kriegswirtschaftsmuseum vorstellen? Es handelt sich um eine Institution, welche die Kriegs- und Friedenswirtschaft als zwei verschiedene sozialpolitische Ordnungen systematisch gegenüberstellt und unter wissenschaftlicher Perspektive eine Friedenswirtschaft mit Gemeinsinn als gewinnbringend für alle deklariert.
Dazu wurden keine chronologischen Abfolgen von Artefakten zur Bebilderung bereitgestellt, sondern Schautafeln zur Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen, über den Einsatz von Gebrauchsgegenständen oder die Ausführungen zu »Das Kaninchen im Krieg«, in denen die möglichst effektive Ausbeutung des Tiers vom Fell bis zum Fleisch geschildert wurde.
Innerhalb der Darstellungen sollten keine endlosen Zahlenschlangen das Publikum ermüden, sondern »plastische Demonstrationskörper, Lichtbilder und Filme«, Diagramme und Karten das Interesse der Besucher wecken. Eine weitere Neuerung bestand in der Überwindung von damals noch gängigen Wunderkammern, die an der Quantität statt der Qualität von Ausstellungsobjekten interessiert waren. Das Kriegswirtschaftsmuseum sollte in seinen klar geordneten Schauräumen die »geistige Verarbeitung« stimulieren, wie das erste Museumsheft näher ausführt.
Eröffnet wurde das Museum im August 1918 in der zweiten Etage des Hauses der Handlungsgehilfen in der heutigen Karl-Liebknecht-Straße 14. Hier waren zudem die Straßenbahnverwaltung und das Deutsche Kulturmuseum untergebracht, dessen Bestand heute im Buch- und Schriftmuseum zu finden ist. Den Posten des ersten Museumsdirektors bekleidete von 1918 bis 1919 Otto Neurath. Er hatte in Wien und Berlin Mathematik, Philosophie, Geschichte und Ökonomie studiert. Während des Ersten Weltkrieges arbeitete Neurath in der wissenschaftlichen Kommission für Kriegswirtschaft im k. u. k. Kriegsministerium. Seine Habilitation gab er 1917 an der Uni Heidelberg zum Thema »Die Kriegswirtschaftslehre und ihre Bedeutung für die Zukunft« ab. Die Ausstellung schloss 1921 und das Inventar wurde in Dresden eingelagert. Während des Zweiten Weltkrieges verbrannten die Materialien.
Das Buch- und Schriftmuseum erinnert nun in der aktuellen Sonderausstellung »Bildfabriken. Infografik 1920–1945. Fritz Kahn, Otto Neurath et al.« sowohl an das Museum als auch an Neuraths sich daran anschließendes Werk. Neurath gab seinen Museumsposten auf, da er eine Berufung zum Leiter des Bayerischen Zentralwirtschaftsamtes der Münchner Räterepublik erhielt. Sie wollte 1919 den Freistaat in eine sozialistische Republik verwandeln und Neurath plante unter anderem eine geldlose Wirtschaft. Diese Utopien wurden bereits nach vier Wochen brutal zusammengeschlagen und er durfte bis 1926 nicht mehr nach Deutschland einreisen. In Wien gründete er das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum.
»Klare Schauräume zur geistigen Verarbeitung«
In der Ausstellung sind unter anderem einige der 100 Bildtafeln aus dem Atlas »Gesellschaft und Wirtschaft« zu sehen, der im Auftrag des Bibliographischen Instituts Leipzig erschien. Die vom Grafiker Gerd Arntz geschaffenen Infografiken visualisieren statistisch erhobene Entwicklungen in Produktionsformen, Gesellschaftsanordnungen, Kulturstufen sowie Lebenshaltungen. Unter dem Begriff »Wiener Methode der Bildstatistik« (auch als Isotype bekannt) gelten sie längst als Klassiker. Neurath emigrierte 1934 nach Den Haag und später nach Oxford. Dort gründete er gemeinsam mit seiner Ehefrau Marie Neurath das Isotype Institut. Neurath starb am 22. Dezember 1945 in Oxford.
Ihm zur Seite stellt das Buch- und Schriftmuseum die Arbeiten des in Halle geborenen Arztes und Schriftstellers Fritz Kahn. Geboren 1888, studierte er in Berlin und arbeitete dort als Gynäkologe. Kahn emigrierte 1933 nach Palästina und später in die USA, kehrte 1956 nach Europa zurück und starb 1968 in Locarno. Als sein bekanntestes Werk gilt das 1926 publizierte Plakat »Der Mensch als Industriepalast«. Während sich Neurath um die Funktionsweisen der Gesellschaft kümmerte, bildete Kahn das Innere des menschlichen Körpers zum Zwecke der Volksbildung ab.
Beide Zugangsweisen visueller Vermittlungen von komplexen Inhalten in klaren Formen stellen längst Klassiker dar. Sie konzentriert in einer Ausstellung betrachten zu können, bereitet eine große Freude und lädt zum Vergleich mit zeitgenössischer Infografik ein.