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Eissport exzellenter Art

Das Leipziger Eishockey-Team gewinnt Woche für Woche in Taucha, aber eine neue Spielstätte muss her. Ein Umzug in den Kohlrabizirkus würde den Icefighters viel mehr Publikum bringen, glauben die Macher des Klubs

  Eissport exzellenter Art | Das Leipziger Eishockey-Team gewinnt Woche für Woche in Taucha, aber eine neue Spielstätte muss her. Ein Umzug in den Kohlrabizirkus würde den Icefighters viel mehr Publikum bringen, glauben die Macher des Klubs

Freitag, 21 Uhr, im Gewerbegebiet, wo sich Möbelhaus und Kinderland gute Nacht sagen. 40 Minuten brauchte die Tram von Lindenau bis zum Haltepunkt Otto-Schmidt-Straße. Fühlte sich an wie Auswärtsspiel. Hier, im Niemandsland zwischen Autobahnkreuz und Taucha, müsste jetzt Ruhe sein, Feierabend, Leere. Doch aus einem weißen rechteckigen Zelt tönt stampfende Partymusik: »Geh mal Bier hol’n« gröhlen hunderte Leipziger begeistert mit.

Junggesellenabschied? Oktoberfest der Sachsen? »Dass du hässlich bist! Das muss ja wohl nicht sein!« Der DJ spielt das Lied, wann immer ein gegnerischer Spieler auf die Strafbank muss. Oder einfach so, die Kundschaft liebt es. Macht ja auch Riesenlaune, der Witz, sich eine Frau schön zu trinken, die zu diesem Behufe das Bier bringt. Das Stadion als Refugium des Unkorrekten – getwittert wird mit Hashtag #ZeltBeben, bestimmt nicht unter #MeToo.

Ein Zeltbeben gibt es wirklich an diesem Feier-Abend in Taucha. Nach dem vierten Einschlag im Duisburger Tor vibriert das altehrwürdige Gehäuse, blau-schwarze Fans singen sich in Trance. Und noch ein Jubelschrei. Dem hohen Gast fünf Stück eingeschenkt! Souverän den Sieg nach Hause gebracht! Dieses 5:2 ist pure Schönheit. Großartig am Eishockey ist ja neben zig anderen Dingen, dass exakt die richtige Anzahl Tore fällt. Nicht nur eins wie oft beim Fußball, auch nicht eins pro Minute wie beim Handball. Das hat eine Dramaturgie. Das hat Erinnerungswert. Man gewinnt 8:1 und 7:6 oder 4:1 und 8:3. Derlei steht auf der Tafel, wenn die Icefighters ein Heimspiel haben. In der Fremde drehen sie den Spieß um: 1:9 oder 0:4. Selbst beim amtierenden Meister Tilburg holen sie einen Punkt. Das Team agiert klug, planvoll und variabel, die Konkurrenz staunt: »Sie sind hungrig, sie sind schnell«, sagt Duisburgs Trainer. »Siege der Sachsen sind mittlerweile so selbstverständlich wie die Sonne über der Südsee«, dichtet Eishockey News.

Nicht nur die sächsische Dominanz ist neu. Auch im Zelt hat sich was getan. Die Klubführung hat weite Teile der Stehgeraden geopfert, um einen VIP-Bereich mit 240 Sitzplätzen einzurichten. Logenluxus sollte jedoch niemand in Taucha erwarten. Immerhin, den Sponsoren und älteren Besuchern wird etwas Komfort geboten. Die Kapazität der Spielstätte liegt nun bei 1.900 Zuschauern – »ausverkauft« melden die Icefighters ohnehin nur beim Derby gegen Halle. Die Mannschaft hätte viel mehr Zuspruch verdient, aber der Schnitt klebt beim harten Kern von 1.100 Fans fest. Warum ist das so? »Der ganze Zelt-Hype hat sich gelegt, und die Leute haben höhere Ansprüche«, meint Geschäftsführer André Krüll. »Am Anfang war das Zelt neu und cool, aber jetzt erreichen wir viele Zuschauer nicht, die wir in einem Stadion hätten. Es ist so eng bei uns, dass es schwierig ist, auch Publikum reinzuholen, das als Event-Zuschauer geht und einen Sitzplatz will.«

Eine andere Veränderung sieht man auf dem Eis, hört man allenthalben: Die Firma EXA, ein Connewitzer IT-Unternehmen, ist seit März Namenssponsor des Vereins. Schon sind Lokal- und Fachpresse im Boot, schwärmen verlässlich von den »EXA IceFighters Leipzig«. Das schmeckt den Verfechtern der Tradition im Kommerzsport naturgemäß nicht. Doch in der Oberliga, der dritthöchsten Spielklasse, tummeln sich schon ein Baustoffgroßhändler, eine Wohnungsbaugenossenschaft und ein Softwareanbieter. Ihre Namen stehen sogar in den offiziellen Tabellen – und jetzt eben EXA. Zur Tarnung wäre das (Rasen-Ballsport lässt grüßen) am besten mit »Eissport eXzellenter Art« zu übersetzen. Geschäftsführer Krüll hat aber keine Bauchschmerzen mit dem Deal: »Wo ist das Problem? Im Gegenteil, man sollte froh sein, wenn es solche Firmen gibt. Der Sport, auch der Nachwuchs, kann nur noch mit so etwas leben, alles andere ist Utopie.«

Dass der Sponsor den Icefighters mit einer niedrigen sechsstelligen Summe pro Saison hilft, dementiert Krüll nicht. Wohl aber, dass damit mehr Geld für die Mannschaft vorhanden sei. Diese Idee war nicht fern, als zwei Top-Stürmer des letztjährigen Halbfinalisten Essen nach Leipzig wechselten: Dominik Patocka und Michal Velecky. Sie sind echte Verstärkungen, wie alle Neuzugänge – ein Beweis für das gute Scouting und Teambuilding von Trainer Sven Gerike. 
Ein dritter 50-Punkte-Sammler der Wohnbau Moskitos Essen ist ebenfalls ostwärts geschwirrt, Niklas Hildebrand heißt der 22-Jährige. Ihn zog es trotz gültigen Vertrags wegen einer Ausbildung und auch, so erzählt es André Krüll, aus privaten Gründen nach Taucha. Sollte er zufällig Lust auf Eishockey bekommen, die Icefighters würden den talentierten Mittelstürmer wohl nicht von der Bandenkante schubsen. Qualifizierte Zuwanderung also auch ohne Lockangebote? Man mag dran glauben. Das Image vom Leipziger Underdog mit der kultigen Hütte funktioniert noch ein Stück weit.

Das Sponsoring von EXA braucht der Verein, um nicht ständig am Abgrund zu balancieren. Denn Eishockey ist ein fast unfinanzierbarer Sport. Vor allem in Liga drei, obwohl dort kein Spieler reich wird: Kaum potente Werbepartner, keine TV-Einnahmen, bescheidene Abendkasse und Spielpause von April bis September. Da würde es sehr helfen, wenn die Kommune ein solides Eisstadion hinstellen würde. Dieses Glück widerfuhr zuletzt den Kleinstädten Weißwasser und Kaufbeuren, die neue Arenen bekamen. Klar, das sind bekannte hockey towns, regelrechte Hochburgen, aber was ist mit Niesky? In der Lausitz gelang es, das Freiluftstadion im Kiefernwald endlich zu überdachen und auszubauen. Kostenpunkt: 6,8 Millionen Euro, gefördert von Bund und Freistaat. Leipzig hingegen? Unter den 15 größten deutschen Städten derzeit die einzige, die ihren Bürgern keine Möglichkeit zum Eislauf und Eissport bietet.

Die Icefighters warten nicht auf den Neubau, der wohl nie kommt. Sie wollen ihre Eisbahn aus dem Tauchaer Zelt, wo im April definitiv Schluss ist, in den Leipziger Südosten verpflanzen. »Unser Traumziel ist der Kohlrabizirkus, das wäre eine neue Kult-Location«, sagt Geschäftsführer Krüll, »unsere Fans würden dort sehr laut sein.« Ende Oktober war es eher still, die herrliche Kuppelhalle schien völlig unter Wert vergeben – an tristen Bücherramsch mit Ausschussware, Stück drei Euro. Das kann nicht euer Ernst sein. L.E., think big! Man könnte geschichtsträchtige Architektur mit dynamischem Sport neu beleben und ein Wahrzeichen schaffen: den Eiszirkus. Genug Platz für das gefrorene Oval und Stahlrohrtribünen ist da, verspricht André Krüll: »Wir haben eine fertige Planung, es gibt zwei Ausbaustufen: Man kann das erst mal für 2.500 Leute bauen und erweitern auf 4.000.«

Weitere Events müssten die Kasse der Betreibergesellschaft füllen: Konzerte, vielleicht Boxkämpfe, öffentliches Eislaufen sowieso. Mit einer solchen Spielstätte könne Eishockey in Leipzig ein ähnliches Potenzial erschließen wie die Zweitligisten Crimmitschau und Dresden, meint Krüll. Das bedeutet aktuell etwa 2.400 Zuschauer im Schnitt. »Wenn diese Steigerung nicht realistisch wäre, müssten wir das gar nicht machen.« Doch der neue Eigentümer des Hallenkomplexes muss von dem Konzept überzeugt werden, die Finanzierung ist ein Kraftakt. Krüll drängt: »Die Entscheidung muss noch in diesem Jahr fallen.« Als Weihnachtsgeschenk?

Am 22. und 26. Dezember treffen die Icefighters auf die Saale Bulls Halle, den Erzrivalen. Danach wissen alle, wohin die Reise geht. Auch sportlich: Im dritten Jahr unter Bandenchef Gerike soll Rang vier in der Nordliga erreicht werden. In diesem Fall würde Leipzig das Saisonfinale im März gegen Bayerns fünftbesten 
Vertreter mit einem Heimspiel beginnen und hoffentlich eine lange Play-off-Reise in den April antreten. Das wäre auch ein würdiger Abschied vom geliebten Asylzelt in Taucha, wo die fröhlichsten und wildesten Siegesfeiern der Liga stattfinden. – Noch mehr Bier hol’n? Ach, Mumpitz. Diese Eishockey-Männer sind gut angezogen, stilprägend, erfolgreich, sexy. Die muss sich niemand schön trinken.


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