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Politik

»Dich kriegen wir noch, du fette Sau!«

Bewaffnete Nazis bedrohten in Wurzen Journalisten und Demonstranten. Sören Kohlhuber war dabei

  »Dich kriegen wir noch, du fette Sau!« | Bewaffnete Nazis bedrohten in Wurzen Journalisten und Demonstranten. Sören Kohlhuber war dabei

Am Samstag fand in Wurzen die Kundgebung »Solidarität mit allen Betroffenen rassistischer und rechter Gewalt« statt. Die Veranstaltung des Bündnisses »Irgendwo in Deutschland« wurde von Naziprovokationen und der Bedrohung durch eine bewaffnete und vermummte Nazigruppe überschattet. Mittlerweile hat das sächsische Extremismus- und Terrorabwehrzentrum die Ermittlungen gegen die Nazigruppe aufgenommen. Der Fotograf Sören Kohlhuber war vor Ort dabei und berichtet im kreuzer-Gespräch von seinen Erlebnissen.

kreuzer: Wann sind Sie in Wurzen angekommen?

Sören Kohlhuber: So gegen 14 Uhr – mit dem Zug aus Leipzig, in dem auch die Demonstranten reisten. Ich wollte die Anreise dokumentieren. In Wurzen ging man zielstrebig in den Park am Bahnhof. Dort stand im hinteren Teil schon eine Gruppe von ungefähr zehn Personen, eindeutig Neonazis – einer trug einen Pullover mit einer 88 (ein Szenecode, der für »HH«, also »Heil Hitler« steht, Anm. d. Red.). Daneben standen einige Polizisten. Die Antifa-Kundgebung hat sich dann mit Transparenten ausgebreitet, die Polizei zog eine Kette auf.

kreuzer: Die Neonazis waren später vermummt auf Bildern zu sehen.

Kohlhuber: Ja, sie haben sich vermummt und hatten Ninja-Kapus dabei, zogen sich also nicht nur ein Tuch vor den Mund. Da war auch eine bekannte Person dabei, die mutmaßlich am Angriff auf Connewitz teilgenommen hat. Er hat dann mit der Polizei interagiert, wollte eine Kundgebung anmelden oder sie wollten zu einer Kundgebung hin. Man sah nur, wie der Beamte etwas verneint hat und der Betroffene so eine Geste machte wie »Oh, nö«. Die Polizei hat die Leute dann zum Lidl geleitet und ich habe die Gruppe ab dem Moment nicht mehr gesehen. Deswegen weiß ich nicht, ob die Kundgebung der Neonazis, von der die Polizei später berichtete, vor oder nach der Vermummung stattgefunden hat.

kreuzer: Die dauerte laut Polizeiangaben auch nur eine Dreiviertelstunde. Wie erklären Sie sich die Ungleichbehandlung, dass die Polizei Vermummung bei Nazis duldet, aber bei Gegendemonstranten sofort ahndet?

Kohlhuber: Ich habe das schon in Brandenburg erlebt, da sagte die Polizei, dass es sich nicht um eine Versammlung, sondern eine Ansammlung von Menschen handelt, also sich 400 Menschen spontan vor einer Asylunterkunft postiert haben.

kreuzer: Haben Sie sich außerhalb der antirassistischen Kundgebung bewegt?

Kohlhuber: Ich bin mit drei weiteren Journalisten zu den einzelnen Stationen der Vorfälle gegangen, denn keiner wollte allein unterwegs sein, weil es zu gefährlich ist. Einer der Kollegen wurde schon letzte Woche in Wurzen angegriffen. Wir haben uns die Blutspur angeschaut und den Gedenkort mit den Grabkerzen. Und dann sind wir einen anderen Weg zurückgelaufen, an dem Sonnenstudio vorbei. Dort sahen wir vermummte Personen in der Tür und wir griffen zu den Kameras. Eine Person, ebenfalls mutmaßlich am Überfall auf Connewitz beteiligt, hat Fotos von uns gemacht. Dass man sich gegenseitig ablichtet, ist eigentlich noch ein ganz normales Geschehen am Rande einer Demonstration. Doch plötzlich sind Personen aus dem Haus gestürmt und wir haben die Beine in die Hand genommen. Dann ließen sie von uns ab.

kreuzer: Waren die bewaffnet?

Kohlhuber: Ich habe da noch keine Waffen gesehen.

kreuzer: Wie kam es dann zur auf Ihren Fotos dokumentierten Situation?

Kohlhuber: Eine Stunde später wollte ich noch einmal am Sonnenstudio vorbei, aber auf einem anderen Weg. Da hörte ich Geschrei, bin in die Straße hinein und sah dieselben vermummten, aber jetzt bewaffneten Neonazis, wie sie sich auf der gesamten Straßenbreite aufstellten. Ich habe mehrere Schlagwaffen erkennen können, darunter einen Baseballschläger. Eine Person in blauer Jacke fuhr sich mit einem Messer an der Kehle entlang und zeigte in meine Richtung. Der Typ mit Kamera brüllte: »Dich kriegen wir noch, du fette Sau!« Gleichzeitig haben die Leute von der Kundgebung mitbekommen, dass irgendwas los ist und sind auf die Straße gegangen. Der Abstand betrug circa 60 Meter. Die Polizei kam relativ schnell dazu und drückte die Kundgebung wieder zurück Richtung Park. Zwei Polizeiwagen kamen zum Sonnenstudio und ein Beamter der BFE-Einheit schubste uns Journalisten dort weg. Dass wir von der Presse sind, sei ihm »scheiß egal«.

kreuzer: Bei der letzten Antifa-Demo in Wurzen im September 2017 war sogar das SEK anwesend. War die Polizei überfordert?

Kohlhuber: Das kann ich nicht sagen, wie ich die Polizei auch nicht in Schutz nehmen will. Aber es ist schon etwas anderes, ob ich eine stationäre Kundgebung absichere oder eine Demo, die direkt an einem Nazi-Objekt vorbeiläuft. Interessanter ist für mich die Frage jenseits der uniformierten Einheiten. Warum war denn niemand vom Operativen Abwehrzentrum oder anderen Zivileinheiten an dem Objekt, um zu beobachten und eine Gefährdereinschätzung abzugeben? Das ist doch ihre Aufgabe. Es geht nicht darum, mehr Polizei zu fordern.

kreuzer: Ihre Fotos von den bewaffneten Nazis gingen viral, während der MDR mit Bezug auf Polizeiangaben von einer friedlichen Kundgebung sprach.

Kohlhuber: Ja, das war absurd, denn der MDR war mit einem eigenen Kamerateam – für die Sendung »Exakt«, glaube ich – in Wurzen zugegen und auch bei der Situation dabei. Komisch, was da an Kommunikation nicht läuft. Der MDR hat das ja inzwischen revidiert und einen guten Text rausgehauen.

kreuzer: Im Netz begann sogleich das Identifizieren der bewaffneten Nazis. Viele meinen, einen Kampfsportler und andere bekannte Akteure der Region ausgemacht zu haben. Die Nazis selbst kommentieren das zum Teil auch. Welchem Kalkül folgen die?

Kohlhuber: In der Bewertung ist man sich nicht ganz sicher, ob das dummdreist ist oder etwas anderes dahintersteckt. Fühlen die sich dort sehr sicher, dann muss man fragen: Warum? Den Verdacht muss man in der Szene immer haben: Vielleicht ist ein V-Mann der beteiligte Kopf und darum werden sie in Ruhe gelassen? Wenn mal V-Männer aufgedeckt wurden, waren das immer Leute an Schnittstellen: die Player, Leute, die Kohle gemacht haben, Leute, die immer straffrei davongekommen sind. Man könnte darüber nachdenken, woher sie ihre Sicherheit nehmen. Abgesehen davon, dass Wurzen natürlich ihre Homezone ist, wo breite Teile der Bevölkerung hinter ihnen stehen und sie machen können, was sie wollen. Da stehen sie dann vermummt vor der Polizei. Das ist echt ein Wurzen-Special, das habe ich anderswo noch nie gesehen.


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1 Kommentar(e)

Bastian Binda 24.01.2018 | um 15:38 Uhr

Aus Leipziger Perspektive sind auch diese beiden Fotos interessant: flickr.com/photos/soerenkohlhuber/25929150688/in/album-72157662836637667/ twitter.com/sachsenwatch/status/954744775563010048 Bei dem Reizgas-Mann, der sich da in vertrauter Runde mit altbekannten Nazihools zeigt, handelt es sich offensichtlich um einen in Wurzen beheimateten Ex-Legida-Chef.