Im Leipziger Westen soll eine Freie Grundschule entstehen. Das Konzept steht, doch noch fehlt ein Gebäude. Ein Gespräch mit den Initiatorinnen über Freiräume, Bildungspläne und Schulmangel.
kreuzer: Eigentlich wollten Sie im Sommer die »Praktische Schule« eröffnen. Wie sieht es derzeit aus? Schaffen Sie das?
JULIANE MARESCH: Das wird wahrscheinlich nichts. Es ist nur noch wenig Zeit und bisher fehlt uns noch das Gebäude.
DOROTHEE REIMANN: Alles außer dem Gebäude steht. Seit zwei Jahren sind wir sehr intensiv dabei, was zu suchen. Aber Leipzig ist derzeit einfach abgegrast, was solche Objekte angeht. Gleichzeitig ist die Stadt in größter Not und muss alle Gebäude erst mal für ihre eigenen Zwecke verwenden, das sind momentan Kitas. Das macht für uns die Situation nicht sehr einfach.
kreuzer: Woran ist es bisher gescheitert?
MARESCH: Bei so einem Gebäude müssen viele Vorschriften eingehalten werden. Außerdem muss eine Außenfläche vorhanden sein, eine Hauptverkehrsstraße sollte auch nicht direkt vorbeiführen. Mit diesen Anforderungen was Bezahlbares und nicht zu Marodes zu finden, ist sehr schwierig.
kreuzer: Wie groß muss das Gebäude sein?
MARESCH: Rein für die Schule brauchen wir rund 600 Quadratmeter Innenfläche und 1.000 Quadratmeter Außenfläche. Da wir als Trägerverein Mütterzentrum gerne noch eine Kita und ein Familienzentrum integrieren würden, bräuchten wir eigentlich noch mehr Platz.
REIMANN: Natürlich würden wir irgendwann auch gerne eine Schule bis zur zehnten beziehungsweise zwölften Klasse anbieten. Ein Gebäude, wo man sich peu à peu durchsanieren kann – das wäre der Jackpot.
kreuzer: Haben Sie schon was in Aussicht?
MARESCH: Wir haben ein Grundstück in der Saarländer Straße nahe der Baumwollspinnerei in Aussicht. Da laufen mit der Stadt derzeit Gespräche, allerdings ziehen die sich leider schon seit dem Herbst hin.
REIMANN: Das ist ein sehr attraktives, wenn auch marodes Gebäude. Dort würde unter anderem mit dem Haus- und Wagenrat ein selbst verwaltetes Gewerbezentrum entstehen. Das passt auch zu unserer Idee der Praktischen Schule.
kreuzer: Wie sieht Ihr Konzept konkret aus?
REIMANN: Wir wollen aus den Erfahrungen mit unseren Kitas heraus mit einem offenen Konzept arbeiten. Die Idee ist, dass die Kinder sich in Gruppen altersübergreifend zusammenfinden und ihnen Angebote gemacht werden. Wir wollen keinen herkömmlichen Deutsch- oder Musikunterricht, sondern einen sogenannten Grundunterricht, bei dem sich die Kinder mithilfe unterschiedlicher Methoden und Materialien durch den Sächsischen Bildungsplan durchhangeln. In den Räumen können sich die Kinder weitestgehend frei bewegen. Sie lernen in ihrem eigenen Tempo mit Hilfe eines Lehrers und eines Lernbegleiters.
MARESCH: Dazu kommt ein projektbezogener Unterricht, der die Neugier und den Forschungsdrang wecken soll und in dem erworbenes Wissen praktisch angewendet werden kann. Dabei wollen wir auch Unternehmen besuchen oder Fachleute für Workshops in die Schule einladen. Gerade im Grundschulunterricht sind die Kinder sehr begeisterungsfähig, das wollen wir fördern.
REIMANN: In unserer heutigen Gesellschaft haben wir die Aufgabe, den Kindern ein eigenes starkes Bewusstsein zu geben. Und das schafft man meiner Ansicht nach weniger mit einem stringenten Schulsystem, bei dem – auch wenn es natürlich nicht überall die Praxis ist – alle das Gleiche machen. Stattdessen wollen wir das Kind da abholen, wo es steht. Trotzdem ist es uns wichtig, zu betonen: Wir sind keine Freilerner-Schule. Wir geben Strukturen vor und innerhalb derer Freiräume. Alle Kinder sollen mitkommen und nicht an Noten gemessen werden. Gleichzeitig sollen die Schüler sich aber nicht langweilen, sondern gefordert werden.
MARESCH: Uns ist wichtig, dass die Schüler anschlussfähig sind an das Regelschulsystem.
Wir geben zwar, wenn möglich, keine Noten, aber eine Rückmeldung. Wenn ein Kind nach der vierten Klasse aufs Gymnasium gehen will, soll es das auch machen können.
kreuzer: Was unterscheidet die Schule noch von anderen?
MARESCH: Wir wollen das demokratische Lernen fördern und eine Morgenkreis-Kultur etablieren. Dadurch lernen die Kinder Gesprächsführung und Meinungsäußerung. Anders als andere Freie Schulen stülpen wir uns nicht ein einzelnes Konzept über, sondern setzen es aus einzelnen Bausteinen zusammen.
kreuzer: Wie viele Schüler sollen an der Grundschule unterrichtet werden?
REIMANN: Wir planen erst mal mit 100. Das hat wirtschaftliche Hintergründe. Als Freie Schule bekommen wir nur 80 Prozent staatliche Förderung. Deshalb brauchen wir eine bestimmte Größe, ab der sich das wirtschaftlich rentiert. Zudem wird es vermutlich 100 Euro Schulgebühren im Monat geben, allerdings auch Härtefallregelungen.
kreuzer: Gibt es ein Aufnahmeverfahren?
REIMANN: Wir rechnen mit einem hohen Andrang. Erst mal sammeln wir die Anmeldungen. Dann müssen wir gucken, ob wir es über ein Losverfahren oder etwa über eine Stadtteilregelung machen. Zudem haben wir ja die Kinder aus den eigenen Kitas. Solchen Fragen muss sich leider jede Freie Schule stellen.