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»Eintausend mehr!«

Versteigerung einer Brache: Am Ende gewinnt der mit dem meisten Geld, während die Nachbarn zugucken und schimpfen

  »Eintausend mehr!« | Versteigerung einer Brache: Am Ende gewinnt der mit dem meisten Geld, während die Nachbarn zugucken und schimpfen

Montag, Mitte März, im Amtsgericht in der Bernhard-Göring-Straße: Der kleine Saal ist voll, zwei zusätzliche Bänke werden hereingetragen. Ein paar junge Menschen machen es sich auf dem Fensterbrett bequem. »Heute gibt es ja noch einen anderen Grund, um herzukommen, als zu bieten«, bemerkt der Rechtspfleger, aber schließlich sei das hier eine öffentliche Verhandlung, also seien alle willkommen.Dieser »andere Grund« ist eine Brache. Oder besser gesagt: wie diese Freifläche genutzt werden soll.

Sie liegt in der Eisenbahnstraße 103 bis 105 und ist vor allem im Sommer Treffpunkt von Leuten, die in der Nähe wohnen, gerne Tischtennis spielen oder einfach rumhängen wollen, ohne dabei irgendwas kaufen zu müssen. Die Eigentümerin der Brache, eine ältere Dame, ist kürzlich verstorben, und da sie keine Erben hatte, ging das Grundstück in den Besitz des Landes Baden-Württemberg über. Das kann mit so einem Stück Gebüsch im Osten nichts anfangen. Daher wird sie nun versteigert.

Etwa 30 Leute sind trotz Regen und Montagmorgen gekommen, um dagegen zu protestieren. Schon in der Schlange beim Sicherheitscheck sagt ein Mann mit Aktenordner unterm Arm zu ihnen: »Macht euch keine Hoffnung! Das wird eh bebaut.«

»Wenn das jetzt an einen privaten Investor verkauft wird, gibt es keine Möglichkeit mehr für uns, darauf irgendwas zu machen«, sagt Henning Bach. Grundsätzlich freue er sich über Veränderungen im Viertel, aber er ärgert sich, dass er und die anderen Anwohner nicht in einen demokratischen Prozess eingebunden werden, um mitzubestimmen. Immerhin ist das Grundstück ja in öffentlicher Hand. »Es gibt hier im Viertel immer noch nicht genug Schulen und Kindergärten. Jetzt wird da eine Fläche einfach versteigert und jemand baut dort Wohnungen, die wir uns bestimmt nicht leisten können.« Also wollen er und die anderen zumindest zeigen, dass sie damit nicht einverstanden sind, und den möglichen Investoren ins Gewissen reden.

Nachdem im Gerichtssaal alle irgendwo einen Platz gefunden haben, kommen die Menschen, die das Gelände kaufen wollen, nach vorne, lassen sich beim Rechtspfleger registrieren und geben ihre Gebote ab. Dabei müssen sie sich die Kommentare der Protestierer anhören: »Sie haben richtig Asche, oder?« oder »Ausverkauf der Stadt!« Auch ein Herr Kessler bietet mit und hat dabei das zweifelhafte Vergnügen, zwischen mehreren Brachenfreunden zu sitzen. »Der Michl wird den Herrn Kessler schön zutexten«, freut sich Bach. Und ja, der junge Michael Roßner redet so lange auf den Bietenden ein, bis er lauthals verkünden kann: »Herr Kessler hat gerade versprochen, sozialen Wohnungsbau zu fördern.« Der Rechtspfleger mahnt, man solle doch bitte die Polemik auf alle beteiligten Bieter verteilen.

Einer der Bietenden ist der Justiziar des Liegenschaftsamts der Stadt Leipzig. »Das ist ein politisches Armutszeugnis«, meint Bach, »dass es keine politischen Instrumente in Leipzig gibt, um der Stadt Vorkaufsrecht zu gewähren.« Da sei man zumindest in Berlin schon weiter. Der Mann von der Stadt – erkennbar auch daran, dass er als Einziger eine Krawatte trägt – bietet zwar am Anfang tapfer ein, zwei Mal mit, dann ist er raus.

Die Brachfläche der Eisenbahnstraße 103–105 ist in zwei Grundstücke geteilt, daher gibt es zwei Versteigerungen. Das erste, etwas kleinere Grundstück liegt am Anfang bei unter 100.000 Euro, doch bald entwickelt sich ein spannendes Rennen von Herrn Kessler und Khaled Khalifa für die KH Immobilien GmbH. Doch egal, wie weit Herr Kessler geht, Herr Khalifa ruft immer: »Eintausend mehr!«

Khalifa sitzt auf dem Boden, neben dem Richtertisch in einer Ecke, so dass man ihn kaum sieht. Man hört immer nur: »Eintausend mehr.« Selbst als längst Plätze auf der reingeschobenen Bank frei geworden sind, sagt Khalifa, er finde es hier unten ganz gemütlich. Und dann wieder: »Eintausend mehr.« Bei 451.000 Euro gibt Herr Kessler auf. Bach kann es kaum fassen. »Davon könnte ich 40 Jahre leben«, murmelt er. Das andere Problem: Je teurer ein Grundstück ist, umso höher wird auch die Miete werden, um die Kaufkosten wieder reinzuspielen. »Wir wollen nicht, dass nur noch Reiche hier wohnen«, ruft jemand.

Unbeeindruckt gewinnt Khalifa auch die Auktion des zweiten Grundstücks – gegen andere Bieter, aber mit der gleichen Taktik. Der Justiziar von der Stadt sagt schon lange nichts mehr. 501.000 ist Khalifas letztes Gebot für das zweite Grundstück, der Konkurrent hat bei 500.000 aufgegeben. Insgesamt zahlt Khalifa also eine knappe Million für eine Brache. »Können Sie uns erklären, was Sie damit vorhaben?«, fragt Michael Roßner laut. »Später«, antwortet Khalifa und grinst. »Erst mal mach ich ne Party.« Auch den Journalisten will er seine Pläne nicht erzählen: »Ihr schreibt immer so viel.« Bis jetzt wurde vor allem über ihn geschrieben, was er alles gekauft hat: zum Beispiel das Scheibenhochhaus in Halle, riesige Grundstücke in Delitzsch oder die alte Freyberg-Brauerei – die er inzwischen wieder verkauft hat an eine Firma, die dort »exklusive Wohnungen« bauen will.

Die Protestierenden stehen wieder im Regen. Leicht zerknirscht, doch nicht wirklich überrascht. »Wie erwartet«, kommentiert Roßner die Auktion. Ihm liege die Brache auch gar nicht so am Herzen. »Die ist ja eher hässlich.« Vielmehr gehe es darum, dass sich die Wohnungssituation immer weiter zuspitzt. Im Osten, aber auch in der ganzen Stadt. Dass jetzt gerade KH Immobilien die Brache gekauft hat, sei für ihre Erhaltung aber gar nicht schlecht, finden einige der Protestierenden. Denn die Firma habe schon einige Grundstücke im Leipziger Osten gekauft, aber nichts mit ihnen gemacht. Vermutlich, um sie später zu einem besseren Preis weiterzuverkaufen. Ihr Ziel haben sie also eigentlich erreicht: Die Brache bleibt. Die Frage ist nur, wann sie der Nächste für zwei Millionen kauft.


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