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Kultur

»Wir sind so eine verrückte Mischung«

Franziska Wilhelm über zehn Jahre Lesebühne »Schkeuditzer Kreuz«

  »Wir sind so eine verrückte Mischung« | Franziska Wilhelm über zehn Jahre Lesebühne »Schkeuditzer Kreuz«

Nach zehn Jahren ist die Lesebühne »Schkeuditzer Kreuz« erfolgreich wie nie. Vor Kurzem ist sie in den Kupfersaal gezogen, wo am 20. April die Party zum Jubiläum steigt. Im Interview erinnert sich Franziska Wilhelm, seit 2010 Mitglied der Bühne, an die Anfänge und spricht über die Zukunft der Szene, wütende Ostmänner und die Arbeit mit den Kollegen.

kreuzer: Die Lesebühne »Schkeuditzer Kreuz« feiert ihr zehnjähriges Bestehen. Du bist seit acht Jahren dabei. Kannst du dich noch an deine ersten Auftritte erinnern?

FRANZISKA WILHELM: Ja. Ich war ja, bevor ich festes Mitglied wurde, zunächst als Gast dabei. Das war noch in der Wärmehalle Süd, in der Eichendorffstraße. Ein kleiner Raum, in den bequem nur vierzig Leute reingingen. Gemütliche Atmosphäre, schöne kleine Kneipe. Damals haben wir den Eintritt selbst gemacht. Da war die Bühne gleich neben der Tür und einer von uns hat dann immer dort gesessen. Wir hatten so ein Ritual, wenn jemand zu spät kam, musste der seinen Namen sagen und dann haben alle gesagt: »Hallo … Martin.« Das sollte die Leute davon abschrecken, zu spät zu kommen.

 

kreuzer: Wie schwierig ist es nach so vielen Jahren, immer noch pointierte Texte zu schreiben?

WILHELM: Ich habe fast das Gefühl, es wird leichter mit der Zeit. Du wirst routinierter. Die Geschichten müssen ja eine gewisse Kürze haben und du lernst irgendwann, dass du nicht tausend Sachen in eine Geschichte packst, sondern suchst dir etwas aus und fokussierst dich darauf. Die Gefahr ist natürlich, dass man ins Wiederholen kommt, dass man sich in einer Schiene verfängt. Da muss man dann gucken, dass man immer wieder ausbricht und neue Dinge ausprobiert. Das ist ja bei der Lesebühne das Gute. Du kannst alles machen … Ich hatte zum Beispiel einmal so eine »Zu verschenken«-Kiste, da hatte ich gerade ausgemistet, die habe ich auf der Bühne angepriesen und dazu einen Text über »Zu verschenken«-Kisten gemacht.

kreuzer: Kannst du dich an einen Abend erinnern, der so richtig danebenging?

WILHELM: Ja, die gibts. Ich hatte mal einen Text über einen wütenden Ostmann, der so ein bisschen, na ja, ironisch betrachtet wurde. Da habe ich gefragt, ob ein wütender Ostmann im Saal ist, ich würde ihn jetzt umarmen, um ihn wieder glücklich zu machen. Da hat sich natürlich keiner gemeldet, obwohl es ein total voller Saal war. Es war noch ein Freund von mir da, der hat dann irgendwann gesagt: Na gut, ich. Der war dann der wütende Ostmann, der jetzt besänftigt ist. Also, man probiert viel aus und das kann manchmal schiefgehen. Der Vorteil ist natürlich, dass die Texte nur so um die sieben Minuten lang sind – das heißt, es geht auch wieder vorbei.

kreuzer: Und gibt es, im Gegenzug, auch so etwas wie einen besten oder einen besonders schönen Abend?

WILHELM: Das kommt sogar relativ häufig vor. Wenn du einen ganz frischen Text hast, besitzt der eine besondere Energie. Wenn du den zum ersten Mal vorträgst und merkst, dass er überspringt – das ist ein gutes Gefühl.

kreuzer: Kritisiert ihr euch untereinander?

WILHELM: Wie in der Slam-Tradition üblich wird bei uns wenig kritisiert. Das Einzige ist, dass wir uns darauf hinweisen: Hier müsstest du noch straffen. Ansonsten lässt jeder das Publikum sein Kritiker sein. Es gibt einige bei uns, die schreiben sich noch während des Auftritts kleine Hinweise auf, welche Pointe funktioniert hat und welche nicht.

kreuzer: Wie nimmst du generell die Situationen der Lesebühnen in Leipzig wahr. Kennst du dich da aus?

WILHELM: Also, ich weiß, dass es »Kunstloses Brot« gibt. Und ich hab bei »Pinzette versus Kneifzange« mal mitgelesen. Im Gegensatz zu denen sind wir aber eine geschlossene Lesebühne, das heißt bei uns kann man sich nicht bewerben und sagen: Hier, ich will mal lesen. Bei den offenen Lesebühnen ist natürlich noch viel mehr Wundertüte, was da jetzt kommt. Auch ganz interessant und vom Niveau her natürlich mit einer viel größeren Bandbreite. Also, ich mag es immer, wenn Texte vorgelesen werden. Ich finde es spannend, zu offenen Lesebühnen zu gehen, aber sie sind was anderes als das »Schkeuditzer Kreuz«: Da wir das so lange machen, sind wir eben doch eine Spur professioneller oder erfahrener vielleicht.

kreuzer: Was denkst du über die Zukunft der Lesebühnen?

WILHELM: Ich glaube, wenn Lesebühnen eröffnen, besteht da immer ein Interesse. Das bleibt spannend für die Leute, wenn in ihren Stadtteilen neue Bühnen aufgemacht werden. Die Frage ist dann, wie lange so eine Lesebühne hält. Und das hängt einfach von der Zusammensetzung ab: Wie passt das, wie befruchtet sich das gegenseitig? Im Prinzip wie bei einer guten Band. Es gibt viele, die sich zusammenfinden, aber nur wenn es auf die Dauer klappt, bleibts bestehen.

kreuzer: Wie ist das bei euch?

WILHELM: Bis jetzt lief es immer gut und alle haben noch Spaß. Das Coole ist, dass wir so eine verrückte Mischung sind. Wir haben Hauke von Grimm, der Bademeister ist. Kurt Mondaugen ist Philosoph, Philosophiedozent. Julius Fischer macht Fernsehen, André Herrmann ist Blogger und Twitterer. Und dann haben wir noch unseren Bäcker Herrn Schweßinger und mich.

kreuzer: Und wie ist das so als einziges weibliches Mitglied?

WILHELM: Ich hab immer gerne viel mit Jungs rumgehangen. Von daher klappt das sehr gut.

kreuzer: Mal über eine Frauenquote nachgedacht?

WILHELM: Bei der Lesebühne?

kreuzer: Ja.

WILHELM: Bei uns ist das so: Die, die drin sind, sind drin. Es würde erst wieder jemand Neues kommen, wenn einer von uns sagt: Ich kann nicht mehr. Aber im Moment hält das gut zusammen. Bis jetzt ist noch keine Müdigkeit eingekehrt.


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