anzeige
anzeige
Kultur

»Auf einmal war ich DJ«

Robyrt Hecht über sein Label Yuyay, den Vorteil von Schallplatten und Mathe im Electro

  »Auf einmal war ich DJ« | Robyrt Hecht über sein Label Yuyay, den Vorteil von Schallplatten und Mathe im Electro

Die große Kunst sei es, Musik nicht klingen zu lassen, als wäre sie kalt von Maschinen errechnet, sondern den Synthesizern und Drumcomputern menschliches Leben einzuhauchen, sagt Matthias Weise über Electro. Der Chef des Dessau-Wörlitzer Labels Dominance Electricity will mit der Compilation »Global Surveyor« die Entwicklung des Genres und seine weltweite Vernetzung abbilden. Dafür hat er sich einen Leipziger ins Boot geholt, der rechnen UND Synthesizer bedienen kann. Denn Robyrt Hecht ist Mathematiker und Musiker und DJ im elektronischen Bereich.

kreuzer: Wie wirkt sich dein Mathe-Studium auf die Musik aus? Gehst du mit einer »kreativen Logik« ans Werk?

ROBYRT HECHT: Eigentlich ganz im Gegenteil. Musik zu schaffen war eher immer der Gegenpol zum Mathematiker in mir. Ich arbeite stark nach dem Trial-and-Error-Prinzip und lasse Dinge einfach geschehen. Es macht mir auch einfach wenig Spaß, Musik durchzukalkulieren. Einige Produzierende gehen ja sehr technisch-rational heran, zählen komplexe Rhythmen und Melodien vertrackt aus oder wollen den letzten Schliff aus jedem Sound rausholen. Die haben da sicher auch ihren Spaß dran, bei mir ists aber anders. Ansonsten fällt es mir vielleicht etwas einfacher als anderen, ein komplexes technisches Tool zu verstehen oder mir dessen Wirkungsweise vorzustellen – aber da haben mir ja zum Beispiel Elektrotechniker mehr voraus.

kreuzer: Steht das »y« auch im Personalausweis oder wie bist du zu deinem (bei Suchmaschinen nicht unvorteilhaften) Namen gekommen?

HECHT: Als ich mit dem Auflegen begann, brauchte es einen Künstlernamen. Zu dem Zeitpunkt standen der Labelname Yuyay und die ersten Veröffentlichungen von mir unter Pseudonymen. Für diese nahm ich Namen von Mathematikern und schob ein »Y.« dazwischen, wie Gottfried Y. Leibniz. Aber diese Namen waren eben projektgebunden und fielen also heraus. Der Einfachheit halber wollte ich beim bürgerlichen Namen bleiben. Und ja – richtig erkannt – die Suchmaschinenkompatibilität war ein Grund, das »y« einzuwerfen. Der andere war natürlich der Zusammenhang zur Ypsilon-Flut im Label-Konzept. Es weiß zwar niemand, wie man das aussprechen soll – Robyrt –, aber das amüsiert mich.

kreuzer: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit den Jungs von Dominance Electricity für »Global Surveyor 4« – auch vor dem Hintergrund, dass du dein eigenes Label Yuyay hast?

HECHT: Dominance Electricity hat ja für diesen Release den klassischen Compilation-Weg eingeschlagen, also Tracks diverser Künstler aus verschiedensten Kontexten zusammengetragen. Der Albumtitel ist Programm: Da wurde das Fernglas aufgesetzt und die internationale Szene abgeklappert nach dem passenden Sound. Zum eigenen Label-Hintergrund: Man nimmt, was man kriegen kann. Mir fällt niemand ein, der/die eine Veröffentlichung auf einem anderen Label ausschlagen würde, nur weil man den Track ja theoretisch auf dem eigenen veröffentlichen könnte. Kostet ja alles Geld – bisher habe ich noch mit allem Verlust gemacht, bei dessen physischer Veröffentlichung ich mitgewirkt habe. Das ist übrigens auch normal so in den Kreisen, in denen ich mich befinde.

kreuzer: Könntest du dir vorstellen, mehr für Dominance Electricity zu machen, etwa ein Soloalbum, oder sollte das dann auf Yuyay erscheinen?

HECHT: In meinem Archiv warten etliche genreübergreifende Stücke auf Fertigstellung und Verwendung. Wo die landen, ist prinzipiell offen. Ich dränge mich mit bisher unveröffentlichtem Material aber niemandem auf. Mit der Eigenveröffentlichung auf Yuyay warte ich zumeist so lange, bis mir etwas sagt, dass das jetzt unbedingt raus muss. Und ansonsten bin ich immer offen dafür, dass jemand mit einer Anfrage auf mich zukommt, und freue mich dann umso mehr, wenn die Musik irgendwo wertgeschätzt wird, ohne dass ich Türklinken putzen musste. Und in der Tat hat Dominance Electricity schon mal vorgefühlt für eine Solo-EP auf einem neuen Sublabel. Aber alles zu seiner Zeit …

kreuzer: Dein Sampler-Beitrag ist eine Bearbeitung von Amper Clap aus Spanien. Was waren deine Beweggründe für den Remix? Warum eine Interpretation und kein eigener Song?

HECHT: Es war eine Auftragsarbeit von Elektrodos. Die gaben mir und Amper Clap den Auftrag, je einen Track zu machen und dann den des anderen zu remixen. Das Resultat hatten sie über Bandcamp veröffentlicht und in ihrer Sendung beworben. Beim Remixen finde ich das Aufeinandertreffen verschiedener Produzenten-Stile sehr spannend. Ein Remix hat ja mit seiner wortwörtlichen Bedeutung heutzutage nur noch wenig gemein. Die Spuren des Originals werden schon lange nicht mehr einfach neu abgemischt und das Arrangement etwas abgeändert, so wie in den Siebzigern bei Disco. Heute gibt der Remixer bedeutend mehr eigenen Input hinzu. Ich habe für diesen Remix auch komplett neue Bass- und Drumspuren aufgenommen, die den Originaltrack stark verändert haben; sowohl im Groove als auch in der Klang-Ästhetik. So klingt das jetzt auch eher wie ein Track von mir als nach Amper Clap. Aber die originale, dystopische Synth-Line und Harmonik von ihm geben dem Ganzen einen Touch, den ich niemals gebracht hätte, wäre es zu 100 Prozent mein Track gewesen.

kreuzer: Die »Global Surveyor 4« erscheint auch auf Vinyl, als 4 x 12“. Braucht es aus deiner Sicht als Label-Chef in Zukunft noch schicke Haptik?

HECHT: Ja. Immerhin besteht schon lange keine Notwendigkeit mehr für physische Medien, aber sie bleiben aktuell. Und das vor allem auch durch junges Blut, also nicht nur aus einer Nostalgie oder einem Konservatismus heraus. Außerdem ist es vielen DJs – mich eingeschlossen – noch immer wichtig, mit Vinyl zu spielen. Da ist einfach mehr Bewegung hinterm Pult. Das Kramen in der Plattentasche macht so viel mehr Spaß, als ein digitales Menü durchzublättern. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Beschränkung. Die Aufbewahrung von Vinyl nimmt mehr Platz ein, der Transport ist anstrengender, der Kauf teurer. Dadurch wähle ich aber auch viel bedachter aus! Das hat einen großen Wert. In dem Überfluss und der stetigen Verfügbarkeit aller Musik derzeit ist die Auswahl ja der Knackpunkt.

kreuzer: Du hast als DJ gearbeitet, was hat dich bewogen, selbst zu produzieren und eigene Label ins Leben zu rufen?

HECHT: Das fing genau andersherum an. Das Produzieren begann schon mit 14 in der Kleinstadt. In der Zeit war ans Auflegen nicht mal zu denken – gab ja nix. Dann mit 18 der Umzug nach Leipzig. Einige Zeit später tüftelte ich dann die ganze Sache mit Yuyay aus. Und dann kam auch mal eine Anfrage von Steffen Bennemann, auf der Conne-Island-Veranda aufzulegen. Zufällig hatte ich mich im selben Jahr bei einem Freund – Gregor Barth, der auch die Fotos für dieses Interview gemacht hat – mal an zwei Plattenspieler gesetzt und große Freude an der Herausforderung gehabt, zwei Platten zu vereinen. Kurzum, eines führte zum anderen und auf einmal war ich auch DJ. Jetzt stehen daheim über 1.000 Platten jeglicher Couleur.

kreuzer: Welche Musikstile haben dich in deiner Entwicklung am meisten beeinflusst?

HECHT: Angefangen hat‘s mit Hiphop: Beat Street! Über Indietronica- und Drum‘n‘Bass-Umwege dann zu IDM bzw. Braindance und von da aus zu Techno. Underground Resistance stieß dann das Tor zu jeglicher afroamerikanischer Musik für mich auf. Von House über Disco und Funk zu Jazz, aber vor allem zum (Detroit-)Electro, in dem ich mich bis heute am besten abgebildet fühle – insbesondere wenn‘s funky ist. Zuletzt kamen dann noch New Wave und EBM dazu. All diese Genres höre ich in stetiger Rotation und beschäftige mich viel mit ihnen. Und neue werden bestimmt noch hinzukommen. Interessanterweise krame ich bisher aber hauptsächlich in der Vergangenheit und bin, was neue Stile angeht, eher lahm. Die wichtigste Person, die mich musikalisch beeinflusst hat, ist mein Bruder Norman. Nicht nur, dass ich durch seinen Großer-Bruder-Input auf den Großteil eben erwähnter Genres aufmerksam wurde, auch den Startschuss mit dem Musikmachen hätte ich ohne ihn sicher verpasst. Von den ersten Gitarrengriffen bis zur Einführung in Software zum Produzieren wurde ich da stark geprägt. Und er gibt mir bis heute Anregungen und Tipps. Im Gegenzug versuche ich jetzt, seine Musik in der Öffentlichkeit unterzubringen und habe schon ein paar Veröffentlichungen in die Wege leiten können. Gemeinsam mit einem Mitstreiter nennt er sich Nachtzug. Auch erwähnen muss ich Clear Memory. Das ist eine seit ein paar Jahren bestehende Gruppe von Menschen, die sich in Leipzig mit Electro-affinen Spielarten beschäftigt, sich gemeinsam beim Produzieren und Ähnlichem beratschlagt und Veranstaltungen auf die Beine stellt. Auf so etwas hatte ich lange gewartet, denn – so sehr ich auch Eigenbrötler bin – der Input eines solchen Austausches zwischen Gleichgesinnten hilft enorm.

kreuzer: Robyrt Hecht in zehn Jahren: Forscher, Analyst in der Bank oder Musiker im Independent-Bereich?

HECHT: Uh, die Investmentbank habe ich schon vor langer Zeit ausgeschlossen. Ebenso wie die professionelle Musikkarriere. In der Forschung Fuß zu fassen, halte ich mir noch offen. Dann bleibt aus der Liste ja nur noch die Independent-Musik übrig. So oder so ähnlich ist das sogar auch geplant: Ich werde bald mit Gleichgesinnten einen Plattenladen eröffnen. Musikalisch wird es der Nachfolger von Possblthings, der letzten April in Connewitz schließen musste. Aber in neuem Gewand mit neuer Crew. Wir übernehmen den Backstock und stocken zudem natürlich noch gehörig auf, nicht nur mit weiteren Platten, sondern auch mit Second-Hand-Kleidung. Das Konzept haben wir schon zweimal mit je einwöchigen Pop-up-Stores getestet. Wird aber noch etwas dauern mit dem Laden; das Bauvorhaben in der neuen Location hat es in sich.


Kommentieren


0 Kommentar(e)