Bei den meisten Musikfestivals treten immer noch weniger Frauen auf als Männer. Doch der Druck auf die Veranstalter wird größer, seit ein paar Jahren wird auch das Thema Frauenquote immer wieder diskutiert. Warum die Quote auch beim Nachtdigital umstritten ist und wie sie es schaffen, zumindest ein Drittel der auftretenden Acts mit weiblicher Beteiligung einzuladen, erklärt Mit-Organisator Jan Bennemann im kreuzer-Interview.
kreuzer: Spielt bei eurem Booking eine Rolle, ob die Acts weiblich sind?
JAN BENNEMANN: Es spielt natürlich eine gewisse Rolle, dass ein Teil der auftretenden Künstler weiblich ist, genauso wie es eine gewisse Rolle spielt, dass ein anderer Teil männlich ist, beziehungsweise ein noch weiterer Teil sich über andere Geschlechtsbilder identifiziert. Aus dem ganz einfachen Grund: Weil Kunst und deren Präsentation zunächst erst mal kein Geschlecht hat. Natürlich kann später auch explizit von weiblicher oder einer anderen geschlechtsbezogenen Form von Kunst gesprochen werden, insofern ein Missstand versucht wird aufzuzeigen, wie zum Beispiel, dass Frauen gesellschaftlich deutlich unterrepräsentiert sind gegenüber von Männern. Das Booking weiblicher Künstler spielt seit einiger Zeit eine wichtige Rolle bei uns. Natürlich ist dies auch ein Prozess, der bei Wenig begann – wir brauchen da nur unser Line-up zu betrachten, als Nachti noch sehr jung war –, aber über die Jahre eben dazu geführt hat, dass 2018 mehr Frauen denn je ihre Kunst auf unserem Festival präsentieren. Wir haben dies aber nie an die große Glocke gehangen, die Leute sollen das selbst merken. Also hin zur reinen Selbstverständlichkeit. Darum geht es doch, dass alle gleichermaßen Zugang haben und wir nicht mehr darüber nachdenken müssen, welches Geschlecht, welche Hautfarbe und kulturelle Prägung ein Mensch hat.
kreuzer: Auch wenn es eine Selbstverständlichkeit sein sollte: Habt ihr darauf besonders geachtet, dass beim Nachtdigital – verglichen mit anderen Festivals – recht viele Künstlerinnen vertreten sind?
BENNEMANN: Ganz klar folgt aus dieser Tatsache, dass wir darauf achten weibliche Künstler einzuladen. Jedoch nicht explizit, um andere Line-ups auf anderen Festivals mit dem Anteil von Frauen zu übertrumpfen. Ganz ehrlich: Uns ist es eigentlich ziemlich egal, was andere so machen. Hauptsache wir machen was Gescheites und können damit leben. Natürlich freut es uns, wenn andere Veranstalter ähnlich denken wie wir und versuchen mehr Aufmerksamkeit darauf zu lenken und zu hinterfragen, was all die Jahre so passiert ist, aber einen direkten Vergleich zu uns legen wir dabei nicht zu Grunde.
kreuzer: Wäre eine Frauenquote sinnvoll?
BENNEMANN: Das ist schon immer die große Frage: Quote ja oder nein? Auch wir sind da unentschieden. Einerseits würde es die Sichtbarkeit von Frauen in der Kunst deutlich erhöhen, andererseits besteht die Gefahr dass dann Künstlerinnen lediglich aufgrund der Quote gebucht werden und sich selbst wahrscheinlich jedes Mal fragen: »Bin ich jetzt nur wegen der Quote hier oder geht es wirklich um meine Kunst?« Unsere Crew ist sich dahingehend auch uneins. Bis jetzt zumindest gibt es keine Quote bei uns. Sofern wir aber immer mitdenken, dass Frauen mehr sichtbar gemacht werden müssen und dies auch tun, besteht auch keine Notwendigkeit für uns. Außerdem greift dies viel zu kurz, denn wir sollten uns auch die Frage stellen, in welchem Umfeld wir diese Quote einführen würden. Wenn wir uns umschauen, wer die Veranstalter von Festivals sind und wer diese aufbaut und durchführt, stoßen wir erneut auf eine hauptsächlich von Männern geprägte Welt. Unsere Produktionsleitung jedenfalls teilen sich dieses Jahr eine Frau und ein Mann gleichermaßen und dies ist bei weitem nicht die einzige Frau in unserer Crew. Wichtig dabei ist: Das haben wir auch ohne Quote geschafft.
kreuzer: Wenn ihr in die Zukunft blickt: Denkt ihr, dass in den nächsten Jahren mehr Frauen auf Festivals auftreten werden?
BENNEMANN: Ganz klar ja! Zum einen weil die Aufmerksamkeit höher denn je ist im Hinblick auf diese Thematik, andererseits auch weil Veranstalter durch aktive Menschen »bestraft« werden. Sei es durch wie die in den Niederlanden geborene »All men? – Nein Danke«-Aktion mit dem Atomkraftgegner-Logo, die rein männliche Veranstaltungen damit konfrontieren, dass sie sich mal wieder nur Männer eingeladen habe oder einfach durch Fernbleiben von den entsprechenden Events. Das heißt, selbst die größten Chauvinisten unter den Veranstaltern, die meinen, gute Line-ups zusammenstellen zu können, werden sich Frauen einladen, einfach weil der Druck aktuell zu groß ist.
kreuzer: Was müsste dafür passieren?
BENNEMANN: Jetzt liegt es an uns allen – Veranstaltern, Künstlern und Besuchern –, dass eine wirkliche Umerziehung statt findet. Das oberste Ziel sollte doch immer sein aus einem Chauvinisten einen selbstreflektierenden Menschen mit weltoffenem Verstand zu machen, der nicht nur über den Anteil von Frauen im Line-up als notwendiges »Übel« nachdenkt, sondern allseits inklusiv denkt und handelt. Da haben alle noch an sich zu arbeiten. Letztlich ist die Frauenquote auch nur eine Teilfrage. Denn um ehrlich zu sein: Wie ist es denn zum Beispiel um die Barrierefreiheit auf dem eigenen Festival bestellt? Oder können sich den Spaß, den wir da fabrizieren, überhaupt noch alle leisten? Diese Fragen betreffen uns genauso wie andere. Also dann, gehen wir die Dinge an und vor allem hören wir nicht auf, an den sich langsam bessernden Zuständen weiter zu arbeiten!