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Politik

Schon wieder?

Der Abhörskandal geht weiter – diesmal sind noch mehr Menschen betroffen

  Schon wieder? | Der Abhörskandal geht weiter – diesmal sind noch mehr Menschen betroffen

Erneut haben Ermittlungsbehörden auf der Suche nach einer »kriminellen Vereinigung« in Leipzigs Subkulturen umfassend Telefongespräche abgehört. Diesmal konzentrierte man sich auf die Anhängerschaft von BSG Chemie Leipzig. Und erneut sind Hunderte Unbeteiligte betroffen.

Im Sommer 2016 erhielten 14 Leipziger unerwartet Post von der Generalstaatsanwaltschaft Dresden. Das Verfahren gegen sie wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung sei ergebnislos eingestellt worden. Doch die meisten wussten gar nicht, dass es überhaupt einen Verdacht und sogar ein Verfahren gab. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erregte damals eine umfassende Telekommunikationsüberwachung der Verdächtigen, bei der auch Hunderte Unbeteiligte mit abgehört wurden – darunter mehrere Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Journalisten oder Anwälte.

Nun hat die Generalstaatsanwaltschaft diesen Juni wieder zahlreiche Briefe verschickt. Diesmal wurden sogar 25 Personen davon in Kenntnis gesetzt, dass auch gegen sie ein solches Ermittlungsverfahren nach §129 lief. Auch dieses Verfahren wurde ergebnislos eingestellt. Und wieder wurden Hunderte Telefongespräche abgehört, darunter Hunderte unbeteiligte »Drittbetroffene« sowie erneut mehrere Berufsgeheimnisträger.

Keine Ergebnisse, also mehr Ermittlungen

Nicht nur angesichts dieser Parallelen drängt sich ein verwundertes »Schon wieder?« auf. Denn mindestens drei Personen, die bereits im ersten Verfahren als Verdächtige geführt und 2016 informiert wurden, dass es keine Beweise für die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gebe, wurden nun informiert, dass aufgrund ebendieses Verdachts auch in dem aktuellen Verfahren gegen sie ermittelt wurde. Es scheint so, als habe die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen mangels Ergebnissen einfach ausgeweitet und dabei nun konkret die Fanszene von Chemie, der alle 25 Betroffenen angehören, in den Blick genommen.

Wie Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein gegenüber dem kreuzer darstellte, geht der Anfangsverdacht für die Existenz einer kriminellen Vereinigung im nun bekannt gewordenen Verfahren auf mehrere Körperverletzungsdelikte im Jahr 2014 zurück, bei denen »mehrere schwarz gekleidete und vermummte Personen in immer gleicher Weise vermeintlich politisch rechts stehende Personen angegriffen haben«. Ob es sich dabei um dieselben Taten handelt, die schon im ersten Verfahren als Begründung angeführt wurden, ist nicht bekannt, wenngleich sich hier deutliche Parallelen erkennen lassen: »Einheitlich ist das Auftreten von einer Gruppierung schwarz gekleideter, maskierter und mit Handschuhen versehener Täter. Diese werden körperlich gegen ausgewählte Personen, die von der Tätergruppierung als rechts eingestuft werden, tätig«, hieß es in dem 2014 eingeleiteten Ermittlungsverfahren.

Zeitlicher Zusammenhang zwischen Sportereignissen und Straftaten

Aber was haben »scheinbar politisch motivierte Überfälle« mit Fußball zu tun? In diesem Zusammenhang äußerte sich Klein nun erstmals konkreter: Es gebe einen zeitlichen Zusammenhang der erwähnten »sehr ähnlichen Straftaten« mit nicht näher benannten »Sportereignissen«, weshalb sich die Ermittlungen zuletzt auf die Anhängerschaft der BSG Chemie Leipzig konzentrierten. Die Behörden vermuteten die »Täter im Umfeld der Fanszene« und versuchten mittels umfassender Überwachung eine Bestätigung für diesen Anfangsverdacht zu finden.

Was das konkret bedeutet, stellt sich für die Betroffenen wie folgt dar: »So werden unsere regelmäßigen Treffen, bei denen wir Choreografien und Auswärtsfahrten genauso besprechen wie Hilfe für den Verein oder die Organisation des Flüchtlingshilfeprojektes Refugees United, als Hinweis auf eine kriminelle Vereinigung gesehen und überwacht«, heißt es in einem ersten Statement der betroffenen Fans. »Die Kommunikation per Rund-SMS wird als Beleg für unsere geheime und kriminelle Vorgehensweise gewertet«. Der Verein selbst führt den Verdacht an, »hier würden strafrechtliche Ermittlungen vorgeschoben, um sich ein genaues Bild über Strukturen und Kontakte prinzipiell friedlicher Fußballfans und einer vermuteten ›alternativen Szene‹ generell machen zu können.«

Kampagne der Diablos: 129 Freunde

Welches Ausmaß die Überwachung tatsächlich hatte und inwiefern hier typische Fan-Arbeit als Indiz für kriminelle Organisationsstrukturen gewertet wurde, wird sich wohl erst in den kommenden Wochen eindeutig zeigen, wenn die Betroffenen Akteneinsicht erhalten. Zusätzlich hat Landtagsabgeordnete Juliane Nagel bereits eine erste Anfrage zu Dimension und Grundlagen der Ermittlungen eingereicht. Währenddessen gehen die Betroffenen in die Offensive. So hat die Ultra-Gruppierung Diablos, der mehrere der Betroffenen angehören, die Kampagne 129 Freunde angekündigt, um aufzuklären und zu zeigen, »was hinter den Ermittlungen steckt, wer aus welchem Grund und wie überwacht wurde und warum die Vorwürfe falsch waren und sind«.


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