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Solohalma & Solidarität

Gelegentliches Alleinsein war schon Rezept antiker Philosophen. Pure Einsamkeit aber gebiert Ungeheuer

  Solohalma & Solidarität | Gelegentliches Alleinsein war schon Rezept antiker Philosophen. Pure Einsamkeit aber gebiert Ungeheuer

»Der Mensch wird am Du zum Ich«, fasst Martin Buber seine dialektische Philosophie zusammen. Am Gegenüber, in seinen Beziehungen zu anderen wird das Individuum erst zum Menschen. Und doch kann diese Grundeinsicht in den sozialen Charakter des Menschen eines nicht überbrücken: Im Zweifelsfall sind wir je für uns allein. Man kann den anderen nicht in den Kopf gucken, nicht in eine andere Haut fahren, trotz aller Nähe nicht der andere sein. Sterben muss sowieso jeder für sich. Vielleicht ist es diese Spannung, die dazu führt, dass der Mensch bedürftig nach beidem, nach Einsam- und Gemeinsamkeit ist. Man darf das nur nicht mit der chronischen Einsamkeit verwechseln, mit der nicht zu spaßen ist.

Schließlich kommt es ja darauf an, sich nicht verrückt machen zu lassen in einer Gesellschaft, die zugleich Ermüdung und Vereinzelung befördert sowie an das große Wir-Kollektiv und sozialen Zusammenhalt appelliert.Auch das führt zum Gefühl, allein zu sein. Konkurrenzkampf als gesellschaftliches Leitmotiv fördert Einsamkeit. Das permanent geforderte Gegeneinander in der vermeintlichen Leistungsgesellschaft produziert immerzu ein Heer von Verlierern, die an ihrer Lebenssituation, vielleicht sogar Ausgeschlossensein von Arbeitsmarkt und soziokultureller Teilhabe, leiden und daran auch noch selbst Schuld tragen sollen. Hinzu kommen lose Bekanntschaften, Bestätigungssuche in sozialen Netzwerken, die Zunahme von Singlehaushalten, die Notwendigkeit zu pendeln etc. pp., die alle Faktoren dafür sein können, dass sich Menschen einsam – nicht nur allein – fühlen. Das Individuum leidet so sehr an der Individualisierung, wie es sie genießt. Es ist gerade diese Projektion nach außen, die zum Einsamwerden führt, die Bestätigungssuche durch andere, die natürlich immer nur unperfekt ausfallen kann. Warum fallen Promis in Einsamkeitsdepressionen, obwohl sie von aller Welt bejubelt werden? Das ist das Paradox: Die narzisstische Gesellschaft mit ihrer Selbstinszenierungsfreude, Gefallsucht und ihrem Exhibitionismus ist besonders geeignet, Einsamkeit hervorzubringen. Womit nichts über das tatsächliche Vorkommen im Vergleich zu früheren Gesellschaften gesagt werden soll.

»Der Mensch wird am Du zum Ich«: Martin Bubers Worte erinnern daran, dass der Mensch als soziales Wesen daran leiden muss, in einer wenig sozialen Welt leben zu müssen. Und da können bloße Vereinzelung und der Rückzug ins Schneckenhaus nicht die empfehlenswerteste Haltung sein. Denn niemals die Warnung von Ton Steine Scherben vergessen: »Allein machen sie dich ein.«


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