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Politik

#le1101prozess: »Das einzige Ziel war eine Schneise der Verwüstung«

Am Leipziger Amtsgericht wurden heute die ersten beiden Beteiligten des »Sturm auf Connewitz« zu Gefängnisstrafen verurteilt.

  #le1101prozess: »Das einzige Ziel war eine Schneise der Verwüstung« | Am Leipziger Amtsgericht wurden heute die ersten beiden Beteiligten des »Sturm auf Connewitz« zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Zeitgleich zur Feier des ersten Jahrestags von Legida zerstörten am Abend des 11. Januar 2016 rund 250 bis 300 Rechtsradikale zahlreiche Geschäfte, Kneipen und Autos auf der Wolfgang-Heinze-Straße und griffen Passanten an. Nun wurden die ersten Beteiligten in Leipzig jeweils zu einem Jahr und acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.

Bevor er sein Urteil verkündet, weist Amtsrichter Pirk eindrücklich darauf hin, Unmutsbekundungen oder laute Zustimmung zu unterlassen. Es ist das erste Urteil am Leipziger Amtsgericht zu dem Angriff von Neonazi-Hools auf Connewitz vor rund zweieinhalb Jahren. Die Polizei setzte damals 216 der Angreifer, von denen ein Großteil der gewaltbereiten und rechten Fußballszene zugeordnet wird, in einer Seitenstraße fest (eine Infografik zu den mutmaßlichen Tätern des Überfalls, findet ihr hier). Darunter waren auch Martin K. und Dennis W., die heute wegen besonders schwerem Landfriedensbruch verurteilt wurden. Und zu allen Vorwürfen schwiegen.

»Eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen«

Für die Verurteilung wurde den beiden keine individuelle Tat zur Last gelegt. Vielmehr war es für das Gericht entscheidend, dass sie als Teilnehmer einer geschlossenen Gruppe bei den Zerstörungen dabei gewesen sein sollen. Damit hätten sie sowohl psychische Beihilfe zu den Straftaten geleistet, als auch eine tatsächliche Unterstützungsleistung. Denn in der nahezu durchgehend schwarzbekleideten Gruppe konnten einzelne Personen, die Scheiben und Autos zerstörten, immer wieder untertauchen. »Man geht zu dieser Jahreszeit nicht in hellen Sachen aus dem Haus«, merkte Verteidigerin Katrin Stärk diesbezüglich in ihrem Schlussplädoyer an. Ohne Erfolg. Beide Verteidiger hatten für ihre Mandanten auf Freispruch plädiert, da man lediglich feststellen könne, dass diese in der Auerbachstraße angetroffen wurden, nicht jedoch wie sie dort hingekommen seien oder was vorher passiert ist.

Dies sah das Gericht deutlich anders. Erschwerend komme im verhandelten Fall hinzu, wie Richter Pirk in seiner Urteilsbegründung ausführt, dass die beiden Angeklagten Teil einer Personengruppe waren, die »eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen« war. »Mit einer rechten Gruppe durch Connewitz zu laufen«, sei eine klare Provokation, führte er aus. Die Angeklagten hätten »Riesenglück« gehabt, dass das Viertel zum damaligen Zeitpunkt wegen der Proteste in der Innenstadt nahezu leer war, andernfalls würde man heute eher zahlreiche Körperverletzungen verhandeln müssen. Eine Bewährung sei unter diesen Umständen für keinen Bürger nachvollziehbar zu vermitteln. Mit dem verkündeten Strafmaß folgte Richter Pirk der Forderung der Staatsanwaltschaft.

»Da ist keiner einfach nur mitgelaufen«

Aussagen der damals eingesetzten Beamten, Schilderungen geschädigter Anwohner und das heute gesichtete Videomaterial ließen die geschlossene Gruppendynamik und die Absicht der Gruppe klar erkennen. In den vorgeführten Videosequenzen der Polizeikameras war zu sehen, wie eine Person der festgesetzten Gruppe offensiv auf die Polizeikette zugeht und mit einer Holzlatte in der Hand immer wieder erklärt, warum man da sei: »Die, die euch mit Steinen bewerfen, die wollen wir haben« oder »Wenn ihr's nicht macht, dann machen wir´s!«, ruft er der Kamera entgegen. »Da ist keiner einfach nur mitgelaufen«, sagte bereits am ersten Verhandlungstag eine Anwohnerin über die Angreifer, die mit Eisenstangen, Teleskopschlagstöcken und Äxten in die Wolfgang-Heinze-Straße gekommen waren. Die beiden Angeklagten selbst machten vor Gericht keinerlei Aussagen. Zur moralischen Unterstützung waren an beiden Prozesstagen mehrere offenkundige Bekannte, teils in rechter Szenekleidung anwesend. Mindestens einer der anwesenden Unterstützer wird in den kommenden Monaten selbst wegen des Überfalls auf Connewitz auf der Anklagebank Platz nehmen dürfen.

102 weitere Verfahren an den Amtsgerichten Leipzig, Torgau, Grimma und Eilenburg mit insgesamt 202 Angeklagten sollen in den nächsten Wochen und Monaten folgen. 13 weitere Fälle werden in Dresden verhandelt, wo bereits ein Mitglied der als kriminelle Vereinigung eingestuften »Freie Kameradschaft Dresden« für die Tatbeteiligung in Connewitz zu 16 Monaten Haft verurteilt wurde. Die aus den Ermittlungen gegen die FKD gewonnenen Erkenntnisse wurden in der Urteilsbegründung immer wieder herangezogen, um das organisierte und planmäßige Vorgehen der Gruppe zu belegen, deren einziges Ziel es laut Staatsanwaltschaft war, »eine Schneise der Verwüstung« durch Connewitz zu ziehen.

Landtagsabgeordnete fordert Aufklärung der Hintergründe

Chatverläufe und Bewegungsprofile weisen zwar auf eine intensive Vorbereitung hin, die heute vom Gericht in der Urteilsfindung auch entsprechend berücksichtigt wurde; von wem diese ausging, ist aber bisher unklar. »Von den Prozessen erwarte ich endlich Aufklärung darüber, wer die Rädelsführer der Aktion waren – und warum sie nicht durch Behörden verhindert werden konnte«, erklärte Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz dazu.  Doch die erhofften Antworten zu Hintergründen und Planung des »Sturm auf Connewitz« hat man heute nicht erhalten und wird man trotz des Aufwands wohl auch bei den nächsten Prozessen nicht bekommen, sollten sich auch die weiteren mutmaßlichen Angreifer vor Gericht in Schweigen hüllen. Unwahrscheinlich ist dies keineswegs. Dass in Neonazikreisen und Fußballumfeld der Gruppendruck weitaus schwerer wiegt als die potentielle Verurteilung wäre zumindest keine Neuigkeit.

Ungewiss ist, ob mit dem heutigen Urteil eine Vorlage für die weiteren Prozesse geschaffen wurde, mit der diese entsprechend abgekürzt werden können. Dem entgegen deutet sich nämlich bereits an, dass die juristische Aufarbeitung der Zerstörungen und Angriffe in Connewitz vor allem für die Zeugen zur Dauerbelastung werden könnte. Mehrere geschädigte Anwohner, die in dem nun beendeten Prozess als Zeugen angetreten waren, berichteten dem kreuzer, dass sie bereits zahlreiche weitere Ladungen erhalten haben. Bis weit ins Frühjahr 2019 sollen sie ihr Erscheinen vor Gericht als regelmäßigen Termin im Kalender einplanen.


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