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Literatur

Cunst und Crempel: Duales System

Heute in der Comic-Kolumne: Gut gegen böse, »Billy Bat« geht final und ein Abstecher in den Comicgarten

  Cunst und Crempel: Duales System | Heute in der Comic-Kolumne: Gut gegen böse, »Billy Bat« geht final und ein Abstecher in den Comicgarten

Nichts ist so langweilig wie der Kampf gut gegen böse – zumal das Ende des Konflikts zu oft vorhersehbar ist. Nur die Zahl der Nebenhelden, welche auf der Strecke bleiben, ist ungewiss. Der Rest ist geschickt aufrecht erhaltende Spannung. Auch Comics sind in erster Linie gutes Handwerk, das in aller Regel von der geschickten Inszenierung eines Siegeszugs des Guten lebt. Selbstverständlich gibt es dann noch die Meister, die es entweder irgendwie besser machen oder ganz anders.

Beispiel Frank Miller. Man mag von seiner Gewaltästhetik abgestoßen sein. Sein moralischer Graubereich in »Sin City«, wo das duale Gut-Böse-System brutalst möglich unterlaufen wird, ist gewinnender Ansatz. Man möchte sich hier mit niemanden identifizieren. Das Abspechen rein edler Motive in seiner »Dark Knight«-Adaption erschuf den besten, weil allzumenschlichen Batman aller Zeiten. Ein anderer Fledermaustyp treibt als Verwirrspiel das Gut-gegen-Böse-Aufschaukeln auf die Spitze: »Billy Bat«. Über 20 Folgen rasten die Turbulenzen im Zeichen der Fledermaus auf kein Ende zu. Mit dem finalen Band schließt sich nun der Kreis der Manga-Serie oder besser: Die Berg-und-Tal-Fahrt im malmstromenden Ereignisstrudel kommt zum Halt.

Tierkreiszeichen Fledermaus

Die Zeichner  Naoki Urasawa und Takashi Nagasaki starteten ihre »Billy Bat«-Serie 2008 in Japan als klassische Zeitungsstrips. Später erschienen sie in Sammelbänden zusammengefasst. Seit 2012 gibt es sie auch in deutscher Übersetzung – die Mangaform und das daran gebundene Lesen von rechts nach links sind beibehalten worden. Die Serie beginnt als flotter Funny in einer Welt aus Tierfiguren: Flattermann und Privatdetektiv Billy Bat soll eine junge Pudelfrau beschattten. Klar, es geht um einen eifersüchtigen Dobermann. Nach ein paar Verfolgungsjagden, einer romantisch-stürmischen Umarmung und einem Mord löst sich das Geschehen auf. Und ab dann wird die Story erst einmal sehr sehr unübersichtlich. Man lernt kurz Kevin Yamagata kennen, den Schöpfer eben gelesenen Serie »Billy Bat«. Das ist im Jahr 1949 in den USA. Als er erfährt, dass seine Figur womöglich eine Vorlage in Japan hat, fährt er ins Land seiner Eltern. Dort wird er in allerhand Geschichten und Geschicke verstrickt. Schwindel und tapsen im Ungefähren halten als Grundgefühl beim Lesen lange an, machen aber auch den Reiz von »Billy Bat« aus. Angesichts der völligen Ungewissheit steigt der Wille zum Wissen, wie es denn nun ausgeht immens.

Denn immer größere Kreise zieht die Fledermaus. Sie kommt als weiße und schwarze Variante daher, wobei die Rollen unklar bleiben – vielleicht ist sie doch nur eine. Sie treibt als ewiger Einflüsterer durch die Weltgeschichte, der die Menschen zu Großem antreibt.  Meist ist es nicht Geringeres, als an der erstrebten Weltherrschaft grandios zu scheitern. So hetzt Billy einige Ninja-Clans gegeneinander auf und die mystische Figur scheint japanischen Ursprungs zu sein. Bald taucht ein katholischer Missionar auf und die Fledermausspuren lassen sich bis zu Jesus und Judas zurückverfolgen. Die Geschichte katapultiert schon in der nächsten Wendung den Leser nach vorn und er findet sich in der Planung des Attentats auf John F. Kennedy wieder. Und was hat es mit der Appollo-11-Mission auf sich? Lebt vielleicht gar kein Mann im Mond, sondern eine Fledermaus? Erst allmählich wird dem Leser ein Lichtstrahl aufgehen. Neben dem großen, die Spannung erhaltenden Geheimnis bildet der japanische Blick auf die historischen Ereignisse wie die Kapitulation Japans eine ungewohnte Perspektive.

Die Katastrophe aufhalten

Mit erzählerischer Kunst fädeln die Autoren die vielen Handlungsstränge aneinander. Rätsel klären sich irgendwann auf, immer mehr erlaubt das Dickicht etwas Durchblick. Bis neuer Nebel in diesem epischen Mystery-Verschwörungs-Thriller aufsteigt. Dass der Leser dranbleibt, liegt auch an den überzeugend charakterisierten Nebenfiguren. Die geraten nur für einige Szenen in den Fokus, man ist aber sogleich bei ihnen und ihrer Innenwelt. Gut und Böse zeigen sich oft verschränkt und nur dem Comiczeichner Kevin Yamagata bleibt es vorbehalten, das Geheimnis zu lüften und die Welt zum besseren Ort zu machen oder wenigstens die Katastrophe aufzuhalten.

Die größte Leistung liegt in den Zeichnungen selbst, die durch ihre stilistische Vielfalt bestechen. Da finden sich lustige Comicstripbildchen, fotorealistische Darstellungen und in die Schwarz-Weiß-Seiten zieht immer mal etwas Farbe ein. Viele Comiczitate begleiten die Abenteuer von »Billy Bat«, Fußnoten weisen die weniger Belesenen darauf hin und sind ein prima Nebenbeieinstieg in die Historie der Bildgeschichten. Das Mangas und westliche Comics vereinende Crossover ist ein berauschendes Amalgam, das man nun über 20 Bände am Stück verschlingen kann.

Geschichte aus der Provinz

Auf seine Weise Manga und Comics verschmilzt Adrian Richter, und zwar in der Bildgestaltung. In seine Kurzgeschichte »Eichhörnchen« kommt ein junger Mann in die Provinz seiner Jugend zurück – und trifft seinen Jugendschwarm. Sie ist frustriert, weil ihre Karriereweg nicht gerade geradlinig verläuft. Er nervt mit Storys aus seiner Hippster-Bio-Werbe-Blase; auch sich selbst. Und mit dem Fummeln klappts auch nach all den Jahren nicht. Die Fallhöhe der Geschichte ist gering, aber die Zeichnungen machen das Pfund des Heftes aus. Fett, plakativ und doch detailreich verspielt fallen die Panels aus. Da wird noch ein sequentiell sezierte Tequilaritual zur Augenweide. Farbig ist es in einem Orangestich gehalten, kommt poppig herüber mit einem Touch von großäugigem Mangakitsch. Das plus der Humor sind so abfedernd, dass selbst kotzende Kassiererinnen noch amüsieren.

Nazipropaganda

Eindeutig auf der Seite des Guten steht der Sachcomic »Was ist eigentlich Faschismus?«. Nicht nur Kinder können – und die Zeiten machen das leider mehr als erforderlich – darin erfahren, was es mit dem historischen Faschismus auf sich hat. An den Beispielen Italien und Deutschland zeigen der Zeichner Kalle Johansson und die Historikerin  Lena Berggren, wie sich die Faschisten erst an die Macht putschen wollten und sie dann auf legale Weise erhielten. Sie nennen Kernelemente dieser Ideologie, die immer auf den tödlichen Ausschluss von Menschen zielt, die nicht zum imaginierten Volk zählen. Motive aus Propagandaplakaten und zeitgenössischen Fotos laden auch die grafische Ebene inhaltlich auf. Ein wichtiges Buch, das mit dem wichtigen Schlussswort endet: »Der Faschismus ist nicht tot.«

Die fiesen Riesen

Spinnt Barbara eigentlich? Die Frage spukt beim Lesen von »I Kill Giants« ziemlich oft im Kopf herum. Denn das Gehabe des jungen Mädchen ist außergewöhnlich. Ihre Widerworte sind clever-cool, aber ihr Fantasy-Fimmel, ihr Hang zur Gewalt und die bodenlose Trotzköpfigkeit sind dann doch sehr weird. Und dann immer das Mantra vom Riesen, der kommen wird und den es aufzuhalten gilt. Als der Titan dann wirklich vor der Tür steht, steckt dem Leser ein Kloß im Hals. Barbara stellt sich ihm und damit dem dunklen Geheimnis in ihrem Herzen und ihrer Familie. Sehr anrührend haben Joe Kelly (Text) und Ken Niimura (Zeichnungen) das Schicksal des Mädchens eingefangen. Es ist kein abiedern. Aus den energetisch-dynamischen Schwarz-Weiß-Grau-Zeichnungen springt alle Widerborstigkeit, mit der sich Barbara gegen Mobbing und Krebs wehrt. Dem Splitterverlag ist ein wahrer Glücksgriff gelungen, diesen Comic für sich gesichert zu haben. Der souveräne Umgang mit einem schwierigen Thema und das emotionale Berühren ohne Tränendrüsendrücken, Anbiedern und Ankitschen zeichnen »I Kill Giants« aus, das es von vielen anderen pädagogisierenden Lektüren abhebt. Am Ende beigefügte Gimicks wie einer wunderschöne Galerie, die alle Charaktere noch einmal ins rechte Licht rückt und ein Making-of-Comic, gefallen als Surpluszugaben. 

Noch ein lokale Tipp sei hinterhergschoben für alle Leser, die es bis hierhin geschafft haben. Wie jeden Septemberanfang lädt wieder Comicgarten zum Klönen über die Bildgeschichten. Es werden zahlreiche Zeichner da sein, die ihre Arbeiten auch signieren werden. Der bekannteste Gast ist sicherlich Ted Naifeh. Der Schöpfer von »Gloomcookie«, er war immerhin für den Eisner Award nominiert, gehört ganz gewiss zu den Guten.

 

 

 

 


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