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Kultur

»Niemand braucht Nazis«

Die Highlights vom Wir sind mehr-Konzert in Chemnitz

  »Niemand braucht Nazis« | Die Highlights vom Wir sind mehr-Konzert in Chemnitz

Die Toten Hosen singen Ärzte-Songs und Heiko Maas soll Neonazis verprügelt haben. Beim Wir sind mehr-Konzert sind unglaubliche Dinge passiert. Ein paar Anekdoten des Abends.

Die drei Jungs aus dem Süden. Sie stehen auf den Schultern anderer Menschen, wedeln mit einer Refugees Welcome-Fahne und tanzen.

Eine 55-jährige Frau, die den gesamten Abend mit einem strahlenden Lächeln auf der Bank der Bushaltestelle verfolgt. Ja, sie wohnt seit 1988 in Chemnitz und für die Bands heute sei sie eigentlich viel zu alt, sagt sie. Es sind die Massen junger Menschen, die von überall hergekommen sind, die heute für sie zählen. »Wir sind wirklich mehr und nach den letzten Tagen gibt es einem neue Hoffnung, so etwas hier zu sehen.«

Die drei Österreicher, die während des Konzerts von Casper, Marteria und SXTN in ihrem verbeulten Golf vor dem Konzertgelände ankommen. »Wir haben etwas länger gebraucht«, sagen sie – dennoch gutgelaunt. Acht Stunden – um dann nur noch die Toten Hosen zu sehen.

Die Feuertreppe eines Hochhauses, die bis obenhin voller Menschen ist, die auch was sehen wollen. Genauso wie das Dach eines Parkhauses. Oder die Bushaltestelle, auf der bei jedem Konzert wieder andere Leute raufkraxeln. Und die Bäume, die von ein paar Typen erklommen werden. Der ergraute Plattenbau am Rande des Konzerts wäre heute – wohl zum ersten Mal seit seinem Bestehen – der place to be. Eine Oma schaut vom Balkon, während K.I.Z. »Hurra, die Welt geht unter« singt. Danach geht sie wieder rein.

K.I.Z, die Provokateure des Abends. »Wo sind meine linksversifften Gutmenschen?«, begrüßen sie die Masse. Um dann zu verkünden: »Wir haben vorhin Heiko Maas gesehen, wie er eigenhändig fünf Neonazis verprügelt hat. Nicht immer nur reden – auch mal was machen!« Für die Politiker, die das hier nur gutheißen, solange alles schön friedlich und hamonisch bleibt, hätten sie auch diesen einen Song geschrieben: »Ich bring euch alle um.« Und alle so: Bumm Bumm Bumm Bumm. War trotzdem friedlich.

Die Schilder. Neben den Klassikern von Antifa-Transpis, Regenbohnenfahnen und »Herz statt Hetze«-Plakaten haben sich manche Witzbolde auch richtig Mühe gegeben. Von »Die Mauer muss weg« über »Wie viele Nazis braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Keine. Niemand braucht Nazis« bis zu »Mutti, mir gehts gut«.

Die kletternden Beamten. Am frühen Nachmittag hisst ein Anwohner direkt gegenüber der Bühne eine Flagge in den Farben des deutschen Kaiserreichs am Baugerüst vor seinem Fenster. Während erste Konzertbesucher noch diskutieren, ob das jetzt illegal sei, klettern Polizeibeamte bereits am Gerüst empor und entfernen die Provokation. »Gute Arbeit der Kollegen«, kommentiert Polizeisprecher Andrzej Rydzik auf Nachfrage.

Die Leute, die sonst hier sind. Wenn die Kameras weg sind und die coolen Musiker keine Gratis-Konzerte mehr spielen. Die sich auch an all den anderen Tagen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus, Homophobie, Sexismus und all den Hass einsetzen. Die Menschen von Chemnitz Nazifrei zum Beispiel, denen die Bühne gehört, bevor die Musiker auftreten, und die zu weiteren Engagement der ganzen Menschen hier aufrufen.

Die Raver. Weil am Karl-Marx-Kopf zu wenig Platz für die 20.000 Menschen ist, mit denen die Veranstalter ursprünglich gerechnet haben, wurde das Konzert auf einen großen Parkplatz um die Ecke verlegt. Am Nischel wird derweil geravet. Dort, wo vor einer Woche noch Menschen den Hitlergruß zeigten, tanzen nun die Leute zu den Beats des Berliner Clubs about blank.

Rod. Es ist sooo voll, dass Campino zu weit weg ist, um ihn richtig zu verstehen, als er Rod auf die Bühne holt, um mit ihm »Schrei nach Liebe« anzustimmen, aber die Leute um einen rum können das alle auswendig. Und kurz flammt die Hoffnung auf, dass vielleicht doch noch alles gut wird, weil man sich früher auch nie hätte vorstellen können, dass die Hosen mit den Ärzten je ihre Lieder singen.

Die 65.000 Menschen, die gekommen sind. Wir sind mehr. Wenigstens heute.


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