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Stadtleben

Immobilienaufwertung gegen Gentrifizierung?

Beim Kunstevent »Monumenta« ergeben Konzept und Standort ein bizarres Bild

  Immobilienaufwertung gegen Gentrifizierung? | Beim Kunstevent »Monumenta« ergeben Konzept und Standort ein bizarres Bild

Ein Kunstevent in Wahren soll mal wieder eine Immobilie aufwerten. Zahlreiche Künstler und Kulturschaffende nutzen das Angebot der Selbstpräsentation. Ob das Ganze nur eine Investorenblase ist oder sich eine nachhaltige Institution daraus entwickelt, bleibt abzuwarten.

Monumental ist es grad in Wahren. Am 1. September eröffnete die »Monumenta – Intelligence-of-Many« auf dem Gelände der ehemaligen Pittlerwerke. Der Titel klingt bereits wie eine hübsche Kombination aus Documenta und Montis Real Estate, dem Besitzer der Immobilie. Geworben wird mit Gesamtkunstwerk, ArtRaves, Food, Ausstellung und seit neuestem mit einem gläsernen Redaktionsbüro der Krautreporter Sachsen.

Die Social Media Kanäle geben sich bunt. Weit im Vorfeld nutzte die LVZ das Sommerloch und hievte das Event zur Ankündigung gar auf die Titelseite. Unkritisch genug, um freundlich Werbung für die Immobilienfirma und ihr kulturell-soziales Ansinnen zu machen. Kritische Rückfragen, was Kunst und Besitzer hier verbindet, warum ein Berliner Kunstkollektiv das Ganze organisiert, schienen fehl am Platz.

Das Kollektiv, das sich diesen Event ausdachte, nennt sich Wandelism, steht laut Selbstaussage für die kreative Antwort auf »die negativen Folgen der Gentrifizierung« und kämpft »durch Zwischennutzung mit unkonventionellen Ideen« um ein lebendiges und vielfältiges Berlin. Und was in der Hauptstadt geht, kann für das kleine Leipzig nicht schlecht sein. Urban Art und Live-Tattoo sind von ihnen gern genommene Veranstaltungsformate, wenn es darum geht »sozial und lokal« zu agieren. Ein rotziges Statement darf natürlich nicht fehlen: »Wir sind der Mittelfinger ins Gesicht der kulturellen Lethargie.«

Wer die versprühen soll, bleibt unbeantwortet. Vielleicht mag das Gelände der Pittlerwerke vor der kulturellen Eroberung auf dem ersten Blick lethargisch gewirkt haben, aber das widerspricht der Geschichte des Ortes allemal.Ursprünglich entstand das Werksgelände zur Jahrhundertwende. Hier wurden an der von Julius Wilhelm von Pittler patentierten Revolverdrehbank erst Werkzeuge hergestellt. Das änderte sich aus aktuellem Anlass. Denn 1935 musste die Produktionsfläche verdoppelt werden, um die Produktion von Waffen und Munitionsteilen als »kriegswichtiges Unternehmen« garantieren zu können. 1942 stellten Fremd- und Zwangsarbeiter ein Drittel der Belegschaft. Wer die geforderte Leistung nicht erbrachte, wurde in das KZ Buchenwald abgeschoben.

Nach dem Ende der Industrieproduktion in den neunziger Jahren siedelten sich unterschiedliche Gewerbe an. Einige Firmenschilder schmücken heute noch die Fassade wie auch Hinweise auf Künstlerateliers. 2012 wurde einhundert Künstlerateliers gekündigt, um Platz für das neue Konzept des damaligen Besitzers, der Pittlerstraßen Entwicklungsgesellschaft mgH, zu schaffen. Das Stadtarchiv sollte sich hier ansiedeln. Geklappt hat das bekanntlich nicht. Jetzt versucht Montis Real Estate andere »moderne und innovative Konzepte« umzusetzen. Und ein Kunstevent hat bei der Erschließung von Neuland noch nie geschadet.


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