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»Kritik an der Kleinbürgerhölle«

Schauspielintendant Enrico Lübbe über »Faust« und Fußball, Konkurrenz und Kollegen

  »Kritik an der Kleinbürgerhölle« | Schauspielintendant Enrico Lübbe über »Faust« und Fußball, Konkurrenz und Kollegen

Das Schauspiel setzt seine Strategie der Doppelbefragung fort: Nun wird Goethe gegen Goethe gesetzt oder verschränkt: »Faust I« vs. »Faust II«. Mit dem kreuzer spricht Regisseur Enrico Lübbe über die Wirrungen der Rezeption dieses zum sehr deutschen erklärten Stoffes, Kalendersprüche und seine Freuden außerhalb des Theaters.

LÜBBE: Es ist ein Erwartungsdruck, denn die Stadt schmückt sich sowieso schon mit Goethe. Davon muss man sich frei machen. Und jeder hat Bilder zu »Faust« im Kopf. Wenn ich Ostern in der Kirche bin, wird jedes Jahr der »Osterspaziergang« zitiert, komplett. Da sind wir wieder bei der Rezeption: Die Welt im »Faust« besteht aus dumpfen Gemächern, niedrigen Häusern, quetschender Enge; er beschreibt wirklich so kleine Butzelhäuschen. Aber die Rezeption macht daraus »unsere schöne Heimat«.

kreuzer: Sie fühlen sich angekommen in Leipzig?

LÜBBE: Ich denke schon. Unsere Spielplanprogrammatik, auch die Förderung junger Dramatik, könnte man nicht überall machen. Das hat schon sehr mit der Stadt zu tun, die das ermöglicht. Dass es dafür das Publikum gibt, ist natürlich eine Motivation, das so weiterzumachen. Es gibt Kollegen, die müssen da ganz anders kämpfen. Dass auch die Residenz und die Diskothek funktionieren, ist toll. Und das ist auch ein Aushängeschild für die Stadt.

kreuzer: Bleibt es ein Problem, den Großen Saal zu füllen?

LÜBBE: Erst mal ist zu sagen, dass wir überall ein Publikum mit einem Durchschnittsalter unter 40 haben; 38,5 Jahre ganz genau. Das ist super. Aber daran hängt auch die Besonderheit, dass es ein Publikum ist, das nicht so langfristig plant. Das verstehe ich. Sie sagen: Ich will genau das Stück sehen, buchen mit dem Smartphone ihre Karte. Wenn das an dem Abend nicht läuft, kommen sie ein anderes Mal. Sie gehen nicht einfach mal so ins Theater. Damit lässt sich viel schwieriger kalkulieren. Aber die Älteren kommen natürlich auch, es gibt hier nicht den klassischen Theaterbesucher. Damit muss man beim Großen Saal umgehen können. Das war bei Engel so, bei Hartmann, das ist kein Intendanzproblem, sondern eher ein Leipzigphänomen. Aber da geht die Tendenz für uns nach oben, das war vorher so nicht abzusehen.

kreuzer: Der neue Dresdener Intendant lässt unter anderem Sebastian Hartmann und Rainald Grebe inszenieren. Ist das eine Konkurrenz?

LÜBBE: Nein, gar nicht. Beide Häuser haben ihre eigene Programmatik und auch die Städte sind ja sehr verschieden.

[caption id="attachment_70082" align="aligncenter" width="640"] Menschen, die auf Goethe starren (Auszug aus Faust), Foto: R. Arnold[/caption]

kreuzer: Sie leben in Markkleeberg, wie entgehen Sie der Kleinbürgerhölle?

LÜBBE: Ach, ist das dasselbe? Wenn man jeden Tag in der Innenstadt so im Fokus arbeitet, ist es wichtig, auch noch ein anderes Leben zu haben. Darum gehe ich oft raus, bin auch regelmäßig in Chemnitz oder fahre ins Erzgebirge.

kreuzer: Man sieht Sie manchmal in die Stadt radeln, ist das ein Hobby oder lieben Sie anderen Sport?

LÜBBE: Die zwölf Kilometer machen nicht bei jedem Wetter Spaß. Aber es tut auch gut, nach der Probe den Kopf frei zu bekommen. Ich war schon immer großer Fußballfan. Es war mein Traum, in einer Stadt zu wohnen, wo ich mit dem Fahrrad zum Stadion fahren kann, um ein Bundesliga- oder auch Champions-League-Spiel zu schauen. Und mein Sohn spielt auch Fußball, da ist man am Wochenende zwangsläufig auch bei diesen legendären Bambini-Turnieren dabei.


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