»Nazis raus!« aus 65.000 Kehlen schön und gut, aber: Was bleibt von #wirsindmehr? Schaffen es Aufrufe zum Engagement und Widerspruch gegen Rechts bis aufs sächsische Land? Antirassistische Arbeit bleibt Landarbeit. Der kreuzer stellt Initiativen und Jugendclubs in der sächsischen Provinz vor und geht der Frage nach, was sich ändern muss, damit »wir« wirklich mehr sind. Diesmal: Der Jugendverein Agenda Alternativ in Schwarzenberg.
Im Erzgebirge gibt es neben traditionellem Kunsthandwerk, Bergbau und aufstrebendem Tourismus auch eine fest etablierte rechte Szene, die sich in den letzten Jahren immer stärker in der Öffentlichkeit zeigt. Diesen Sommer forderten Rechte sogar einen Volksentscheid über die Abspaltung des Erzgebirges von der Bundesrepublik. Diesen gesellschaftlichen Entwicklungen versucht der Jugendverein Agenda Alternativ mit verschiedensten Projekten etwas entgegen zu setzen. Für die ehrenamtliche Arbeit wurden die Mitglieder in den letzten Jahren mit mehreren Demokratiepreisen ausgezeichnet.
kreuzer: Warum braucht es im Erzgebirge demokratiefördernde Arbeit?
Lars / Agenda Alternativ: Weil diese allem Anschein nach über Jahre vernachlässigt wurde. Deswegen war es ja überhaupt erst möglich, dass sich beispielsweise größere Teile des Unterstützerumfelds des NSU hier ungestört etablieren konnten. Die »Weiße Bruderschaft Erzgebirge« wurde etwa von André Eminger gegründet, der in München als einer der wichtigsten Unterstützer des NSU angeklagt war. Zudem gab es im Erzgebirge mit den »Lichtelläufen« gewissermaßen den Vorreiter von PEGIDA. Dort haben sich erstmals auch Menschen, denen die NPD sonst zu radikal auftritt, unter einem nationalistischen Motto zusammengetan. Zu all dem gibt es keinen wirklich aktiven Gegenpol. Und für junge Menschen gibt es auch kaum Möglichkeiten, seine Zeit sinnvoll zu gestalten und sich unabhängig politisch zu bilden.
kreuzer: Wie sieht eure Arbeit genau aus? Und welche Hürden gibt es dabei?
Lars: Wir organisieren Diskussionsrunden, Lesungen, Vorträge und Bildungsfahrten. Oder Zeitzeugengespräche, etwa mit Holocaustüberlebenden. Dazu versuchen wir mit Konzerten eine positive Abwechslung für Jugendliche in der Region zu schaffen. Seit sechs Jahren organisieren wir zudem im Sommer das »Stains in the Sun Fest«. Ein großes Festival, bei dem neben dem musikalischen Programm auch Workshops angeboten werden - etwa zu Jugendbeteiligung im Erzgebirge. Nachdem wir in den letzten fünf Jahren sehr gut mit der Stadt Schwarzenberg zusammengearbeitet hatten, gab es dieses Jahr leider einige Probleme mit der Stadtverwaltung. Weil wir laut unserer Vereinssatzung »demokratiefeindlichen Einstellungen innerhalb der Gesellschaft« entgegenwirken wollen, stufte man uns plötzlich als »politische Bewegung« ein. Aus diesem Grund wurde uns die Nutzung des Naturtheaters in Schwarzenberg untersagt und wir mussten kurzfristig eine neue Location für das Festival finden. Dabei geht es uns als Verein doch genau darum, ein Gesellschaftsbild zu vertreten, wie es das Grundgesetz formuliert.
kreuzer: In Chemnitz haben Anfang September 65.000 Menschen unter dem Motto #wirsindmehr gefeiert. Eine Woche später waren es beim Stains in the Sun keine 500 Personen. Was für ein Gefühl ruft da so ein Motto hervor?
Lars: Ehrlich gesagt hat uns dieses Motto im ersten Moment wirklich wütend gemacht, auch wenn der Gedanke dahinter natürlich wichtig ist. Aber »Wir sind mehr« kann nur jemand sagen, der noch nie vor Nazis wegrennen musste. Unsere Vereinsmitglieder, die noch direkt im Erzgebirge wohnen, machen sich durch ihr Engagement ja auch ganz klar zur Zielscheibe für Rechte.
kreuzer: Euer regelmäßiges Fußballturnier heißt »Kicken ohne rechts«. Ist es auch bei einer Sportveranstaltung so wichtig, den politischen Charakter zu betonen?
Lars: Auf jeden Fall, leider. Lokale Vereinsstrukturen sind natürlich ein Spiegel der örtlichen Gesellschaft, deswegen wirst du vermutlich auch in jedem Fußballverein hier in der Region auf Neonazis treffen. Wir möchten mit dem Turnier vorrangig für alternative Jugendliche oder Geflüchtete, die in den Vereinen möglicherweise angefeindet werden würden, eine Umgebung schaffen, in der sie unbeschwert Fußball spielen können. Das ist leider wirklich nötig.
kreuzer: Hat sich die Stimmung gegenüber Eurer Arbeit in den letzten Jahren verändert?
Lars: Mittlerweile haben wir einige Unterstützer im Stadtrat von Schwarzenberg, gleichzeitig ist es natürlich erst einmal ziemlich hart, dass wir die Naturbühne anscheinend auch in Zukunft nicht mehr nutzen können. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass unsere Arbeit schwerer geworden ist, leichter aber auf keinen Fall. Aktuell verändert sich das gesellschaftliche Klima ja leider zunehmend nach rechts.
kreuzer: Wie behält man da die Ambition, weiter zu machen?
Lars: Am Wochenende waren einige von uns in Zwickau bei den Demos gegen die »Bürgeroffensive Deutschland«. Da haben wir uns ernsthaft gefragt: »Wie lange wollen wir die Scheiße eigentlich noch machen?« Auch im Alltag ist es oft nicht leicht, mit dem ganzen Gegenwind, den wir auch von offizieller Seite bekommen. Andererseits ist es dann jedes Jahr aufs Neue ein großartiges Gefühl, wenn das Festival läuft und man sieht, dass viele Jugendliche nicht nur zum Feiern kommen, sondern auch an den Workshops interessiert sind und dort etwas für ihren Alltag mitnehmen können.