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Politik

»Wen sprechen wir mit Jugendarbeit überhaupt noch an?«

Landarbeit: Das Emil in Zittau über Jugendarbeit in einer überalterten Stadt

  »Wen sprechen wir mit Jugendarbeit überhaupt noch an?« | Landarbeit: Das Emil in Zittau über Jugendarbeit in einer überalterten Stadt

»Nazis raus!« aus 65.000 Kehlen schön und gut, aber: Was bleibt von #wirsindmehr? Schaffen es Aufrufe zum Engagement und Widerspruch gegen Rechts bis aufs sächsische Land? Antirassistische Arbeit bleibt Landarbeit. Der kreuzer stellt Initiativen und Jugendclubs in der sächsischen Provinz vor und geht der Frage nach, was sich ändern muss, damit »wir« wirklich mehr sind. Diesmal: Das soziokulturelle Zentrum Emil in Zittau.

»Emil und die Detektive« wird in der Literaturwissenschaft gemeinhin als erster deutschsprachiger Großstadtroman geführt. Zudem ist der Jugendroman von Erich Kästner aber auch Namenspate für ein selbstverwaltetes Kulturprojekt in einer Region, die kaum weiter vom Schlagwort »Metropole« entfernt sein könnte. In Zittau ist die Einwohnerzahl seit der Wende um über ein Viertel zurückgegangen. Über 45.000 Einwohner zählte der Ort im äußersten Südosten Sachsens zu Hochzeiten, 2016 waren es weniger als 26.000. In den Neunzigern galt die gesamte Oberlausitz als rechte Hochburg und »No-go-Area«. Auch heute noch sind rechte Strukturen in der Region aktiv. In einem ehemaligen Abrisshaus gibt es allerdings bereits seit 1993 einen Gegenpol, der mit soziokulturellem Angebot und Jugendarbeit für Abwechslung in der Region sorgt: Das Emil.

kreuzer: Die ARD hatte die Oberlausitz einst als »Region, in der Rechte das Sagen haben« bezeichnet. Wie schafft man es da über 25 Jahre einen alternativen Jugendtreff am Leben zu erhalten?

FRANK SEIDEL: Dieser Ruf war für eine lange Zeit sicher berechtigt, vor allem in den späten Neunziger Jahren. Mittlerweile hat sich die Situation in Zittau zumindest ein wenig verbessert. Im »sächsischen Vergleich« stehen wir eigentlich ganz ok da, auch wenn das ein wenig überraschend ist. Das Hauptproblem dabei, ein Haus wie das Emil über Jahrzehnte aufrecht zu erhalten, hat aber eher weniger mit der Bedrohung von außen zu tun. Vor allem in den letzten Jahren fehlen uns aktive Menschen, die uns hier bei unserer Arbeit unterstützen. Aktuell schmeißen wir den Laden mit ungefähr zehn Personen, die mal mehr oder weniger aktiv sind. Der größte Teil hat dazu noch einen Vollzeitjob. Bei regelmäßigem Veranstaltungsbetrieb wirkt sich das durchaus ermüdend aus. Letztendlich basiert hier alles auf ehrenamtlicher Arbeit, viel Enthusiasmus und leider viel zu wenig Unterstützung von außen.

kreuzer: Fehlende Beteiligung ist für Euch also eine stärkere Bedrohung als Neonazis?

SEIDEL: Naja, in den späten Neunzigern gab es durchaus regelmäßig Überfälle auf Veranstaltungen, bei denen leider auch immer wieder Personen verletzt wurden. Da kann ich allerdings gar nicht so viel zu erzählen. Seitdem ich im Emil aktiv bin, kam es dann eher zu Pöbeleien von einzelnen Rechten oder Sachbeschädigungen: Rechte Parolen an der Tür, Farbbeutel, die nachts auf das Haus geworfen wurden oder auch Angriffe mit Buttersäure.

kreuzer: Was bedeutet es für Jugendarbeit, wenn fast ein Viertel der ursprünglichen Einwohner Zittau seit Bestehens des Emils den Rücken gekehrt hat?

SEIDEL: So eine Entwicklung betrifft uns natürlich ganz konkret, weil wir auf lange Sicht immer mehr aktive Menschen und auch unsere regelmäßigen Gäste verlieren. Da wir ja generell eine recht überschaubare Zielgruppe vor Ort haben, trifft uns das natürlich um so härter. Das Durchschnittsalter in Zittau lag 2016 schon bei 49 Jahren. Da kann man sich natürlich schon fragen, wen wir mit Jugendarbeit überhaupt noch ansprechen. An der Hochschule und dem internationalen Hochschulinstitut wird mittlerweile aber Einiges getan, damit vielleicht ein paar Menschen auch über ihre Regelstudienzeit hinaus hier bleiben. Und vielleicht finden die ja auch den Weg ins Emil.

kreuzer: Wie hat sich denn der politische Umgang mit Eurem Projekt in den letzten Jahren verändert? Immerhin konnte die AfD bei der letzten Bundestagswahl in der Oberlausitz sogar ein Direktmandat erringen.

SEIDEL: Ehrlich gesagt hat sich die politische Interaktion mit uns verbessert. Noch sitzt in Zittau kein Vertreter der AfD im Stadtrat. Und aktuell gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen diversen Menschen, die im Emil aktiv sind und der Stadt. Da muss ich auch wirklich zugeben, dass es sehr gut war, dass wir uns in den letzten Jahren bewusst nicht in eine subkulturelle Nische zurück gezogen haben. Wir haben versucht bewusster in der Öffentlichkeit präsent zu sein, um allen Bürgern und Bürgerinnen unsere Arbeit zu vermitteln, etwa bei unserem Kinderfest oder Seifenkistenrennen. All diese Aktionen bringen jede Menge Organisationsstress mit sich, aber auch sehr viel positives Feedback, sowohl von offizieller Seite, wie auch von den Anwohnern.

kreuzer: Wie geht Ihr damit um, wenn demnächst mit dem »Schild & Schwert Fest« bereits zum zweiten Mal ein riesiges Neonazi-Event in Eurer direkten Nachbarschaft stattfindet?

SEIDEL: Schon bei der letzten Veranstaltung haben wir den Gegenprotest in jeder möglicher Form unterstützt. Das werden wir natürlich auch diesen Oktober wieder tun. Viele von uns sind in lokalen Initiativen wie »Zittau ist bunt« aktiv oder auch in anderen Projekten wie »Rechts rockt nicht!« überregional vernetzt. Am 24. Oktober wird es auch einen großen Aktionstag geben, bei dem wir uns mit der aktuellen gesellschaftlichen Situation auseinandersetzen möchten und natürlich auch über das Neonazi-Fest aufklären wollen. Es muss deutlich werden, dass es da nicht um ein paar Typen geht, die am Stammtisch fragwürdige Phrasen dreschen, sondern da organisierte Strukturen am Werk sind. Der Tag soll dann mit einer großen Demonstration abgeschlossen werden, zu der hoffentlich möglichst viele Menschen anreisen.

kreuzer: Kann man Euch denn auch unterstützen, ohne vor Ort zu sein?

SEIDEL: Wir erhalten keine regelmäßigen Fördergelder und tragen daher alle Kosten für unser Haus selbst. Über ein Notsicherungsprogramm konnten wir vor einiger Zeit auch das Nachbargebäude pachten, das wir aktuell in Eigenarbeit sanieren. Da ist auch noch viel zu tun, weil es wirklich baufällig war und damit auch unser Haus bedroht war. Finanzielle Unterstützung ist also natürlich immer willkommen. Aber auch sonst sind wir dankbar für jeden Menschen, der den Weg zu uns findet und auch jedes liebe Wort, das uns erreicht und bestärkt, weiter zu machen.


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