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Kultur

Mona Lisa und Klogang, dann tanzen

Der Marion Ermer Preis 2018 ist zu Gast im Museum der bildenden Künste

  Mona Lisa und Klogang, dann tanzen | Der Marion Ermer Preis 2018 ist zu Gast im Museum der bildenden Künste

Vier Künstler, jeweils 5000 Euro Preisgeld, eine kuratierte Ausstellung: Bis in den Februar hinein gastiert der Marion Ermer Preis 2018 im Museum der bildenden Künste Leipzig. Er richtet sich an Kunsthochschulabsolventen, die in Ostdeutschland leben und bis zu 35 Jahre alt sind.

Der Marion Ermer Preis lässt sich getrost als wichtigster Kunstpreis in den »neuen Bundesländern« umschreiben. Er ist nahezu mustergültig angelegt: Statt einen Künstler über die Maße in den Vordergrund zu rücken, prämiert er vier künstlerische Positionen, ohne diese weiter zu gewichten. Statt lokal oder auf Bundeslandgrenzen beschränkt zu sein, nimmt er das vernachlässigte Gebiet der ehemaligen DDR – mit Ausnahme des ohnehin überrepräsentierten Berlins – in den Blick. Statt auf einen Ort konzentriert sich die Preisträgerausstellung im losen Wechsel auf drei Schauplätze: Dresden, Leipzig, Weimar. Zwar fehlt bei dieser Konzeption mindestens noch der vierte wichtige Kunsthochschulstandort Ostdeutschlands, Halle, mit der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, dennoch sind drei vernetzte Zentren bereits besser als ein einzelner, selbstreferentieller Hotspot.

Viel Sachsen, etwas ThüringenUrsprünglich richtete sich die Ermer Stiftung explizit an »junge Künstler aus Sachsen und Thüringen«. Womöglich, weil es besser klingt, wurde daraus ab 2004 »junge Künstlerinnen und Künstler aus den Neuen Bundesländern«, faktisch jedoch traten Positionen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt bislang nie als Preisträger in Erscheinung. 2005 war Jana Gunstheimer, die an der Burg Giebichenstein studiert hat, als Jenaer Position vertreten. Die letzte Preisträgerin aus Weimar, Miriam Visaczki, gab es 2010. Mehrmals dagegen gingen alle vier jeweils mit 5000 Euro Preisgeld verbundenen Auszeichnungen an Absolventen der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), was durchaus Fragen aufwirft. Ist die HGB den anderen Künstlerschmieden derart überlegen? Lernen HGB-Absolventen bloß besser, wie man sich überzeugend bewirbt? Bewirbt sich sonst niemand? Oder ist der Blick der Jury, obgleich stets wechselnd, eingeengt? Außer Stiftung und Jury weiß niemand, woher die 2018 »mehr als 200« Bewerbungen stammten und inwieweit der Anspruch haltbar ist, Kunst und Kultur »in den neuen Ländern« zu fördern und nicht nur in Dresden, Leipzig, Weimar – und letztlich doch auch in Berlin, wo es viele nach dem Studium hinzieht.Positiv bemerkenswert am Marion Ermer Preis ist die – obgleich nicht vorgeschriebene – Quote. 30 Frauen, 30 Männer und zwei (männliche) Künstlergruppen zeichnete die Stiftung in bislang 15 Preisrunden seit 2001 aus; im ersten Jahr gab es sechs statt vier Preisträger; der Rhythmus der »Auslobung« richtet sich nach den finanziellen Möglichkeiten der privaten Stiftung. Die überregionalen Jurymitglieder wechseln ebenso regelmäßig wie die Kuratoren der Preisträgerausstellung und scheinen stets klug gewählt. Selbstredend ist jede Ausstellung mit einem begleitenden Katalog verbunden.

Leipziger LeistungsschauGesellte sich 2016 mit Manaf Halbouni zumindest ein Dresdner zu drei Leipzigern, stellt der Marion Ermer Preis 2018 eine reine Leipziger Leistungsschau dar. Fine Bieler, die bei Tina Bara studierte, erhielt den Preis für ihre Rauminstallation »Simulacrum«. Ronny Bulik, der sein Diplom bei Astrid Klein bekam und nun ein Meisterschülerstudium bei Michael Riedel absolviert, setzte sich mit seiner dreiteiligen Videoinstallation »Think Think Push« durch. Kirill Gluschenko, der in Moskau und Göteborg studierte und 2017 für ein Meisterschülerstudium bei Peter Piller nach Leipzig zog, überzeugte mit seiner raumgreifenden Präsentation »Venets. Welcome to the Ideal«. Und Jana Schulz, Meisterschülerin von Tina Bara und Heidi Specker, gelangte mit dem experimentell-dokumentarischen Video »Golden Boys« in die Preisträgerrunde. Damit setzte die Jury durchweg auf Positionen, die sich nicht flanierend erschließen, sondern Zeit einfordern.Als erstes begegnet dem Besucher im Untergeschoss des Museums der Bildenden Künste hinter schwerem, schwarzem Vorhang die Dreikanalvideoinstallation »Think Think Push«. Kopfhörer aufsetzen und hinein in den Trubel: Ronny Buliks wacklige Smartphonekamera folgt einem jungen Mann in markanter Helly-Hansen-Funktionsjacke in Paris vom Vorplatz durch die Pyramide in den Louvre. Der Besuchersog führt zur Mona Lisa, dann noch schnell auf die Toilette und, an Skulpturen vorbei, wieder heraus. Nahtlos folgt eine Tanzsequenz bei einem Rave im Techno-Untergrund von Glasgow. Hochkultur und Subkultur ergänzen sich, vermischen sich. Die rauschenden Bilder sind mit Videofiltern entfremdet, überlagern sich, begleitet von einer Soundcollage, die ein Herzschlag antreibt. Bulik müht sich um Reizüberflutung, spürt dem »Stendhal-Syndrom« nach, der Sinnesüberwältigung, die den Schriftsteller einst beim Florenz-Besuch ergriff, und die sich vor allem bei 20- bis 40-jährigen Touristen mitunter behandlungsbedürftig äußern soll. Hatte der atemlose Lauf durch den Louvre in Godards »Bande à part« und Bertuluccis »Die Träumer« noch etwas unanständig Rebellisches, ist er für heutige Städtetripprofis nahezu Pflicht – in Outdoorjacke durch den Kunsttempel, Mona Lisa und Klogang, dann tanzen.

Hochästhetische BilderZielt Buliks Arbeit auf Bluthochdruck, so lädt »Golden Boys« von Jana Schulz im rechts angrenzenden Raum zur Kontemplation. Der Titel leitet sich von einer gleichnamigen Agentur für Boxer ab, beschreibt jedoch auch den Videoinhalt gut. Jana Schulz hat in einem aufwändigen Projekt Boxer mit der Kamera begleitet; in der Türkei, in Los Angeles, in Momenten, in denen andere die Kamera ausschalten würden. Sie hält auf den Nacken eines Boxers im Spiegel, während der sich, übers Waschbecken gebeugt, rasiert. Sie zeigt die zum Vorschein kommenden Boxershorts beim Stretching am Zaun, beobachtet einen Boxprofi halbnackt beim Aufwachen, die Finger knackend gedehnt, Smartphone-Nachrichten geprüft, Hemd übergestreift. Jana Schulz filmte meist ohne Tageslicht, nutze die vorhandene Quellen, ob Straßenlaterne, Kofferraumbeleuchtung, Fernseher. Ihr gelangen reduzierte Bilder, die sie in Zeitlupe ablaufen lässt. Gesprochen wird nicht. Knappe Einstellungen, geringe Schärfentiefe, Intimität. Womöglich geht es hier weniger um ein Porträt von Boxern, wie man es noch nicht gesehen hat, sondern eher um einen weitgehend aus der Kunst verbannten Begriff: Schönheit. Die Bilder sind hochästhetisch.

Fine Bieler bereitet ebenfalls einen gefälligen Einstieg in ihren Beitrag. Auf einem Podest präsentiert sie eine anmutige Sandwüste, das Naturschöne als künstliches Modell. Der Horizont dahinter ist ein blauer Farbverlauf, herabhängend von einem Holzgerüst. Als Sonne dient ein Scheinwerfer. Auch ohne zu wissen, was antike bis neuzeitliche Denker von Lukrez bis Baudrillard mit »Simulacrum« bezeichneten, ist klar, dass hier Realität simuliert wird. Das Konstruierte kommt an Wirklichkeitsvorstellungen zur Vorführung. Dazu gehört auch eine Projektion auf einem wüstenfarbenen Tarnfleck an der Wand. Dort tauchen Dialoge und Regieanweisungen aus Spielfilmen auf, die das westliche Bild von der Wüste beeinflussten, »Lawrence von Arabien« etwa. Ein romantisierender Blick auf das Fremde offenbart sich, der nicht ohne Abscheu und Überlegenheitsgefühl daherkommt. Insofern handelt »Simulacrum« weniger von der Wüste, vielmehr von der allgemeinen Konstruiertheit unserer Weltbilder – und von deren Korrekturbedürftigkeit.

Hinten links in der Ausstellung findet sich Kirill Gluschenkos Präsentation »Venets. Welcome to the Ideal«. Gluschenko hat für seine Arbeit den mehr oder weniger fiktiven Verlag Gluschenkoizdat gegründet, als dessen Gesandter er das sozialistische Erbe bereist und ästhetisch beerbt. Seine Museuminstallation führt in die Geburtsstadt Lenins, nach Uljanowsk, das 1970 zum 100. Geburtstag des Revolutionärs unter anderem ein neues Hotel, das Venets, erhielt. Gluschenko kombiniert Originaldokumente mit eigenen Aufnahmen, präsentiert sie als Druckbögen an den Wänden, zeigt den Imagefilm des Hotels, spürt dem Alltag jenseits des propagierten Ideals nach.

An den Preisträgern selbst gibt es nichts zu bemängeln. Inwiefern die Marion Ermer Stiftung mit diesem Preis allerdings dem Anspruch gerecht wird, junge Kunst in den »neuen Ländern« zu fördern, wäre zu hinterfragen. Da muss noch mehr sein – in Rostock, Erfurt, Cottbus, dort, wo der Blick viel zu selten hinfällt.


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