Kreuzer-Chefredakteur Andreas Raabe ist der Meinung, dass das Lichtfest abgesagt werden soll – Schluss mit den Heldengeschichten! Stattdessen solle es eine Trauerfeier geben, eine fröhliche, als Erinnerung an das, was nach 1989 verloren ging.
Nun gibt es also ein neues, tolles Kuratorium fürs Lichtfest, für das große 89er-Jubiläum 2019. Und es dauert keine zwei Monate, da explodiert es schon wieder. Vorläufiger Höhepunkt: Mitte Dezember erklärte der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Jürgen Reiche per LVZ-Sondermeldung, dass er im Kuratorium nicht mehr mitmachen will.
Dabei ging es um einen Streit in dessen Mittelpunkt der Chef der Runden Ecke, Tobias Hollitzer stand: Der war zur Wahl der Beiratsmitglieder Mitte November nicht erschienen, weil er meinte, er sei wie selbstverständlich gesetzt und müsste nicht gewählt werden. So was hätte selbst Honecker sich nicht getraut, Hollitzer schon. Doch Pustekuchen: Hollitzer wurde nicht gewählt, weil er nicht anwesend war. Nun rief dieser, die Wahl sei »undemokratisch« gewesen und müsse wiederholt werden. Und tatsächlich, wenig später war Hollitzer dann doch drin. Anschließend muss es in der Runde zu derartigen Verwerfungen gekommen sein, dass die Rede davon war, Beiratsmitglieder hätten beschlossen, Hollitzer aus dem Gremium zu werfen (was der Beirat bestreitet). Daraufhin zog oben genannter Reiche sich zurück – inklusive großem Aufriss in der lokalen Tageszeitung.
Auf der Strecke bleibt die Sache. Der 9. Oktober ist der wichtigste historische Gedenktag der Stadt Leipzig. In Zeiten von Pegida und AfD ist der Umgang mit den Ereignissen 1989 und danach gar zur nationalen Frage geworden. Hinter solchen Egos wie dem des Tobias Hollitzer steckt ein viel größeres Problem, nämlich die Erzählung des Umsturzes in der DDR als deutsche Heldengeschichte, als nationaler Heldenmythos. Problematisch wird es, wenn solch ein Mythos zur individuellen Existenzberechtigung wird. So erklärt sich das aktuelle Wirken von Ex-Bürgerrechtlern wie Hollitzer, Rainer Eckert, Vera Lengsfeld, Gunther Weißgerber und so weiter. Die aktuelle Situation beim Streit ums Lichtfest in Leipzig ist nur ein Zeichen des verfehlten Umgangs mit den Ereignissen rund um den Beitritt der DDR zur BRD.
Was tun? Vielleicht ist es das Beste, das Lichtfest jetzt abzuschaffen. Ein glatter Schnitt. Denn aus der Nummer kommt keiner mehr raus. Das ist auch allen Beteiligten klar – außer vielleicht den paar Betonköpfen. Also: Kein Lichtfest 2019. Sagt es ab! Keine Heldengeschichten mehr.
Stattdessen gibt es eine Trauerfeier, eine fröhliche, aber eine Trauerfeier – eine Feier des Erinnerns an das Leben in der DDR. An das, was die Menschen im Osten nach dem Umsturz gewonnen haben, ihre Freiheit, dichte Fenster, glatte Straßen – aber auch an das, was sie verloren haben, ihre soziale Sicherheit, den Arbeitsplatz, ihren Besitz, die Kontrolle über Betriebe, Universitäten, Medien, Theater, Verlage und Kinos, die Frauen ihre Stellung in der Gesellschaft, die Städte und Dörfer ihre Menschen, vor allem die klugen, liberalen, agilen; eine Erinnerung an die Familien, die zerfielen, weil die eine Hälfte in den Westen ging und die anderen zurückblieben in Oschatz, Grimma und Wurzen; an die Weihnachtsfeste, bei denen Onkel Klaus, Tante Renate, Cousine Katrin, Cousin Felix noch dabei waren – und dann plötzlich nicht mehr. Denn das gehört zusammen, wenn man über die Wende redet: Gewinn und Verlust. Und vielleicht ist es Zeit, endlich auch mal den Verlust zu respektieren und sich daran zu erinnern – um darüber reden zu können.